Rechtsextremismus bei Burschenschaften
Sie propagieren "Ehre, Freiheit, Vaterland" und versprechen einander ewige Treue: Männerbünde wie die der Deutschen Burschenschaft. Ab heute sollen die Richter am Landgericht Bonn klären, ob es in der Deutschen Burschenschaft rechtsextreme Tendenzen gibt. Die gibt es sehr wohl, meint Experte Dietrich Leither im Interview.
Anlass ist ein offenbar eskalierender Streit zwischen mutmaßlich rechtsextremen und liberalen Burschenschaftern. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht Norbert Weidner, ehemaliger NRW-Landesgeschäftsführer der 1995 verbotenen, neonazistischen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), heute Chefredakteur der Burschenschaftlichen Blätter, der Zeitschrift des Dachverbands Deutsche Burschenschaft. Weidner war kürzlich in die Kritik geraten, weil er den NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als Landesverräter bezeichnet hatte. Bereits ein Jahr zuvor hatte die Bonner Burschenschaft der "Raczeks", der Weidner angehört, beim jährlichen Burschentag auf der Eisenacher Wartburg den Ausschluss einer Burschenschaft gefordert, die einen Deutschen als Mitglied aufgenommen hat, dessen Eltern aus China kommen. Weidner wehrt sich nun dagegen, von seinem Verbindungskollegen Christian Becker als rechtsextrem bezeichnet zu werden. Er fordert eine Unterlassungserklärung von Becker.
Dietrich Heither (Jahrgang 1964), Lehrer für Politik und Geschichte, befasst sich seit gut zwei Jahrzehnten mit der Geschichte und Gegenwart der Deutschen Burschenschaft. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zum Thema Rechtsextremismus in Burschenschaften.
WDR.de: Rechtsextremismus in der deutschen Burschenszene - geht es da um einzelne Burschenschafter auf Abwegen oder um mehr?
Dieter Heither: Wichtig ist vorab, zu unterscheiden: Die Rechtsextremismus-Vorwürfe gegen Burschenschaften beziehen sich nahezu ausschließlich auf Mitgliedsbünde der Deutschen Burschenschaft. Zu dieser gehören derzeit etwa 110 Verbindungen, mit etwa zwei- bis dreitausend Aktiven und etwa 14.000 "Alten Herren". Daneben gibt es noch die Neue Deutsche Burschenschaft, die von solchen Vorwürfen in der Regel nicht betroffen ist.
Die Deutsche Burschenschaft vertritt eine Programmatik, die man als völkisch bezeichnen muss, in der rassistische Haltungen, wie sie in letzter Zeit öffentlich wurden, angelegt sind. Kern dieser Programmatik ist der "volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff", der das Volk biologisch anstatt politisch definiert. Dieses Verständnis ist in den 1970er Jahren in der Deutschen Burschenschaft gleichsam verbandsoffiziell geworden. Liberalere Bünde traten damals gegen das Mensur-Schlagen ein, die rechten Bünde setzten durch, dass der "volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff" in die Programmatik aufgenommen wurde. Dadurch konnten die Burschenschaften in Österreich, die seit jeher als politisch rechtsaußen gelten, Mitglied in der Deutschen Burschenschaft werden. Seitdem drängt die Deutsche Burschenschaft kontinuierlich nach rechts, während die konservativ-liberalen Bünde zunehmend an Boden verlieren. 1996 traten dann einige Verbindungen aus und gründeten die Neue Deutsche Burschenschaft. Die Begründung für diesen Austritt lautete häufig, dass man es leid sei, mit den Rechtsextremen in einem Boot zu sitzen.
WDR.de: Was genau bedeutet dieser "volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff"?
Heither: Der "volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff" definiert das Volk biologisch anstatt politisch, also über das "Blut". Diesem Denken zufolge kann ein Österreicher Mitglied der Gemeinschaft werden kann, während der "chinesischstämmige" Deutsche, um den sich der Streit drehte, das "falsche Blut" hat und daher nicht Mitglied der Deutschen Burschenschaft werden kann. Dieses Volksverständnis ist in die Satzung der Deutschen Burschenschaft fest eingeschrieben. Von hier aus werden z.B. auch Gebietsansprüche abgeleitet – Südtirol gehöre zu Deutschland, die deutsche Wiedervereinigung erfülle nur einen Teil der Gebietsansprüche, das Zurückfordern der ehemaligen ostdeutschen Gebiete in Polen usw.
WDR.de: Streitpunkt ist nun die öffentliche Vermutung Christian Beckers - ebenfalls ein Mitglied der "Raczeks" -, Norbert Weidner sei "höchstwahrscheinlich einer der Köpfe der rechtsextremen Bewegung, die aus Burschenschaften, NPD und Kameradschaften besteht". Gibt es Verbindungen zwischen Burschenschaften und der NPD?
