Die Welt zu Gast im Flüchtlingsknast – Die Kehrseiten des neuen Flughafens Schönefeld.
Der Bau des Flughafen Schönefeld geht seinem Ende zu, Anfang Juni soll der Flugverkehr vom „größten Infrastrukturprojekt der Region“ wieder stattfinden. Derzeit ist in der Presse in diesem Zusammenhang viel über die Bürger_innenproteste gegen den zu erwartenden Fluglärm zu lesen. Wissenschaftler_innen und sog. ‘Expert_innen’ werden angehört, um die Frage zu klären, inwieweit den Anwohner_innen auch Nachts Fluglärm zuzumuten ist. Aber trotz dieser Proteste wird der Flugverkehr wohl bald wieder seinen Gang gehen und bei Lufthansa der Pauschalurlaub nach Thailand gebucht. Wer allerdings von außerhalb Europas hier herkommen will, hat es schwerer: Touristen sind in Berlin willkommen, Flüchtlinge und Asylsuchende sollen noch auf dem Flughafen in einer neugebauten Haftanstalt an der Einreise gehindert werden. Es ist leider nicht wirklich überraschend, wenn auch aus menschlicher Perspektive grotesk, dass der Bau eines Asylknastes auf dem Flughafengelände weit weniger öffentliches Interesse mobilisiert, geschweige denn Anlass zu größeren Protestaktionen der Berliner Bürger_innen zu sein scheint. Dies bleibt einer recht überschaubaren Menge linker Gruppen, einiger Wohlfahrtsverbände und Kirchen vorbehalten.
Das wollen wir ändern! Der geplante Asylknast auf dem Schönefelder Flughafen geht uns alle an! Deswegen wollen wir mit euch zusammen am 26. Mai auf einer antirassistischen Demonstration dem rassistischen Staat und seinen Abschiebegesetzen zeigen, was wir von diesem Bau halten!
Rassismus tötet!
Abschaffung des Rechtes auf Asyl 1993 – Abschaffung des Rechtes auf Asyl: Die Konsequenz aus der Geschichte ziehen: Bleiberecht für alle!
Demo gegen den Abschiebeknast Schönefeld.
26. Mai 2012, 16 Uhr, U-Bhf. Turmstraße
[Ziele: Bundesinnenminesterium, Berliner Ausländerbehörde]
Ein Knast auf dem Flughafengelände, what the fuck?!
Es scheint nicht zu reichen, dass die Zahl der bewilligten Asylanträge „dank“ der Änderung des Asylrechtes ’93 und der sogenannte Drittstaatenregelung weit zurück gegangen ist. Das Flughafenverfahren, also die Inhaftierung von Menschen noch auf dem Flughafengelände, soll nun diese Zahl weiter verringern, um die Abschottung gegen Migrant_innen zu verschärfen. Entstanden ist dieses menschenverachtende Instrument der Migrationsabwehr im Zuge der Schaffung einer gemeinsamen EU-Grenzpolitik. Deutschland hat auch hier eine Vorreiterrolle übernommen und sich für immer härtere Maßnahmen der Grenzkontrollen stark gemacht, leider erfolgreich. Das Flughafenverfahren wird, wenn es nach der deutschen Regierung geht, zur europäischen Richtlinie werden. Damit wären EU-Staaten zukünftig verpflichtet, beim Bau internationaler Flughäfen auch einen Abschiebeknast zu bauen. Das Flughafenverfahren soll so zum Exportschlager deutscher Abschottungspolitik für die ganze EU werden. Im Moment sind es Berlin/Brandenburg, die mit dem neuen Asylknast in Schönefeld die Position Deutschlands auf EU-Ebene stärken. Denn hier werden Fakten geschaffen, die Ausstrahlungskraft auf andere EU-Innenminister haben soll. Wenn nun deutsche Politiker_innen behaupten, sie seien durch die EU gezwungen, den Abschiebeknast in Schönefeld zu bauen, ist das der blanke Hohn. Schließlich waren sie es doch, die überhaupt erst für die Etablierung dieses Verfahrens verantwortlich sind.
Wie funktioniert das sogenannte Flughafenverfahren?
Das Flughafenverfahren setzt die in Deutschland sowieso schon demontierten Möglichkeiten außer Kraft, das Recht auf Asyl wahrzunehmen. Wer auf dem Luftweg einreist und als „Flüchtling“ tatsächlich oder vermeintlich erkannt wird – da keine gültigen Papiere vorhanden sind – kann noch auf dem Flughafengelände festgenommen werden, um eine Einreise ins Land zu verhindern. An der Passkontrolle wird also zwischen der gewollten Einreise zwecks Tourismus und der Einreise ungewollter Menschen unterschieden.
