Berlin mausert sich zum Immobilienmekka

Erstveröffentlicht: 
19.03.2012

Es war einmal ein Berliner Bezirk, der war bei jungen Familien und Studenten sehr beliebt. Er war bekannt für seine zahlreichen Kneipen und eine starke alternative Szene. Und einmal im Jahr, am 1. Mai, machte dieser Stadtteil bundesweit Schlagzeilen, wenn die alternativen Feierlichkeiten zum Tag der Arbeit regelmäßig in Randale ausarteten.

 

Die Mai-Randale gibt es in Kreuzberg noch heute. Ansonsten verändert der Bezirk, der offiziell Friedrichshain-Kreuzberg heißt, jedoch rasant sein Gesicht. Die Immobilienpreise ziehen seit Jahren an. Eigentumswohnungen kosten mittlerweile 1.900 Euro je Quadratmeter. Das ist im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten immer noch moderat. Aber viele Studenten und junge Familien können sich Kreuzberg nicht mehr leisten. Sie weichen zunehmend in das nahe gelegene Lichtenberg aus, wo es den Quadratmeter für 1.550 Euro gibt – noch. Denn die Tendenz ist auch hier stark steigend.

 

Nach jahrelanger Flaute ziehen die Immobilienpreise in Berlin stadtweit kräftig an. Im vergangenen Jahr sind die Preise in beliebten Stadtteilen um zehn bis 15 Prozent gestiegen, berichtet der Immobilienverband Deutschland (IVD). Bezirke mit ganz unterschiedlichen Charakteren verspüren eine anziehende Nachfrage. In Kreuzberg und Lichtenberg steigen die Preise ebenso wie in Steglitz-Zehlendorf, einem bürgerlichen Stadtteil im Südwesten Berlins, dessen Gründerzeit-Villen bisher eher ältere Semester anzogen.

 

Aufholpotenzial besteht in Berlin genug. Zwischen 1977 und 2010 stiege die Immobilienpreise hier lediglich um 25 Prozent, zeigen Daten des IVD. In Hamburg verteuerte sich Wohnraum im gleichen Zeitraum um 55 Prozent, in München zogen die Preise um 135 Prozent an.

 

In den Berliner Boom-Vierteln Mitte und Charlottenburg kostet der Quadratmeter inzwischen über 2.000 Euro, im Schnitt liegt er in beliebten Lagen aber immer noch bei maximal 1.700 Euro, in Standardlagen bei 1.200 bis 1.300 Euro. Zum Vergleich: Im Hamburg zahlen Immobilienkäufer im Schnitt 2.230 Euro pro Quadratmeter, in München sind es gar 2.890 Euro.

 

Doch die Nachfrage in Berlin wächst stetig. Das macht die Hauptstadt zum attraktivsten Markt für Wohnungsinvestitionen unter 27 europäischen Großstädten, ergab eine Umfrage von PricewaterhouseCoopers unter Immobilienexperten.

 

Schon jetzt ruft der Preisanstieg Immobilienentwickler auf den Plan, inzwischen sogar im Luxussegment. Der Schweizer Immobilienentwickler Peach Property Group baut derzeit sein zweites Wohngebäude in Berlin. Der Komplex namens Yoo ist eine Kooperation mit dem Designer Philippe Starck, die 87 Wohnungen kosten insgesamt 83 Millionen Euro.

 

„Vor fünf Jahren wären wir vorsichtiger mit dem Bau von Luxuswohnungen in Berlin gewesen, aber die Nachfrage in diesem Segment hat deutlich angezogen und dürfte Bestand haben", sagt der Vorstandsvorsitzende von Peach Property, Thomas Wolfensberger.

 

Die Yoo-Wohnungen liegen nahe der Luxus-Einkaufsmeile Friedrichstraße im Stadtteil Mitte und kosten durchschnittlich etwa 6.500 Euro pro Quadratmeter. Obwohl der Bau noch in einem frühen Stadium ist, sind bereits etwa 60 Prozent der Apartments verkauft oder reserviert, berichtet Wolfensberger.

 

Die meisten Yoo-Käufer kommen aus dem Ausland. Peach Property zielt auf Interessenten aus Hongkong, Australien, New York und Singapur ab. Die Käufer wollten überwiegend selbst in ihrem Apartment wohnen und betrachten es nicht nur als Geldanlange, heißt es.

 

Bei der Stadt laufen Immobilienentwickler offene Türen ein. Berlin habe noch viele Brachflächen, sogar im Stadtzentrum, sagt Andreas Schulten, Vorstandsmitglied des Berliner Immobilienmarktforschers BulwienGesa. Dies macht es Entwicklern leicht, Grundstücke für ihre Projekte zu finden. Große Freiflächen gibt es beispielsweise nördlich des Hauptbahnhofs, auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof und im Osten Friedrichshains.

 

Wohnungspreise unter 2.000 Euro pro Quadratmeter decken möglicherweise nicht die Baukosten, doch Käufer sind bereit, für Neubauten mehr zu bezahlen. In Friedrichshain-Kreuzberg werden neue Wohnungen im Schnitt für 2.700 Euro je Quadratmeter verkauft, berichtet Schulten.

 

Trotz der höheren Preise sind Neubauten beliebt, da die Heizkosten niedriger sind und die Käufer eine „rundum-sorglos-Immobilie" wollen, bei der sie 30 Jahre lang keine größeren Instandhaltungskosten fürchten müssen, sagt Schulten. Gekauft würden die Wohnungen vor allem von berufstätigen jungen Paaren.

 

Der Hauptgrund für die anziehende Nachfrage ist nach Schultens Ansicht die Beschäftigungsentwicklung. Mitte vergangenen Jahres waren in Berlin 14 Prozent mehr Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt als 2005. Aber auch die Angst vor Geldentwertung spielt den Verkäufern in die Hände: „Die Hoffnung, dass Immobilieninvestitionen das Vermögen vor Inflation schützen, ist für viele ein Kaufgrund, sagt Schulten.