„Die Nazis haben sich in Insel einfach willkommen gefühlt“

Die Nazis haben sich in Insel einfach willkommen gefühlt

Am Freitag, dem 16. März, trafen sich wieder ca. 50 Personen, um in dem Dorf Insel (bei Stendal) gegen die Anwesenheit zweier verurteilter Sexualstraftäter zu demonstrieren. Anders als bei den Protesten zuvor waren diesmal auch Antifaschist_innen anwesend, um sich selbst ein Bild von der Situation zu verschaffen und mit den Demonstrant_innen über die bisher negativen Aspekte des Protests zu diskutieren. Gleichzeitig wurde ein offener Brief, der an die Dorfgemeinschaft gerichtet war, an jeden Haushalt verteilt. Am Folgetag demonstrierten 35 Antifas in Insel, um ein Zeichen gegen die Forderung nach der Todesstrafe und die Zusammenarbeit mit Nazis zu setzen.

 

Was war passiert?


Im Sommer letzten Jahres zogen zwei verurteilte Sexualstraftäter in das sachsen-anhaltinische Dorf Insel. Die beiden Männer hatten jeweils 5 Jahre Haft und 20 Jahre Sicherungsverwahrung verbüßt. Sie waren nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesgerichtshofs aus der nachträglich verhängten Sicherungsverwarung entlassen worden und wohnten zunächst in Freiburg im Breisgau. Ein in der baden-württembergischen Stadt ansässiger Tierarzt stellte ihnen ein Wohnhaus in Insel zur Verfügung. Einige Woche nach dem Zuzug wurde vom Inseler Ortsbürgermeister Alexander von Bismarck (CDU) die Geschichte der beiden Männer im Ort publik gemacht.


Kurz darauf begann eine Gruppe von Menschen aus Insel und Umgebung, vor dem Haus der beiden Männer zu protestieren. Sie forderten „Raus aus Insel!“ und klopften auf Küchenutensilien herum. Die Stimmung heizte sich immer mehr auf und bot so den Nährboden für ein paar Betrunkene, die versuchten, das Haus der Männer anzuzünden. Auch dieses erschreckende Ereignis wurde unkommentiert von den Protestierenden hingenommen. Kein Wunder, dass sich schon bald Nazis aus dem Jerichower Land und Umgebung den Protesten anschließen und in Insel willkommen fühlen konnten. So nahmen an den Demonstrationen an manchen Tagen bis zu 70 organisierten Neonazis teil, die als Unterstützer_innen der eigenen Sache begrüßt wurden. Auch Bismarck, der oft als Anmelder der wöchentlichen Kundgebungen fungierte, ließ die Teilnahme der Nazis zu. Auf entsprechende Anfragen der Presse entgegnete er, nicht darüber entscheiden zu wollen und dass Menschen mit den gleichen Forderungen ja gerne an der Demonstration teilnehmen könnten.


Seine Rolle bei der negativen Entwicklung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Kritik an seiner Person wurde deswegen strömungsübergreifend geäußert und auch der AK Antifa erkennt eine große persönliche Mitschuld durch sein Verhalten.


Eine Zeitlang wollten die beiden Männer aus Insel wegziehen.Nachdem  einer der beiden (inzwischen 64-jährig) jedoch schwer erkrankte, wurden diese Pläne aufgegeben. Seit einigen Wochen ließen sich keine organisierten Nazis mehr in Insel blicken, nachdem sie am 5. Februar durch die Poizei vom übrigen Bürgermob getrennt worden waren. Grund dafür war, das die Veranstalltungsleitung sie plötzlich nicht mehr auf ihrer Demo haben wollten. Seitdem zeigten sich nur einzelne Kader, die aber nicht an den Demonstrationen teilnehmen durften. Trotzdem kam es nicht zu eine offenen Distanzierung von der Forderung der Todesstrafe oder von den organisierten Nazis.

