Urteil vor dem Landgericht Freiburg
Das Landgericht Freiburg hat den Ortenauer Neonazi Florian S. freigesprochen. Er war wegen versuchten Totschlags in drei Fällen angeklagt. Eine Straftat könne nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, so das Gericht.
Der Prozess gegen den 29-Jährigen hatte am 18. Juni vor dem Landgericht Freiburg begonnen. Dem Ortenauer Neonazi wurde vorgeworfen, am 1. Oktober 2011 auf einem Parkplatz bei Riegel mit dem Auto absichtlich in eine Gruppe linker Aktivisten gerast zu sein. Dabei fuhr der 30-Jährige einen 22-Jährigen an und verletzte ihn schwer. Florian S. war an jenem Abend als eine Art Schleuser für auswärtige Teilnehmer einer geheimen Neonazi-Party am Kaiserstuhl auf dem Pendlerparkplatz nahe der Autobahn 5 postiert. Er selbst gab an, sich von der Gruppe von fünf – teilweise vermummten – Aktivisten bedroht gefühlt zu haben.
Die Strafkammer des Landgerichts Freiburg unter Vorsitz von Eva Kleine-Cosack betonte nun vor ihrer von Unmut im Saal begleiteten Urteilsbegründung, dass es in Deutschland "kein Gesinnungsstrafrecht" gebe. "Justitia ist nicht auf dem rechten Auge blind", sagte die Richterin. Der Grundsatz "in dubio pro reo" (lat. "Im Zweifel für den Angeklagten") gelte auch für Neonazis. Die Kammer sei sich dennoch über den politischen Hintergrund im Klaren gewesen. Wäre der Unglücksfahrer Mitglied der SPD gewesen, den eine Gruppe Vermummter attackiert hätte, wäre wohl kein Staatsanwalt auf die Idee gekommen, ihn anzuklagen.
Die Strafkammer sei nach den Worten ihrer Vorsitzenden zwar davon überzeugt, dass Florian S., der auf dem Parkplatz Gäste für eine Neonazi-Party in Bahlingen weiterschleusen sollte, durchaus mit einer gefährlichen Situation rechnen konnte. Er sei in Alarmbereitschaft gewesen und es sei auch durchaus möglich gewesen, dass er die Situation erfasst und in dem Moment, als die Gruppe vermummter Antifaschisten auf ihn zurannte, bewusst in diese hineingefahren sei. Und sich dabei der Gefährdung von Leib und Leben der Personen bewusst war. "Es kann sein. Aber das reicht nicht, die Kammer ist nicht davon überzeugt", sagte die Richterin.
Gericht misst Facebook-Eintrag keine entscheidende Bedeutung zu
Unstrittig sei zudem, dass es dem Angeklagten möglich und auch zuzumuten war, sich aus der Parkplatzausfahrt nach rechts zu entfernen, statt frontal in die Menschengruppe zu fahren. Auch Flucht sei ein Verteidigungsmittel in einer Notwehrsituation. In nur einer Sekunde habe sich der Angegriffene entscheiden müssen, eine Zeugin und die Staatsschutzbeamten, denen er sich anschließend offenbart hat, hätten seine Panik in der bedrohlichen Situation belegt. Dass Florian S. wenige Tage zuvor in einer Facebook-Unterhaltung regelrecht eine Notwehrsituation herbeigesehnt hatte, um ungestraft einen Linken attackieren zu können, nahm das Gericht zur Kenntnis, wertete das aber als nicht ernst zu nehmende Angeberei unter Gleichgesinnten. Zudem sei nicht auszuschließen, dass der Facebook-Eintrag nachträglich manipuliert worden sein könnte.
Die Verantwortung für den Notwehrexzess des Angeklagten sieht das Gericht bei den Angreifern der linken Antifa-Szene, die in eindeutig unfriedlicher Absicht erschienen seien, um, wie es ein Zeuge sagte, "den Schleusungspunkt zuzumachen". Dem Gericht zufolge hätten die Angreifer dem aus dem Parkplatz herausschießenden Mitsubishi-Colt noch ausweichen können. Auch der beim Aufprall schwer Verletzte hätte dazu noch Zeit gehabt. Stattdessen sei er wohl absichtlich auf das Auto gesprungen, weil er es womöglich stoppen wollte. Damit hätte der Angeklagte nicht rechnen müssen. Alles in allem liege kein Tötungsvorsatz vor. Auch wenn Zweifel blieben, müsse das Gericht für den Angeklagten entscheiden. Es folgt damit dem Plädoyer der Verteidigung, die auf Freispruch wegen Notwehr plädiert hatte.
Linke demonstrieren gegen Freispruch
Staatsanwalt Florian Rink, der eine dreijährige Freiheitsstrafe wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert hatte, will das Urteil zunächst genau prüfen und danach entscheiden, ob er Rechtsmittel einlegen wird. "Das Gericht hat eine andere Gewichtung der Argumente vorgenommen. Ich muss sehen, ob sie plausibel ist", sagte Rink. Der Anwalt des geschädigten Nebenklägers kündigte noch im Gerichtssaal Revision an. "Die Begründung des Urteils ist abenteuerlich", sagte Rechtsanwalt Jens Janssen. "Das ist ein Freibrief für Neonazis, Antifaschisten anzugreifen", sagte Nebenklägeranwältin Angela Furmaniak. Auch sie wird voraussichtlich Revision einlegen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.
Nach dem Gerichtstermin demonstrieren in der Freiburger Innenstadt knapp 50 linke Antifaschisten gegen den Freispruch. Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift "Faschistische Strukturen zerschlagen!" Bei einer Kundgebung am Bertoldsbrunnen kritisierte eine Rednerin das Urteil; die "bürgerliche Justiz" sei anscheinend "weder willens noch fähig, dem Faschismus entgegenzutreten". Für den frühen Abend kündigte sie eine weitere Protestkundgebung an.
Angeklagter war auf Bewährung
Schon vor diesem Vorfall war Florian S. straffällig geworden. So hatte ihn das Amtsgericht Offenburg zuletzt wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und übler Nachrede verurteilt. Die Tat in Riegel beging der erfolglose NPD-Landtagskandidat noch in der Bewährungszeit, zu der die siebenmonatige Freiheitsstrafe ausgesetzt war. Derzeit sind in Offenburg zwei weitere Verfahren gegen ihn anhängig wegen Volksverhetzung im Internet und wiederholten Zeigens von Nazisymbolen.