[No Tav] Die Verhaftungen gehen nicht auf

Antonio kommt aus der Haft

Die Repressionswelle gegen die No Tav Bewegung traf am 26. Januar in unterschiedlicher Form 52 Personen. Nebst 52 Durchsuchungen hatte die Turiner Staatsanwaltschaft in 26 Fällen die Verhaftung der Betroffenen angeordnet und in weiteren 15 Fällen hatte sie sonstige Freiheitsentziehende bzw. –einschränkende Maßnahmen verhängt. In Haft sind noch 12, die meisten anderen leben unter Auflagen, die vom Hausarrest bis zur täglichen Meldepflicht bei der Polizei reichen. Einige Informationen über die Qualität der staatsanwaltschaftlichen Unternehmung liefern die Einschätzungen zweier Juristen.

 

Wir veröffentlichen in der Folge einen von Livio Pepino, einem bekannten heute pensionierten Richter, der bis 2010 Mitglied des obersten Gerichtsrats, dem Selbstverwaltungsorgan der Richter und Staatsanwälte, war, vefassten Artikel. In der Vergangenheit war er am Kassationshof tätig, stellvertretender Oberstaatsanwalt in Turin und Vorsitzender der Vereinigung Magistratura democratica. Kurzum, ein Name, der im Justizwesen zählt. In einem heute in der Zeitung Il Manifesto veröffentlichten Beitrag zögerte er nicht, die vom leitenden Statsanwalt Caselli auf die Beine gestellte Operation anzugreifen. In Pepinos Beitrag bestätigt er in wesentlichen Punkten die Bewegung, die den Standpunkt vertritt, dass diese Operation einen Angriff auf den Dissens der Bevölkerung und auf den No Tav Protest darstellt.

 

 

Die Verhaftungen gehen nicht auf

 

29. Januar 2012

 

Die in den vergangenen Tagen erfolgte Anordnung der Sicherungsmaßnahme gegen einige Dutzend No Tav wegen Vorfällen, di sich vor sieben Monaten ereigneten stellt keine subjektive Forcierung dar (auch deshalb sind die Polemiken und die persönlichen Angriffe fehl am Platze). Sie stellt etwas weit schwerwiegenderes dar: eine Etappe der Umwandlung der gerichtlichen Intervention vom Mittel zur Feststellung und Ahndung individueller Verantwortlichkeiten (die per se diversifiziert sind) zum Instrument der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung. Ich werde versuchen, mich mittel einiger Beispiele verständlich zu machen.

 

Erstens. Die Notwendigkeit, die nötigen Ermittlungen zur Feststellung von Verantwortlichkeiten in Zusammenhang mit im Laufe der Demonstrationen begangenen Straftaten stand - und steht, zumindest aus meiner Sicht - nicht zur Debatte. Die Art und Weise, wie dies erfolgte, ist jedoch nicht einerlei. Beginnen wir mit den Sicherungsmaßnahmen. Sie waren nicht zwingend, also ist deren Anordnung ein Ermessensentscheidung gewesen. Zudem erlauben die Straftaten theoretisch und bei Ausgleich von mildernden und erschwerenden Umständen die Aussetzung der Strafe zur Bewährung oder den unmittelbaren Zugang zu Alternativmaßnahmen zur Haft.

 

Der Regel nach hätte man gegen Beschuldigte auf freiem Fuß vorgehen müssen. Warum also, die Entscheidung für die Verhaftung? Die Anordnung des Untersuchungsrichters sagt es mit fast naiver Offenheit: "Die Arbeiten für den Bau der Bahnlinie Turin-Lyon werden mindest weitere zwei Jahre andauern; Der Kontext in dem die gewalttätigen Episoden herangereift sind wird demzufolge nicht in absehbarer Zeit ein Ende haben; darüber hinaus hat die No Tav Bewegung öffentlich weitere Initiativen um di Arbeiten zu stören angekündigt". Die Benennung der No Tav Bewegung und ihrer Aktion zum Protest als Ziel der Maßnahme hätte nicht expliziter sein können.