 

Eine Insel mit zwei Gesichtern


Da eine antifaschistische Intervention mehr als überfällig war, entschieden sich einige Menschen, am Freitag, dem 16. März, nach Insel zu fahren, um sich einen persönlichen Überblick in Insel zu verschaffen. Im Ort stand vor dem Wohnhaus der beiden Männer ein 50-köpfiger Mob, monoton „Raus aus Insel!“ grölend. Das augenscheinliche Auftreten dieser Ansammlung war sehr aggressiv; diesmal waren aber keine größeren Gruppen von Nazis zu erkennen. Als Antifaschist_innen versuchten, sich verbal mit dem Mob und Einzelpersonen auseinanderzusetzen, wurde auch ihnen mit der plumpen Aussage „Raus aus Insel!“ begegnet. Dennoch unverzagt wurde am Freitag an alle Haushalte ein offener Brief an die Einwohner_innen Insels verteilt. In diesem wurde die Forderung nach der Todesstrafe und die Zusammenarbeit mit Nazis kritisiert und gefordert, sich von diesen zu distanzieren. Zusätzlich wurde die Doppelmoral der Dorfgemeinschaft thematisiert, welche sexualisierte Gewalt als ein nur von außen kommendes Problem sieht und in Ortsfremde projeziert. Es zeigte sich im Laufe des Abends noch, dass es einen größeren Zwiespalt innerhalb der Anwohnerschaft gibt. Anders als in den meisten Medienberichten zu erfahren war, gibt es in Insel auch Menschen, die sich klar gegen Nazis aussprechen wollen und die die Anwesenheit der Antifas deshalb begrüßten.


Am Samstag, dem 17. März, fand eine antifaschistische Demonstration in Insel statt, um den Forderungen des offenen Briefs Nachdruck zu verleihen. Mit einem Bus reisten Antifaschist_innen aus Magdeburg an; aber auch Menschen aus der Altmark waren zu Unterstützung mit vor Ort. Mittels Transparenten, Schildern, Parolen und Handzetteln sollte die Situation im Ort skandalisiert werden. Hauptaugenmerk lag aber auf dem Versuch, durch Gespräche die Stimmung im Dorf zu erfassen und die Menschen zur Reflexion anzuregen.


Obwohl die Polizei sehr massiv auftrat (zum Vergleich: An den Kundgebungen gegen die Anwesenheit der Verurteilten in Insel waren bis zu 70 Nazis beteiligt, es wurde aber weniger Polizei eingesetzt als bei der Antifa-Aktion am 17. März), gab es im Verlauf der Demonstration die Möglichkeit, viele Einzelgespräche mit Bürger_innen zu führen. So kam es immer wieder zu Diskussionen und Gesten, in  welchen sichtbar wurde, dass viele Menschen in Insel die Forderung nach  der Todesstrafe und die Anwesenheit von bekennenden Nazis keineswegs unterstützen. Die Ambivalenz, dass sich einerseits Anwohner_innen unserer Kundgebung angeschlossen oder dieser zugejubelt haben, es aber auch fortwährend zu Pöbeleien gegen die teilnehmenden Antifaschis_innen kam, verdeutlicht die Notwendigkeit einer Intervention progressiver Kräfte bei diesen Themen. Aussagen wie „Todesstrafe [ist] doch OK“ oder „Straftäter ins KZ [zu] stecken“ als angemessene Lösung zu vertreten, offenbart, wie weit sich reaktionärstes Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft befindet und in Gesprächen auch ohne Scheu offen zur Schau gestellt wird. Es ist sinnvoll, sich der Auseinandersetzung zu stellen und zu versuchen, durch Etablierung einer Gegenmeinung einer schleichenden Akzeptanz von Forderungen, die hinter den Menschenrechten zurückfallen, entgegenzuwirken.

 

Fazit und Ausblick

 
Wir möchten uns an dieser Stelle bedanken bei allen Menschen, die uns unterstützt haben. Besonderer Dank gilt der Antifaschistischen Aktion Salzwedel und der Antifa Westhavelland.

 

Trotz der relativ kleinen Demo am 17. März waren die Aktionen in Insel ein wichtiger antifaschistischer Erfolg. Unsere Kritik konnten wir mittels des offenen Briefs und durch die Demo öffentlichkeitswirksam artikulieren.


Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in Insel weiter entwickelt; aber für uns steht fest: Solange Nazis ungehindert in Insel agieren können, werden auch weitere antifaschistische Interventionen notwendig sein. Dabei ist uns natürlich bewusst, dass Insel keineswegs einen Einzelfall in Deutschland darstellt und die Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe immer häufiger ein Anküpfungspunkt für Nazis darstellt – ein deutliches Zeichen mangelden Demokratieverständisses und der Zunahme autoritären Gedankenguts im Kleinbürgertum. Letztes Ziel kann es nur sein, dass sich die Menschen in Insel/Stendal künftig selber bemühen, einer solchen Entwicklung entgegenzutreten.

 

Arbeitskreis Antifaschismus Magdeburg
akantifa.blogsport.eu