Eingeschlossen, aber nicht eingesperrt

Erstveröffentlicht: 
18.08.2012

Berlin erhält ein Heim für straffällige und gefährdete Kinder. Bis zu zehn solcher Fälle gibt es im Jahr. „Es ist kein Kinderknast“, sagt Jugendsenatorin Scheeres.

 

Es könnte so idyllisch sein. Eine alte Villa im Grünen, unweit des Tegeler Sees, mit großem Garten und hohen Bäumen. Ein Trampolin steht dort, eine alte, bemooste Tischtennisplatte und ein Basketballkorb. Doch um zum Hauseingang zu kommen, muss man erst einen mehrfach gesicherten Gitterzauneinlass passieren. Am Freitagmittag stehen die Türen zwar offen, doch das wird sich künftig ändern.

 

Es handelt sich um Berlins erstes geschlossenes Heim für Kinder, die massiv straffällig geworden sind oder selbst in Gefahr sind.

Bis zu sieben Jungen und Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren können hier ab sofort für jeweils drei Monate untergebracht werden. Das können Kinder sein, die von organisierten Banden oder ihren Familien zur Prostitution gezwungen wurden, oder Fälle wie die der Drogen dealenden Kinder, die im Jahr 2010 Aufsehen erregt hatten. Mehrfach waren sie von der Polizei aufgegriffen worden, doch immer wieder laufen gelassen, weil sie unter 14 Jahren noch nicht strafmündig sind. Der Ruf nach einer Unterbringung mit „freiheitsentziehenden Maßnahmen“ wurde laut. In Brandenburg gibt es bereits seit einigen Jahren entsprechende Heime. Der Senat beauftragte schließlich die Jugendförderung Berlin, einen Zusammenschluss des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerkes (EJF) und der Stiftung zur Förderung sozialer Dienste (FSD), mit der Entwicklung eines Konzeptes.

 

Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD), die die Einrichtung in Tegel am Freitag vorstellte, will vor allem einen Begriff vermeiden: „Es ist kein Kinderknast“, sagt sie. Scheeres spricht lieber von einem „Schutzraum für teilweise schwer traumatisierte Kinder“. Es gehe darum, den Jungen und Mädchen wieder eine Struktur und eine neue Perspektive zu geben. Die Türen im Haus seien immer offen. Die Kinder würden zwar ständig beaufsichtigt, aber nicht eingesperrt. Auch nachts würden ihre Zimmertüren nicht abgeschlossen.

 

Ein 14-köpfiges Team aus Erziehern, Psychologen, Sozialarbeitern und Therapeuten betreue die Kinder intensiv und rund um die Uhr, sagte Michael Piekara von der Jugendförderung Berlin. Die Kinder erhalten Unterricht, Sporttraining und sollen sich handwerklich betätigen. Sie könnten beispielsweise bei der Gestaltung des Gartens mitmachen.

 

Bis zu zehn Fälle gebe es pro Jahr in Berlin, in denen es nötig sei, Kinder in einem geschlossenen Heim unterzubringen, schätzt die Jugendförderung. Zuvor muss das Jugendamt und ein Familiengericht die Maßnahme anordnen.

 

Noch sind keine Kinder da, und es gibt auch keinen akuten Fall. Platz genug ist jedenfalls vorhanden. In den hellen Zimmern finden sich Werkstätten, Therapie- und Bewegungsräume, und für jedes Kind ein eigenes Schlafzimmer. An den Wänden kleben Schmetterlinge und Blumen, die Bettwäsche ist bunt, ansonsten sind die Zimmer schlicht: ein Schrank, ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl. „Für viele der Kinder wird es das erste Mal sein, dass sie überhaupt ein eigenes Zimmer haben“, sagt Piekara.