Insel. „Ich bin froh, dass die Polizei hier ist, sonst hätte es Mord und Totschlag gegeben. “ Ingo Siebentaler lebt nur einen Steinwurf entfernt vom Haus der zwei Ex-Häftlinge in Insel. Er hat noch nicht allzu viel geschlafen.
Im Bademantel und mit unrasiertem Gesicht lehnt der Schichtarbeiter an diesem Morgen ziemlich geschafft in der Tür. An die Uniformierten und ihre Fahrzeuge vor seiner Wohnung hat sich der Endvierziger gewöhnt. Für Freitag hat er bei seinem Chef in Wolfsburg Urlaub eingereicht. Neonazis und Antifa wollen sich zeigen, Politiker mit Bürgern das Gespräch suchen. „Ich finde es richtig, dass die Landtagsfraktionen aus Magdeburg kommen – nach einem Jahr Unruhe im Dorf wird das aber auch Zeit. “.
Siebentaler stammt aus dem Raum Oebisfelde und lebt seit 2003 im Altmarkdorf bei Stendal. Ein Zugereister also. Der Streit um die ehemaligen Sicherungsverwahrten habe das Klima in Insel regelrecht vergiftet. „Die zwei Herren haben schlimme Dinge getan. Dafür sind sie auch zu Recht verurteilt worden. Sie haben gebüßt. Aber irgendwann muss auch einmal Schluss sein. Sie können daher wohnen, wo sie wollen“, findet er. Als annähernd 40 Leute am vergangenen Freitag das Haus der Männer stürmen wollten, hätten einige der Angreifer „Wir sind das Volk!“ gerufen. Siebentaler schüttelt den Kopf.
Ein 76-Jähriger, der seinen Namen nicht nennen möchte, winkt ab, er verstehe die ganze Aufregung nicht. „Um das Ganze wird doch viel zu viel Wind gemacht.“ Eine ähnliche Unruhe habe es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben, als in Insel immer wieder in Häuser eingebrochen wurde. Er könne nachts durchaus noch gut schlafen, andere aber eben nicht. „Die zwei Männer haben Dummheiten gemacht und sind dafür bestraft worden“. Mit einem der Ex-Häftlinge habe er sogar einmal locker geplaudert. Um des lieben Friedens willen sollten sie nun aber beide dennoch aus dem Dorf verschwinden. Irgendwo habe die Bürgerinitiative ja dann doch recht. Auf das Großaufgebot an Politikern könne der kleine Ort getrost verzichten. „Hingucken werde ich aber trotzdem mal.“
Spätestens dann dürfte sich die Anzahl der Ordnungshüter deutlich erhöht haben. An diesem Morgen ist es noch relativ ruhig. Die Straße mit dem Haus, in dem die ehemaligen Straftäter wohnen, ist seit den Ereignissen am Freitag zu beiden Seiten noch einmal besonders gesichert worden. Weitere Spontandemonstrationen können nicht ausgeschlossen werden. Junge Bereitschaftspolizisten aus Magdeburg schieben immer wieder einmal eines der sogenannten Hamburger Gitter beiseite und lassen eines der ungefähr zehn Fahrzeuge der Kollegen hinein oder heraus. Die Uniformierten leisten schon jetzt Zwölfstundenschichten.
Zwei, drei Straßen weiter stoppt ein Fahrzeug am Bordstein. Zwei Frauen nutzen die mobile Fischtheke zum Einkaufen. Für ein kurzes Schwätzchen bleibt auch noch Zeit. Ansonsten scheint Insel zu diesem Zeitpunkt fast wie ausgestorben. Das dürfte sich in ungefähr 30 Stunden ändern. Elke Rößler will unbedingt an der Veranstaltung mit den Kreis- und Landespolitikern im Altmarkdorf teilnehmen. Die Rentnerin will danach endlich „mit allen Leuten, ausdrücklich allen, friedlich und zufrieden“ zusammenleben, so die Ur-Inselerin. „Ob das irgendwann wirklich gelingen wird – wer weiß das schon?“
Von Marco Hertzfeld