Auf Spurensuche in Karlsruhe: Geschichte von unten
Helmut Kohls geistig-moralische Wende kam 1982. Tschernobyl explodierte 
1986. Die Mauer fiel 1989. Die 1980er, das war das Jahrzehnt von „ein 
bisschen Frieden“, von Stulpen und grellen Seidenblousons. In Karlsruhe 
wurde die Grüne Partei gegründet, Winfried Schäfer führte den KSC in die
 erste Bundesliga und im Wildparkstadion fand 1985 das Monsters of 
Rock-Festival statt.  
So könnte das Jahrzehnt im Stenogramm nach offizieller Lesart zusammenfasst werden. Geschichte ist erinnerte und ausgedrückte Vergangenheit. Weil sie identitätsstiftend ist, ist sie auch umkämpft. Es erstaunt daher nicht, dass Geschichte gewöhnlich als die Geschichte der Herrschenden erzählt wird. Die Geschichten, an die wir erinnern wollen, sind zwar andere als die der Herrschenden, sind jedoch keineswegs losgelöst davon – im Gegenteil. Die herrschenden Verhältnisse, die Geschichte von oben, sind in Wechselwirkung mit den radikalen Aufbrüchen zu denken, denen wir nachspüren wollen, der Geschichte von unten.
Auf unserer Spurensuche sind wir mit Aktivisten und Aktivistinnen aus 
Karlsruhe zusammengekommen, die in den 1980er Jahren in linken 
Bewegungen aktiv waren.  Die Erinnerung Ihrer Vergangenheit ist nicht 
lückenlos, auch nicht objektiv oder repräsentativ.  Aber  der Austausch 
über Ihre Erlebnisse ist die denkbar unmittelbarste und lebendigste 
Auseinandersetzung mit  Ausschnitten linker lokaler Bewegungsgeschichte.
 Denn Ihre Träume und Kämpfe sind Teil unserer gemeinsamen Geschichte.
Die Ausgangssituation
Maggie Thatcher brachte es 1980 auf den Punkt:  Mit ihrer als 
alternativlos ausgerufenen Wende zum Neoliberalismus formulierte sie den
 Schlussakkord eines Kampfzyklus, der seinen Ausgangspunkt in den 
Kämpfen 1968/1969 hatte.  Anfang der 1980er Jahre war die APO-Bewegung 
zerfahren und aufgesplittert: Ein Teil der revoltierenden Studenten und 
Studentinnen hatte der Bewegung den Rücken gekehrt und den Marsch durch 
die Institutionen angetreten, ein anderer Teil hatte sich mit den 
Herausforderungen des grünen oder kommunistischen Parteiaufbaus  
verzettelt und wieder andere versuchten, die Bewegung mithilfe des 
bewaffneten Kampfes zu reanimieren. Auf der anderen Seite hatte das 
Kapital die Revolten von Anfang der 1970er Jahre verarbeitet und in der 
Nachfolge die Grundlagen  heutiger Produktions- und 
Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Mit der Wahl von Ronald Reagan, 
Maggie Thatcher und Helmut Kohl wurde dieser Umbruch politisch 
abgesichert und in staatliches Handeln überführt. Seither sind in den 
entwickelten Industrieländern der Produktions- wie der 
Reproduktionsbereich neoliberalen Umgestaltungsprozessen unterworfen.
Auf diese muffige Restauration knallte die Ungestümtheit der sozialen 
und autonomen Bewegungen, mit denen wir uns im Rahmen der Gesprächsreihe
 beschäftigen wollen. 
Unsere Ausschnitte aus der Geschichte:
Die antiimperialistische Bewegung:
Die Aktivisten und Aktivistinnen der antiimperialistischen Bewegung 
stemmten sich gegen den Zerfall und die Zersplitterung des Aufbruchs von
 1968/69. Sie schöpften Hoffnung aus den Kämpfen der antikolonialen und 
antiimperialistischen Befreiungsbewegungen weltweit. Ihren Kampf hier 
stellten sie in den Zusammenhang der Kämpfe dort – und genau wie dort 
wurde auch hier Freiheit als nur durchsetzbar gedacht, wenn der 
bewaffnete Kampf ein Teil des Widerstands ist. 
Im Gespräch werden wir zwei Aktivisten kennenlernen, die sich auch der 
Kehrseite des antiimperialistischen Widerstands zuwandten: Sie haben 
viel Kraft in die Solidaritätsarbeit für die politischen Gefangenen 
gesteckt.
Dienstag, 03.04.2012 | 19hr | Planwirtschaft
Die feministische Bewegung:
Wir treffen auf zwei Aktivistinnen der feministischen / 
FrauenLesben-Bewegung. Sie werden von Ihrer Wut, die die fortwährende – 
auch gewalttätige – Unterdrückung von Frauen und die gesellschaftliche 
Intoleranz lesbischen Lebensformen gegenüber ausgelöst hatte, erzählen. 
Und Ihrem radikalen Aufbruch: Sie machten sich auf  die Suche nach einer
 unabhängigen Identität als Frauen und Lesben und entwickelten eine 
eigene Kultur, samt der dazugehörigen Räume und Strukturen, diese 
ausleben zu können.  Die beiden verorten sich in der autonomen 
FrauenLesben-Bewegung und waren u.a. an der Herausgabe der Karlsruher 
Frauenzeitschrift Lava beteiligt.
Mittwoch, 11.04.2012 | 19hr | Planwirtschaft
Die Jobber_innen in Bewegung:
Sie waren der autonome Gegenentwurf zur produktionsorientierten 
Traditionslinken. Unter der Losung „Nieder mit der Arbeit!“ griffen sie 
in die Klassenverhältnisse ein. Die Karlsruher Jobber und Jobberinnen, 
mit denen wir sprechen werden, waren immer wieder bei 
Auseinandersetzungen in Betrieben präsent, genauso wie sie auch mit 
Broschüren, z.B. mit Tipps zum Krankfeiern,  versuchten, die 
Arbeitsverweigerung zu befeuern. 
Das damalige „Jobberzentrum“  war sozialer Treffpunkt, Redaktion und 
Druckerei in einem. Ein Druckwerk, das in dieser Zeit aus der Karlsruher
 Stadtzeitung entstand, gibt es heute noch: Die „wildcat“. Und noch 
etwas gibt es heute (leider) noch: Die Arbeit. 
Mittwoch, 18.04.2012 | 19hr | Planwirtschaft
Die Autonomen in Bewegung:
Den Autonomen, wenn es überhaupt zulässig ist, diesen gespreizten 
Begriff einer Bewegung zuzuordnen, begegnen wir in Männergestalt. Ihr 
Auftreten und Ihr Lebensentwurf ist vielleicht derjenige, der auch heute
 noch als der geläufigste erinnert wird, galt dieses Jahrzehnt doch als 
Geburtsstunde und zugleich als Höhepunkt der autonomen Bewegung. Die 
Autonomen wirbelten durch das Jahrzehnt: Massenhaft und militant waren 
sie an unzählbaren Auseinandersetzungen – Häuserkämpfe, StartbahnWest, 
Anti-AKW-Demos – in den 1980er Jahren beteiligt. 
Zwei Jahrzehnte später ist es ruhiger um die autonome Bewegung geworden.
 Auch unser Aktivist hat Knüppel, Hasskappe und Lederjacke an den Haken 
gehängt.
Montag, 23.04.2012 | 19hr | Planwirtschaft  