 

Zweitens. Im Strafrecht, und noch davor in der Rechtskultur existiert ein Grundprinzip, nachdem die Verantwortlichkeit personengebunden ist und aufgrund der Beschaffenheit der Tatsachen bemessen gehört. In der Anordnung überlagert das Urteil über das, was sich am 27. Juni und am 3. Juli in der Nähe der Baustelle von La Maddalena ereignet hat hingegen in Gänze die individuellen Verantwortlichkeiten. Man beginnt wohl mit der Analyse der den Einzelnen zugeschriebenen Vorfälle; fast unmittelbar verschwindet dann aber dieser Bezug. Auf diese Weise - unter Bezugnahme auf einige Fragmente der in jenen Tagen erfolgten Auseinandersetzungen - bezeichnet man Verhaltensweisen als derart schwerwiegend, dass sie eine Verhaftung rechtfertigen, wie das "Ergreifen eines Polizisten am Arm um dessen Vorankommen zu behindern" oder das "Teil der Gruppe von Demonstranten, die mit einer mobilen Schotte herbeigeeilt waren, um das durchkommen zu behindern" zu sein. Diese Verhaltensweisen, beinhalten, in Verbindung mit dem "Fortbestehen im Rahmen der Auseinandersetzungen" den Vorwurf der Körperverletzung zu Schaden von 50 Beamten, weil die "Ermittlung des jeweiligen Gegenstands, der jeden einzelnen verletzten Angehörigen der Ordnungskräfte getroffen hat ebenso wie die Ermittlung des Demonstranten, der diesen warf, in Anbetracht der Tatsache, dass sich alle Teilnehmer an den Auseinandersetzungen für alle (einkalkulierten oder auch nur vorhersehbaren) in jener Situation am Ort an dem sie sich befanden begangenen Straftaten verantworten müssen" als "überflüssig" zu betrachten sei.

 

Drittens. Um die Vorfälle zu bewerten ist deren Einordnung innerhalb des Kontexts in dem sie sich ereignet haben notwendig. Stattdessen verschwindet der Kontext in der Anordnung. Die Komplexität von zwei fieberhaften Tagen, an denen alles Mögliche geschehen ist: wohl auch die Begehung von Straftaten, daneben und gleichzeitig aber eine große Mobilisierung deren Ziel nicht der Angriff auf die Ordnungskräfte, sondern die Behinderung der Eröffnung und die Störung der Implementierung einer Baustelle, die für illegitim angesehen wurde. Die "Zusammenstöße" verschwinden und alles reduziert sich - wider den Tatsachen - auf einen kollektiven und geplanten Übergriff auf ein Zielobjekt, das als fix, unbeweglich und inaktiv betrachtet wird. Das - extrem dichte - schießen von Tränengas verschwindet derart, dass der Besitz von Taschentüchern, Taucherbrillen, Gasmasken, Zitronen uns gar von Medikamenten als "Element, mit starkem Indiziencharakter für Planung und Verfolgung eines einzigen, gemeinschaftlichen Ziels" gewalttätiger Art gewertet wird, statt als Mittel, um sich vor dem Rauch und vor dem Tränengas zu schützen und dass Alles bei daraus folgender Gleichsetzung unterschiedlicher Ereignisse aus dem Zusammenhang gelöst wird (während eine isolierte Geste der Wut oder eine Reaktion und ein aggressives, planmäßiges und zeitlich ausgedehntes Verhalten offensichtlich nicht das Gleiche sind).

 

Das genügt, um darauf hinzuweisen, dass die Angelegenheit unmittelbar das Verhältnis zwischen sozialem Konflikt und Gerichtsbarkeit betrifft und nicht nur, wie man Versucht, glauben zu machen, einige isolierte und extremistische Randgruppen.

 

Quelle: No Tav Info

 

 

Von Bewegungen und Strafen

 

Interview mit dem Anwalt Daniele Steccanella

 

6. Februar 2012

 

Traurigerweise segelt die in den Palästen und in den Gerichtssälen gefeierte Gerechtigkeit häufig fernab von der Wirklichen Welt vor sich hin. Das wissen die im Gefängnis San Vittore inhaftierten Niccolò, Marcelo, Maurizio und Lollo sehr gut, so wie es alle No Tav gut wissen, gegen die am vergangenen 26. Januar freiheitsentziehende Sicherungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft Turin vollstreckt wurden.

 

Nichts Neues, könnte man dazu sagen. Das stimmt aber nicht, Weil um diese Verhaftungen eine große Debatte erzeugt wurde, die wohl von Allen, die sich der Sache des Susa-Tals angenommen haben genährt wird, aber nicht nur. Dieser Tage haben nämlich auch große Fachleute des Rechts mit beherzter Überzeugung zur Kritik der Operation Caselli beigetragen - Allen voran das ehemalige Mitglied des Obersten Gerichtsrats (CSM - Consiglio Superiore della Magistratura, d.Ü.) Livio Pepino, der in einem Interview erklärte, dass die Haftmaßnahmen der vergangenen Tage "eine Etappe der Umwandlung der gerichtlichen Intervention vom Mittel zur Feststellung und Ahndung individueller Verantwortlichkeiten zum Instrument der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung" darstellen.

