Verhütung von Folter in der BRD?

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Verhütung von Folter in BRD?

Seit dem 1. Mai 2009 hat die in Wiesbaden angesiedelte Bundesstelle zur Verhütung von Folter ihre Arbeit aufgenommen – und seit September 2010 die entsprechende Länderkommission.

Über die Hintergründe dieser Einrichtung, sowie deren ersten Jahresbericht soll im folgenden informiert werden.

 

Nationale Stelle zur Verhütung von Folter

 

Schon am 18.12.2002 verabschiedeten die Vereinten Nationen (UNO) eine Ergänzung zur Antifolterkonvention. Danach sollte auch auf Ebene der Mitgliedsstaaten jeweils eine Stelle geschaffen werden, die Orte, an welchen Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden, oder aber Freiheitsentziehung ausgesetzt sind (das reicht vom Polizeirevier, über Psychiatrien, typischerweise Gefängnisse, aber auch Alten- und Pflegeheime, sofern dort „freiheitsentziehende Maßnahmen“, wie Fixierungen durchgeführt werden) besucht und prüft, ob an diesen Orten die Betroffenen Folter oder aber unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ausgesetzt sind.

 

Erst 2006 unterzeichnete die BRD das Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 – und wieder erst zwei Jahre später stimmte der Bundestag zu, so dass erst mit dem 03.01.2009 die Vorgaben für Deutschland verbindlich wurden.

 

Leiter der Bundesstelle ist Dr. Lange-Lehngut, ehemaliger langjähriger Leiter der JVA Tegel (Berlin); die vier ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Länderkommission wurden im Juni 2010 gewählt: Staatssekretär a.D. Geiger, eine Frau Schöner, Herr Rieß (Vorsitzender Richter am OLG Stuttgart), sowie ein Uniprofessor aus Marburg, Prof. Rössner.

 

Aufgaben und Befugnisse der Nationalen Stelle

 

Primäre Aufgabe der Stelle ist es, „Orte der Freiheitsentziehung“ aufzusuchen und dort festgestellte Mißstände zu benennen und den Behörden Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, bzw. ihnen Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Ausdrücklich nicht, und darauf weist das Sekretariat beharrlich bei Schriftverkehr hin, befugt sei man, Einzelpersonen zu helfen oder ihre Beschwerden zu überprüfen. Dessen ungeachtet werden konkrete Einzelfallschilderungen mitunter zum Anlass für Anfragen bei der jeweiligen Anstaltsleitung genommen.

Die Gefängnisse und anderen Einrichtungen sind eigentlich gehalten, Schriftwechsel ihrer Insassen mit der Nationalen Stelle nicht zu überwachen, jedoch nicht immer ist dies dem Personal bewusst und Briefe werden geöffnet.

 

Finanzielle Ausstattung der Nationalen Stelle

 

Wer weiß, dass auf Bundesebene 360 „Gewahrsamseinrichtungen“ (z.B. von Bundeswehr, Zoll, Bundespolizei, insbesondere auch auf den Flughäfen) existieren und auf Länderebene 186 eigenständige Justizvollzugsanstalten, 9 Abschiebehafteinrichtungen, 1.430 Polizeireviere, 245 Psychiatrien (Krankenhäuser), 81 forensische Psychiatrien (für den Maßregelvollzug), 16 geschlossene Einrichtungen der Jugendfürsorge und nahezu 11.000 Altenpflegeheime, wird sich vielleicht wundern, wenn er/sie hört, dass der Nationalen Stelle lediglich 300.000 Euro im Jahr zur Verfügung stehen (100.000 für die „Bundesstelle“, die in Wahrheit nur aus dem Vorsitzenden Lange-Lehngut besteht, sowie 200.000 Euro für die aus vier Personen bestehende Länderkommission).

Zum Vergleich: Frankreich finanziert 16 hauptamtliche, sprich voll bezahlte Kontrolleure und 16 Kontrolleure in Teilzeit und gibt ca. 3,3 Millionen Euro pro Jahr aus. Die im Vergleich zu Deutschland erheblich kleinere Schweiz verfügt über 12 Kontrolleure und lässt sich die Stelle ca. 300.000 Euro im Jahr kosten.

 

Deshalb beklagt die Nationale Stelle in ihrem aktuellen Tätigkeitsbericht, die unzureichende finanzielle Ausstattung hindere sie, ihrer Aufgabe in dem gesetzlich bestimmten Umfang nach zu kommen.

 

Jahresbericht 2010/2011

 

In dem 121 Seiten umfassenden Jahresbericht stellt die Nationale Stelle die rechtlichen Hintergründe ihrer Arbeit, sowie durchgeführten Besuche in Gewahrsamseinrichtungen vor.

 

Die Länderkommission konnte lediglich 18 Einrichtungen besuchen (um auch nur einmal jedes Gefängnis zu besuchen, bräuchte die Kommission folglich 10 Jahre, hätte dann aber noch keines der 1.430 Polizeireviere, keine Psychiatrie und kein Altenheim besucht).

 

Beispiele der Bundesstelle

 

Allgemein bemängelt Lange-Lehngut, dass insbesondere in Polizeidienststellen, aber auch bei der Bundeswehr in Gewahrsam genommene Menschen nicht unverzüglich und umfassend über ihre Rechte informiert würden. Gerügt wird auch, dass die Privat- und Intimsphäre der Betroffenen nicht gewahrt werde, wenn z.B. auf der Bundespolizeiinspektion des Flughafens München durch die Weitwinkelspione auch Toilettengänge beobachtet werden können. Ein Punkt der in weiteren Besuchen, z.B. in Düsseldorf, Kehl und Hamburg beanstandet wurde. Selbiges galt für fehlende Matratzen. Ferner forderte der Vorsitzende der Bundesstelle, dass bei der Fixierung von Betroffenen in der Zelle keine Polizeihandschellen zur Anwendung gebracht werden und stets eine Sitzwache vor Ort sein müsse, bis die Fixierung beendet werden könne.

