Erleichtert möchte man aufatmen, die Verurteilung eines Versammlungsleiters im Juni 2008 durch das Amtsgericht Karlsruhe ist aufgehoben, der Versammlungsleiter freigesprochen. Das Landgericht Karlsruhe entschied gestern, Donnerstag, 5. Juli 2012, dass die von der Staatsanwaltschaft vorgetragenen Vorstellungen einer ausufernden Verantwortung des Versammlungsleiters für alle Vorkommnisse in einer Versammlung nicht haltbar sind. Bedenklich muss stimmen, dass auch dieses Gericht dem Versammlungsleiter viel zu viel zuzumuten versucht.
Im Frühjahr 2007 hatte die Bundesanwaltschaft im Vorfeld des G8-Gipfels Ermittlungen nach § 129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) aufgenommen und mit 900 Polizisten in Norddeutschland Hausdurchsuchungen durchgeführt – rechtswidrig, wie später der Bundesgerichtshof feststellte. In Karlsruhe fand am 19. Mai 2007 eine Demonstration unter dem Motto „Jetzt erst recht – Repression und G8 entgegentreten“ statt. Obwohl keine konkreten Erkenntnisse für eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorlagen, erließ das Ordnungsamt eine Liste von Auflagen. Schon hier muss die Kritik ansetzen, denn Auflagen dürften nur dann erlassen werden, wenn anderenfalls aufgrund konkreter Erkenntnisse schwerwiegendere Eingriffe notwendig wären.
Die Polizei filmte die Demonstration von Beginn an, obwohl hierfür keine Gründe vorlagen. Von einzelnen Teilnehmern an der Demonstration wurde im Verlauf der dreistündigen Versammlung gegen die eine oder andere Auflagen verstoßen. Transparente wurden zu hoch und zu dicht aneinander getragen, ein Teil der Demonstrationsteilnehmer bewegte sich zeitweise zu schnell, Teilnehmer trugen Mützen und oder Sonnenbrillen. Das können jedoch allenfalls Ordnungswidrigkeiten sein, die die Teilnehmer begangen haben. Verfahren wurden nicht eingeleitet.
Unstrittig war, dass der Versammlungsleiter selbst nicht gegen die
Auflagen verstoßen hat. Er hat diese auch den Teilnehmern vorgelesen und
hat sich um die Einhaltung bemüht.
Genug ist nicht genug!
Sein Bemühen hat aber nicht gereicht, argumentierte die Staatsanwaltschaft, der das Amtsgericht folgte. Wenn er sich genügend bemüht hätte, dann hätte er Erfolg gehabt. Wenn er Verstöße nicht verhindern konnte, dann reichten seine Bemühungen eben nicht aus. Als Versammlungsleiter begeht er dann auch nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sondern muss sich die Taten der anderen sozusagen als eigene zurechnen lassen. Er begeht folglich gemäß dem Versammlungsgesetz eine Straftat. In erster Instanz forderte die Staatsanwaltschaft deshalb noch 160 Tagessätze.
Diese Rechtsauslegung widerspricht sogar dem obrigkeitsstaatlich verfassten Versammlungsgesetz. Strafbar wäre es, wenn der Versammlungsleiter selbst gegen Auflagen verstoßen würde. Er begeht jedoch weder eine Ordnungswidrigkeit noch eine Straftat, wenn andere gegen Auflagen verstoßen.
Die Versammlung verlief auch gar nicht so unfriedlich, wie es in der Verhandlung manchmal den Anschein hatte. Selbst die Polizei berichtete nach der Demonstration in einer Presseveröffentlichung, die Demonstration wäre „weitgehend friedlich“ verlaufen. Die Medien berichteten ebenfalls von einer weitgehend friedlichen Versammlung.
Nach zwei Verhandlungstagen urteilte das Landgericht Karlsruhe also, dass der Versammlungsleiter freizusprechen sei. Eine Strafbarkeit könne nicht davon abhängig sein, ob ein Versammlungsleiter sich durchsetzen könne. Wenn man dies konsequent durchdenken würde, dann würde das Versammlungsrecht damit selbst infrage gestellt. Der Vorsitzende Richter Kleinhenz meinte jedoch auch, der Versammlungsleiter müsse sich sichtbar bemühen, die Auflagen durchzusetzen – wie immer das messbar sein soll.
Tatsächlich wäre es absurd, wenn die Polizei eine Versammlung erst auflösen darf, wenn von dieser insgesamt Unfriedlichkeit ausgeht und nicht nur von Einzelnen. Der Versammlungsleiter aber, um sich selbst vor Strafverfolgung zu schützen, die Versammlung schon auflösen müsste, wenn nur einzelne Verstöße gegen Auflagen geschehen. Solche Verstöße müssen ja noch nicht einmal eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bewirken oder gar zur Unfriedlichkeit führen. Der sogenannte Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat 1985 herausgestellt, dass „Demonstrationen als prinzipiell staatsfreie unreglementierte Beiträge zur politischen Meinungsbildung und Willensbildung“ geschützt sind und ein Versammlungsleiter nicht für alle Vorfälle verantwortlich gemacht werden kann. Der Kampf um diese Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit muss jedoch immer neu ausgetragen werden.
Elke Steven
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