 

Gewichtige Worte, die die Redaktion von MilanoInMovimento angespornt haben, dieses Thema mit einem "Techniker" des Rechts zu vertiefen - dem Strafrechtler Daniele Steccanella.

 

 

Verschaffen wir uns zunächst etwas Klarheit: Was ist Präventivhaft?

 

Die Präventivhaft ist ein absolut außerordentliches Mittel. Es handelt sich um eine Sicherheitsmaßnahme, die bei Entzug der Freiheit und der Rechte noch vor der Feststellung der Schuld gegen eine Person angewendet wird: Dies stellt etwas außerordentliches dar, weil eine Person in zivilisierten Ländern - gegebenenfalls - eine Strafe in Folge einer Feststellung verbüßt.

 

Wann sieht das Gesetz Präventivhaft vor?

 

Unser Recht zeigt auf sehr zwingende Weise auf, unter welchen Bedingungen mit diesem Außerordentlichen Mittel vorgegangen werden kann. Zuallererst muss eine dieser drei Voraussetzungen bestehen: die konkrete Gefahr, dass der Betroffene, wenn frei und keinem Auflaugen unterworfen, flüchten, verdunkeln oder Straftaten der gleichen Art derer, wegen denen die Behörde ermittelt begehen könnte. Es ist zudem das Vorliegen genauer Anhaltspunkte nötiggeprüft werden, ob die Maßnahme angemessen zweckmäßig ist: die schwerste Maßnahme (die Inhaftierung) soll nur dann Anwendung finden, wenn sich die sonst vorgesehenen Maßnahmen nicht effektiv anwenden lassen.

 

Wie bewertest Du die verhängten Maßnahme im Fall der No Tav-Verhaftungen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass seit den Ereignissen acht Monate vergangen sind?

 

Vor allen Dingen gibt es ein Problem mit dem tatsächlichen Bestehen der Gefahren die der Verhängung der Maßnahmen zugrunde Liegen. Es geht um Episoden im Kontext einer Massendemonstration, also um nicht individuelle Handlungen, die sich auf eine Demonstration beziehen, die vor acht Monaten stattgefunden hat. Nach einer derart langen Zeitspanne, erscheint die Verhängung einer Freiheitseinschränkenden Maßnahme schwierig - In dem Sinne, dass nicht nachvollziehbar ist, warum diese Notwendigkeit heute, in Abstand von so vielen Monaten, so drückend ist. Zudem stellt sich auch di Frage der Angemessenheit der gewählten Maßnahme. Der Rückgriff auf die einschneidendsten Mittel, auf die Inhaftierung, ist bei überwiegend nicht vorbestraften Personen nicht nachvollziehbar. Di Frage, warum die Inhaftierung als einzige geeignete Maßnahme angesehen wurde, findet keine Antwort.

 

Wenn diese Maßnahmen juristisch oder realistisch gesehen nicht glaubwürdig sind - in dem Sinne, dass, angenommen sie könnten es sein, sie offensichtlich nicht "zweckmäßig" sind - lautet die Frage: warum wurden sie verhängt?

 

Der Begründung nach scheint es so, als habe der Untersuchungsrichter die Maßnahmen deshalb verhängt, weil die Tatsache, dass die Arbeiten im Susa-Tal weitere zwei Jahre andauern werden Anlass zur Vermutung gibt, dass sich weitere Unruhen ereignen könnten. Davon abgesehen, dass dass diese Begründung juristisch sehr diskutabel ist, glaube ich, dass sie die Antwort auf Deine Frage liefert. Nämlich, dass die Maßnahmen verhängt wurden, um das "Fortfahren" mit den Arbeiten für die Hochgeschwindigkeitsstrecke "zu erlauben", was eher einen repressiven als juristischen Beigeschmack hat - ich meine nämlich, dass es seitens jedermann legitim ist, eine Entscheidung, wie jene über die Hochgeschwindigkeitsbahn nicht zu teilen. Es sieht nach einer demonstrativen Aktion aus, als habe man die Botschaft vermitteln wollen, dass sich die Arbeiten mit Formen "die nicht stören" bekämpfen lassen können.

 

Wenn das die Begründung ist, müssten wir der Logik nach mit freiheitseinschränkenden Maßnahmen rechnen, bis die Arbeiten im Susa-Tal beendet sind?