 

Beispiele der Länderkommission

 

Besucht wurden 7 Gefängnisse, vier Polizeireviere, zwei Psychiatrien und eine Abschiebehaftanstalt. Durchgängig beanstandet wurde bei der Videoüberwachung von Zellen, dass die Überwachungsmonitore nicht den Intimbereich, oder die Toiletten verpixelt darstellen würden.

In Rosdorfs Vollzugsanstalt war die Kommission im Oktober 2010 und rügte anschließend, dass ein psychisch angeblich „auffälliger“ Gefangener, anstatt adäquat therapeutisch behandelt zu werden, seit Monaten in einer videoüberwachten Zelle in Isolationshaft gehalten wurde. Die Situation von Inhaftierten in Isolationshaft rügte man auch in Dresden und verlangte statt einer nur quartalsweise erfolgten Prüfung der „Notwendigkeit“ der Einzelhaft eine monatliche Prüfung.

 

Dass in den meisten der besuchten Einrichtungen in den Gemeinschaftsduschen keine Trennwände eingebaut sind, rügte die Kommission ausdauernd. Die zuständigen Behörden reagierten mitunter einsichtig (Dresden will Trennwände nachrüsten lassen, gleichfalls Chemnitz), aber auch zynisch (Berlin ließ wissen, auch in Schwimmbädern gebe es schließlich keine Trennwände).

 

Überregionale Beachtung in der Berichterstattung fand der „unhygienische und ekelerregende Zustand“ von Isolierzellen in Berlins Jugendstrafanstalt. Das Land ließ wissen, man habe im Juni 2011 die JVA angewiesen, die „erforderlichen Instandsetzungen“ durch zu führen.

 

Sofern Fixierungen notwendig wären, so die Kommission, dürften keine normalen Polizeihandschellen verwandt werden, es müsse zu Gurtsystemen gegriffen werden, inkl. Sitzwache vor Ort, um die Zahl der Fixierungen so gering als nur möglich zu halten.

 

In der forensischen Psychiatrie in Lippstadt beanstandete man die Überbelegung, die dadurch bedingte extreme räumliche Enge, fehlende Therapeuten, unzureichende Therapieräume, häufigen Therapeutenwechsel und nur eine geringe Therapiefrequenz. Beanstandet wurde auch, dass ein Anwalt, der seinen dort gefangen gehaltenen Mandanten besuchen wollte, diesen nur durch die Luke in der Zellentüre zu sehen bekam. Der Klient durfte in der Isolationszelle nur eine Unterhose tragen. Ein Gespräch im Besuchszimmer habe die Klinikleitung verweigert.

 

Bewertung des Berichts und der Nationalen Stelle

 

Das Positive vorweg: In Randbereichen konnte die Nationale Stelle etwas bewirken. Hier wurden Zellen frisch gestrichen, dort Matratzen in Zellen gelegt, wo vorher nur ein Betonklotz als Nachtlager diente. Das war es dann aber auch schon.

 

Ob die Besetzung der Nationalen Stelle mit ausgesprochen staats- und justizhörigen Ex-Beamten, oder gar noch amtierenden Richtern, oder die absolut unzureichende finanzielle Ausstattung, dies alles zeigt, wie wenig ernst der Schutz von in Gewahrsam genommenen Menschen in Deutschland genommen wird. Um nicht zu viel Kritik zu provozieren, überträgt man die Kontrollen jenen, die zuvor selbst Knäste geführt haben (und gerade zu Lange-Lehnguts Zeiten als Knastdirektor kam es in Tegel regelmäßig zu Übergriffen) und um sich noch besser seitens Politik und Justiz abzusichern, stattet man diese „Kontrolleure“ auch noch finanziell minderwertig aus.

 

Dass die Kontrolleure nicht von geschlagenen und delirierenden (zu dem Fall eines todkranken HIV-positiven Gefangenen vgl. meinen Beitrag http://linksunten.indymedia.org/node/58237) Gefangenen berichten, wundert nicht, sie bekamen sie nicht zu Gesicht und wahrscheinlich wollten sie sie auch nicht zu Gesicht bekommen.

Folter verhütet wird so gewiss nicht!

 

Wenn also viele der in dem Jahresbericht angesprochenen Punkte wie Petitessen anmuten, liegt das daran, dass Deutschlands Politik das UN-Übereinkommen schlicht nicht ernst nimmt.

Diese These mögen noch zwei Details untermauern: Zum einen wurde das Sekretariat, mithin auch der offizielle Sitz der Nationalen Stelle im Gebäude und Büro des „Kriminologischen Dienstes“ (http://www.krimz.de), der eng mit BKD, den Landeskriminalämtern und den sonstigen Repressionsbehörden kooperiert, angesiedelt. Zum anderen nutzte die Nationale Stelle das Instrument der Zwangsarbeit von Gefangenen (zur Kritik an der Arbeitspflicht für Gefangene vgl. auch: http://de.indymedia.org/2003/06/55784.shtml ) um ihren Jahresbericht 2010/2011 in der Druckerei der JVA Heimsheim (http://www.jva-heimsheim.de) drucken und in der anstaltseigenen Buchbinderei binden zu lassen.

 

Die Jahresberichte der Nationalen Stelle können im Internet abgerufen werden unter:

http://www.antifolterstelle.de

(unter der Rubrik „Jahresberichte“)

 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal

http://www.freedom-for-thomas.de

https://freedomforthomas.wordpress.com