Auch Menschen, die mit der Absicht, Asyl beantragen zu wollen, hierher
kommen, aber auf dem Einreiseweg einen sogenannten angeblich „sicheren
Drittstaat“ passiert haben, können sofort inhaftiert werden. Man geht
davon, dass der_diejenige hätte im Transitland verbleiben und dort Asyl
beantragen können. Durch die Unterlassung verwirkt in dieser Logik
der_die Migrant_in das Recht, überhaupt einen Asylantrag in Deutschland
stellen zu können und ist per se „illegal“ eingereist. Somit liefert die
„Drittstaatregelung“ nicht nur die rechtliche Grundlage für die
Inhaftnahme und Festhalten am Flughafen, sondern soll so viele
Asylsuchende vom Antrag, der ihnen zumindest einen vorübergehenden
Aufenthaltsstatus erlauben würde, abhalten. In beiden Fällen wird die
Migration kriminalisiert und der bloße Wunsch, in Deutschland bleiben zu
wollen, ist die „Straftat“.
Finden sich bei den internierten Migrant_innen doch Kriterien, die zum
Asylantrag berechtigen, wird dann binnen weniger Tagen, in der Regel
noch in den ersten drei, in einem beschleunigten Verfahren über den
Antrag entschieden – in den meisten Fällen negativ. Der Freiheitsentzug
gilt dann der „Sicherung des Verfahrens“, wie es im deutschen
Behördensprech so schön heißt. So können Menschen bis zu 30 Tagen, in
manchen Fällen sogar mehrere Monate, im Knast auf dem Flughafen
festgehalten werden, immer mit der juristischen Rechtfertigung, sie
seien ja noch nicht auf deutschem Boden, sondern in einem
Transitbereich. Der Flughafen wird so zur exterritorialen Zone erklärt,
auf dem Menschen keinen Anspruch auf rechtsstaatliche Standards hätten.
In Düsseldorf und in Frankfurt wird das Flughafenverfahren bereits seit
einigen Jahren angewendet und hat die Chancen für Migrant_innen, hier
einen Aufenthalt zu bekommen, extrem verschlechtert. Wenn dieses
Verfahren nun zum deutschen Standard werden sollte, ist damit eine
Grundlage für die endgültige Aushebelung der Möglichkeiten geschaffen,
die Einreisewilligen nach der Grundgesetzänderung im Jahr 1993, der
de-facto Abschaffung des Asylrechts, noch bleibt. Denn mit der
Konstruktion des „sicheren Drittstaats“ werden die Menschen, die durch
andere Länder hierher kommen, faktisch von jeder Möglichkeit, Asyl zu
bekommen, gänzlich abgeschnitten. Deutschland hat über Abkommen eine
Pufferzone aus Staaten um sich geschaffen, die als „sicher“ gelten und
in die in der Folge dann auch zurückgeschoben werden kann.
Mit der rechtlichen Grundlage des „Flughafenverfahrens“ wurde es
möglich, auch den kleinen Rest der Menschen, die direkt aus dem
Herkunftsland einreisen und bei denen so die Drittstaatenregelung nicht
greift, erfolgreich abzuwehren.
Was hat das alles mit Rostock-Lichtenhagen zu tun?
Das Flughafenverfahren und die Umsetzung der Drittstaatenregelung sind keine brandneue Erfindung von Politik und Behörden. Ihren Ursprung finden diese und andere restriktive Flüchtlingsgesetze im Jahr 1993, in Form der faktischen Abschaffung des Asylgesetzes. Dem vorangegangen war eine massive politische und mediale Hetzkampagne gegen Asylsuchende, die immer wieder das Bild der „Asylantenschwemme“ bemühte. Direkte Folge und schlussendlich logische Konsequenz aus der rassistischen Propaganda war das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. Über mehrere Tage und Nächte, vom 22. bis zum 26. August 1992, griffen „normale Bürger“, rechte Jugendliche und organisierte Neonazis das „Vertragsarbeiter“-heim an.
Bereits Tage zuvor war dem Mob die Vertreibung der Flüchtlinge aus dem
ehemaligen Jugoslawien gelungen, die gezwungen gewesen waren, Hilfe
suchend vor der dichten „Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber“
(ZAst ) zu kampieren. Unter frenetischem Beifall der Lichtenhagener
Bevölkerung und im Siegestaumel über das Erreichte setzte die
rassistische Meute ihr Werk fort. Nach der Evakuierung der
Flüchtlingssammelstelle attackierten sie das benachbarte Wohnhaus, in
dem 115 Vietnamesi_innen lebten, mit Brandsätzen und Steinen Dass in
diesen Tagen keine Menschen umkamen oder verbrannten, war pures Glück.
Die Fanalwirkung dieses furchtbaren Ereignisses wurde von der Politik gekonnt gelenkt, um das „Problem“ beim „ungebremsten Zustrom“ von „Asylanten“ zu verorten und gleichermaßen die „Lösung“ zu präsentieren:
„Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung
des Asylrechtes dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch
den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird“.
So der damalige Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Berndt
Seite (CDU) – einen Tag nach den Pogromen. Dieser offiziellen
Solidarisierung mit dem rassistischen Mob folgten in den nächsten vier
Wochen Dauerkrawalle und Anschläge gegen Migrant_innen. Allein in einer
Woche wurden im ganzen Bundesgebiet 48 Übergriffe auf Migrant_innen und
ihre Unterkünfte gezählt .