Heither: Schon seit den 1960er und 70er Jahren. Zwar gab es damals einen Beschluss innerhalb der Deutschen Burschenschaft, dass man sich von allen rechts- und linksextremen Organisationen distanzieren würde. In der Erklärung sind die linksextremen Organisationen aufgeführt, die rechsextremen dagegen nicht – auch, weil die NPD aus Sicht der Deutschen Burschenschaft damals keine rechtsextreme Partei war. Immer wieder hat auch der Verfassungsschutz Burschenschaften beobachtet. Und bevor der ehemalige FAP-Landesgeschäftsführer Norbert Weidner Schriftleiter der Deutschen Burschenschaft wurde, hatte dieses Amt Herwig Nachtmann inne, ein Aktivist der rechtsextremen Partei Österreichs NDP.
WDR.de: Der Hamburger Christian Becker ist Mitglied der Initiative "Burschenschafter gegen Neonazis". Welche Rolle spielt diese Gruppe?
Heither: Es gab in den letzten zehn Jahren immer mal wieder Zusammenschlüsse der letzten Reste liberal-konservativer Burschenschaften, meist in der Größenordnung von fünf bis 15 Bünden, mehr waren das nicht. Währenddessen hat die Deutsche Burschenschaft sich weiter durch bestimmte Aktionen radikalisiert. Aber in den letzten Jahren scheint sich die Stimmung doch zuzuspitzen. Die Sache mit dem "Chinesen" hat innerhalb der Burschenschaft hohe Wellen geschlagen, dann gab es diesen Artikel in der Zeitschrift der Deutschen Burschenschaft, in der der NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als Landesverräter bezeichnet wurde. Bisher gab es wenig Kritik an solchen Ereignissen, weil viele wohl Angst hatten, als Nestbeschmutzer zu gelten. Gegen diese Radikalisierung setzen sich aber nun offenbar einige Mitglieder zur Wehr. So hat vor etwa einem Jahr ein "Alter Herr" die internen Sitzungsprotokolle der Deutschen Burschenschaft ins Internet gestellt. Das sind alles Anzeichen dafür, dass es dort hinter den Kulissen ungeheuer kracht.
WDR.de: Burschenschaften sind sehr geschlossene Gesellschaften, von denen man als Außenstehender wenig mitbekommt. Welche Bedeutung können solche rechtsextremen Aktivitäten aus dieser Ecke überhaupt haben?
Heither: Das Milieu der Burschenschaften ist ja traditionell ein eher akademisches. Der Rechtsextremismus der Burschenschaften bewegt sich nicht auf militanter Ebene, sondern auf der geistigen. Sie sind eher "Schreibtischtäter", und das ist die weitaus gefährlichere Variante – die sich natürlich, nebenbei bemerkt, für die Medien schlechter in Bilder umsetzen lässt als die der prügelnden, glatzköpfigen Neonazis, die demonstrierend durch die Straßen ziehen. An den Universitäten sind die Burschenschaften durchaus präsent. Der Ring Freiheitlicher Studenten, eine neofaschistische Hochschulorganisation, wurde von Burschenschaftern genauso gegründet wie der studentische Hochschulverband der Republikaner. Und oft findet man an den Unis von Burschenschaftern ausgelegte Flugblätter, die eine geistige Nähe zum Rechtsextremismus aufweisen.
WDR.de: Welche Folgen könnte das Urteil in Bonn haben?
Heither: Wenn das Urteil zu dem Ergebnis käme, dass es sich bei der Deutschen Burschenschaft um eine Organisation handelt, in der rechtsextremes Denken programmatisch verankert ist, würde das eine Lawine lostreten, die viele Folgen haben könnte: Denn dann würden auch andere Verbindungen gezwungen, noch mehr auf Distanz zur Deutschen Burschenschaft zu gehen. Dann müsste auch deren Wirken an Universitäten, das Werben um neue Mitglieder, untersagt werden. Ich vermute aber, dass es nicht so weit kommen wird. Denn Christian Becker ist ja selbst Mitglied der Deutschen Burschenschaft, und er wird wohl kaum Selbstanzeige betreiben gegen seinen Verband, dessen Programm diese rechtsextremen Konnotationen enthält. Er wird die rechtsextremen Ausläufer, die als Pflänzchen ab und zu ans Tageslicht kommen, kritisieren. Aber das ganze Wurzelgeflecht, das darunter liegt, ans Tageslicht zu befördern, kann nicht sein Ziel sein, denn das würde bedeuten, dass er seinen Verband insgesamt in Frage stellen müsste.
Das Interview führte Nina Magoley.