Der Prozess gegen den Neo-nazi Florian S. Vor dem Freiburger Landgericht endete mit einem überraschenden Paukenschlag: Die von der Richterin Eva Kleine-Cosack geführte Strafkammer sprach den 29-Jährigenam Donnerstag von dem Vorwurf des vorsätzlichen Tötungsversuchs frei.
Von Toni Nachbar
Es war alles andere als mucksmäuschenstill im großen Saal IV, als die Vorsitzende ihre Urteilsbegründung mit diesen Worten einleitete: „Justitia ist nicht auf dem rechten Auge blind. Die Bundesrepublik Deutschland kennt kein Gesinnungsstrafrecht. Der Grundsatz in dubio pro reo gilt auch für Neonazis.“ Zwischenrufe wie „Das darf nicht wahr sein“, vernahm die Richterin aus dem Publikum, doch unbeirrt fuhr sie fort: „Wäre ein SPD-Mitglied von einer Gruppe Vermummter attackiert worden, kein Staatsanwalt in diesem Land hätte Anklage gegen ihn erhoben.“
In seinem Plädoyer hatte Staatsanwalt Florian Rink eine dreijährige Gefängnisstrafe für Florian S. wegen vorsätzlichen Tötungsversuchs gefordert, nachdem der Neonazi am 1. Oktober 2011 auf einem Parkplatz in Riegel mit seinem Auto in eine Gruppe vermummter Antifaschisten gefahren war und einen von ihnen schwer verletzt hatte. In ihrer Urteilsbegründung legte Kleine-Cosack jedoch den Akzent darauf, dass das Gericht dem Angeklagten nicht zweifelsfrei nachweisen könne, in Tötungsabsicht gehandelt zu haben. Hinzu komme, dass Florian S. sich in einer Notwehr-Situation befunden habe: Fünf auf ihn losmarschierende vermummte Antifaschisten, mit einer Pfefferspray-Flasche bewaffnet, hätten eine Drohkulisse aufgebaut, für das Gericht stehe fest, dass der Angeklagte große Angst verspürt habe.
Nicht außer Acht ließ die Strafkammer andererseits das berühmt gewordene Internet-Statement des Neonazis: Während einer Unterhaltung auf Facebook hatte Florian S. Angekündigt, er warte nur darauf, dass ihn ein Linker angreife und er ihn dabei in einer Notwehr-Situation „die Klinge fressen lasse“. Richterin Eva Kleine-Cosack sagte, bei aller Reserviertheit gegenüber der Echtheit von Facebook-Zitaten bestünden für sie kaum Zweifel, dass Florian S. der Urheber des Zitats sei. Dennoch reiche dies zu einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe ebenso wenig aus wie die vom Gericht gewonnene Überzeugung, Florian S. Hätte vom Parkplatz fliehen können, ohne gegen die Gruppe Vermummter zu fahren. Die Angst, die er möglicherweise verspürt habe, habe ihn zu einem Fehlurteil animiert. Doch in der Notwehr-Situation sei das
„Fehlurteil“ des mehrfach vorbestraften Neonazi nicht Grund genug, ihn zu bestrafen.
Pro Angeklagter bewertete das Gericht auch das Verhalten der Antifaschisten. Da sei zum einen die Gewaltbereitschaft gewesen: Die Gruppe, so Eva Kleine-Cosack, habe sich nicht vermummt, um mit Florian S. eine verbale politische Auseinandersetzung zu führen. Als der Verletzte Erste Hilfe nötig hatte, galt ein wesentlicher Teil der Aufmerksamkeit seiner Gesinnungsfreunde, ihre Vermummung zu kaschieren. Zudem hätte möglicherweise auch der Verletzte Zeit gehabt, sich vor dem heranfahrenden Auto in Sicherheit zu bringen.
Während Staatsanwalt Florian Rink im Gerichtssaal noch erklärte, er werde prüfen, ob er in Revision geht, kündigte der Anwalt der Nebenkläger, Jens Janssen, die Anfechtung des Urteils an: „Es ist fraglich, ob der Bundesgerichtshof die rechtliche Beurteilung des Handelns als Überschreitung der Notwehr mitträgt, zumal auch nach den Feststellungen des Gerichts der Angeklagte die Möglichkeit hatte, auszuweichen.“ Dem Gericht hielt Janssen vor, sich zu wenig mit dem politischen Motiv des Angeklagten befasst zu haben: „Die Frage ist nicht, ob auch ein Neonazi einen Anspruch auf Verteidigung hat – dies ist völlig unbestritten – sondern ob die politische Einstellung des Angeklagten Rückschlüsse auf seine Motivation zulässt“, so Janssen. „Genau damit muss sich aber jedes Strafgerichts befassen, das ist unser tägliches Handwerkszeug, es gilt beim so genannten Ehrenmord, beim Sexualdelikt, ja sogar beim Ladendiebstahl.“
NEONAZI-PROZESS
Eine Justiz-Lektion der Republik
Auch in seinem Plädoyer hat der Anwalt der Nebenkläger, Jens Janssen, der Richterin Eva Kleine-Cosack vorgehalten, sie habe sich in dem Verfahren gegen Florian S. Zu wenig für den politischen Hintergrund seiner Tat interessiert. Doch enthielt die Einleitung ihrer Urteilsbegründung eine wichtige politische Botschaft: Auch die verruchteste und unmenschlichste politische Gesinnung rechtfertige es in einer freiheitlichen Republik nicht, dessen Verfechter zum Freiwild zu erklären.
Daran hätten sich Antifaschisten zu halten, und erst recht ein Gericht. Ob das Landgericht richtig entschieden hat, kommt wohl noch einmal auf den Prüfstand. Aber es hat eine beachtliche Lektion erteilt – nicht zuletzt Florian S.: Das von ihm so verachtete politische System besitzt eine Justiz und Richter, die lieber riskieren zu irren, als ihn ungerecht zu bestrafen.