Im 20. Jahr des Gedenkens an die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen möchten wir mit der Kampagne „Rassismus tötet!“ dem Vergessen dieses dunklen Abschnittes der jüngsten deutschen Geschichte und der bis heute immer stärker räsonierenden, staatlich sanktionierten Diskriminierung gegen Flüchtlinge etwas entgegensetzen. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, durch die Kampagne die Auseinandersetzung auf die im Jahr 1992 grassierenden, rassistischen Pogromen und Übergriffen zu focussieren, mit besonderer Bezugnahme auf die Pogrome in Rostock. Die Kampagne konzentriert hinsichtlich des mehr als fragwürdigen Vorgehens seitens des Staates und der Medien im Fall Rostock auf die Frage, wie Rassismus damals und heute wirkt. Gleichzeitig ist sie der Versuch, aktuelle antirassistische Kämpfe zu stärken und untereinander zu verbinden. Denn die infernalischen Ereignisse in den Jahren zwischen ’91 und ’93, in denen in ganz Deutschland die Menschenjagd auf Migrant_innen und schwarze Deutsche zum kollektiven Volkssport wurde, hängen eng mit den Veränderungen in der Asylgesetzgebung zusammen, die auch das Flughafenverfahren möglich machte. Die rassistischen Pogrome, Ausschreitungen und Brandanschläge des Jahres 1992 nicht nur in Rostock, sondern auch in Hoyerswerda, Mannheim und anderen, unzähligen Orten mussten als schlagkräftige Argumente für die Regierung herhalten, um drei Monate später, am 6.Dezember, die über den „Asylkompromiss“ erzielte Asylrechtsreform im Parlament durchzusetzen.
Im Juni 1993 trat das neue Gesetz in Kraft. Die politisch
Verantwortlichen beziehen sich heute hinsichtlich der kontrovers
diskutierten Thematik des Flughafenverfahrens auf jene Gesetzesreform,
dessen Konsequenzen Flüchtlinge zu Menschen dritter Klasse degradieren
und sie ihrer Menschenwürde berauben. Also betrachten wir das
Flughafenverfahren als den heute sichtbaren, strukturellen Fortbestand
des damals institutionalisierten Rassismus.
Mit der Begründung, die Gewaltorgien der Bevölkerung seien offenbar ein Zeichen, dass den Deutschen nur eine sehr begrenzte Zahl an Migrant_innen zuzumuten sei, hatte man das Gesetz um restriktive Einschränkungen durch sogenannte Regelungen wie die der „sicheren Drittstaaten“ ergänzt.
Eine weitere Ergänzung ist der Absatz über „sichere Herkunftsstaaten“,
nach der all diejenigen, die von einem „sicheren“ Herkunftsstaat aus
einreisen, sofort wieder in diesen abgeschoben werden können. Wer also
tatsächlich beweisen kann, nicht über andere EU-Staaten hergekommen zu
sein, wird im Zweifelsfall aber auch gerne in Folterstaaten abgeschoben.
Die Definition, welche Länder als „sichere Herkunftsländer“ gelten, ist
dem Auswärtigen Amt vorbehalten und beruht oft auf erwiesenermaßen
irrige Annahmen über die jeweiligen, vorherrschenden Verhältnisse. Auch
hier übernahm Deutschland wieder die praktische und ideologische
Führung, als es darum ging, diese Abschottungs-Maßnahme zur allgemeinen
EU-Richtlinie zu machen, was dann 2003 mit der sogenannten „Dublin-II
Verordnung“ umgesetzt wurde.
Das alles sollten Gründe genug sein, die Einführung des Flughafenverfahrens auf dem neuen Flughafen Schönefeld und den Bau des Asylknasts nicht einfach widerspruchsfrei passieren zu lassen und aktiv zu werden. Mit der Demo gegen den Flughafen wollen wir gegen ein Verfahren protestieren, das menschenverachtend und pur rassistisch ist! Wir sind für die Abschaffung aller beschissenen Abschottungs-Maßnahmen und für bedingungsloses Bleiberecht!
Die Abschaffung des Asylrechts ist keine Konsequenz der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen 1992, sondern beides sind Ergebnisse des rassistischen Konsens der deutschen Mehrheitsgesellschaft!
Der ausbleibende Protest zeugt vom fehlenden Geschichtsbewusstsein,
deswegen sagen wir: Kein Mensch ist illegal! Bleiberecht für alle! Die
Konsequenz aus der Geschichte ziehen bedeutet darum gegen das
rassistische Flughafenverfahren mit allem Mitteln vorzugehen!
Demo gegen den Abschiebeknast Schönefeld.
26. Mai 2012, 16 Uhr, U-Bhf. Turmstraße
Kampagne „Rassismus tötet!“
http://rassismus-toetet.de/