 

Der Zweifel kommt wohl auf. Es ist offensichtlich, dass es juristisch inakzeptabel wäre und dass es der heftigen Reaktionen wegen, die es hervorrufen würde, Wirkungen erzeugen dürfte, die jenen, die man irgendwie anstrebt, entgegengesetzt sind. Da sich der Ursprung der Maßnahmen nicht nachvollziehen lässt, lässt sich auch nicht deren Ende nachvollziehen. Wenn die den Maßnahmen unterworfenen Personen in drei Tagen aus der Haft entlassen werden sollen, verstehe ich nicht welchen Sinn es haben sollte, dass sie vor drei Tagen verhaftet wurden. Wenn hingegen eine lange Inhaftierung vorgesehen ist, wird die Sache sehr kritisch. Ich hoffe, das Haftprüfungsgericht überdenkt wenigstens einige von diesen Positionen, die dann individuell evaluiert gehören, auch weil das Einkassieren von Dreißig bei all den Anderen, die protestieren, ein etwas seltsames Kriterium darstellt.

 

Bis zu welchem Punkt ist der Ermessensspielraum des Richters tolerierbar?

 

Richter sind menschliche Wesen, es ist also logisch, dass sie ihr Eigenes dazutun, wenn sie das Gesetz anwenden und es ist auf gewisse Weise auch zustimmungswürdig. Niemand würde wollen, das sture Computer richten. Wenn sie das Gesetz anwenden, müssen sie ber versuchen, ihre Überzeugungen als menschliche Wesen heraus zu halten. Besonders wenn eine Entziehung persönlicher Freiheit vorliegt, müssen die Parameter sehr strikt sein. Im speziellen Fall gibt es ein zusätzliches Element, weil es kein Urteil gibt. Der Richter muss irgendwie eine Prognose dessen, was sich ereignen wird erstellen. Das erweitert ganz klar den Ermessensraum. In diesem Fall hat ein gewisses ermessen vorgelegen, weil mir die abstrakte Feststellung, dass sich die Episoden vom Juli mit Sicherheit erneut ereignen werden schwer möglich scheint.

 

Wie oft verliert man Deiner Erfahrung nach im Namen "juristischer Perfektionismen" die Wirklichkeit der Tatsachen aus dem Auge?

 

Ich könnte das vielleicht unpopuläre Beispiel des Kapitäns Schettino machen, der, den Begründungen nach, wegen der Gefahr der Wiederholung der Tat im Hausarrest ist. Dass sich der Kapitän ans Steuer eines Kreuzfahrtschiffes setzt, scheint mir höchst unwahrscheinlich. Sagen wir, dass die "meta-juristischen" Antworten, die - manchmal um Bedürfnissen der Öffentlichkeit entgegen zu kommen - hin und wieder von der Richterschaft gegeben werden, ein Problem darstellen können. Die Achtung des Gesetztes ist auch für die Subjekte, an die Du dich richtest, wichtig: Ein Mensch, der sich sagen wir auf antagonistische Weise den Gesetzen gegenüberstellt, kann nur im Angesicht einer rigorosen Anwendung derselben eine Überzeugungsleistung erhalten. Andernfalls nimmt der Antagonismus zu. Weil du kein glaubwürdiges Gegenüber hast.

 

Wie schätzt Du die Herangehensweise der Medien an diese Angelegenheit ein?

 

Ich habe seitens von allen Blättern eine außergewöhnliche Einstimmigkeit vorgefunden. Die Botschaft ist vermittelt worden: "sie haben die Gewalttätigsten geschnappt, sie haben gut gehandelt". Die Tatsache, dass kein Blatt das nicht ein Nischenblatt ist diese massive Operation in Frage gestellt hat stimmt mich nachdenklich. Dass sich alle einig sind ist seltsam und seltsam ist auch, dass man auf Blogs zurück greifen muss, um Stimmen zu hören, die nicht zustimmen. Die Hochgeschwindigkeit im Susa Tal ist ein wichtiges Thema, politisch, aber auch in Bezug auf Umweltfragen. Seitens der Justiz erfolgt hartes Vorgehen. Dass sich von keiner Seite auch nur Ansatzweise irgendeine Form von Kritik erhebt, ist eine Tatsache, die wir ernst nehmen müssen. Offensichtlich gibt es eine sehr einstimmige Information die den Menschen nicht gut erlaubt zu verstehen, was passiert.

 

Wie kann die no Tav Bewegung ihre Stimme hörbar machen und zur Befreiung von diesen Personen beitragen?

 

Es wäre wichtig, dass die Bewegung versucht bekannt zu machen, dass sie mit den Verhafteten solidarisch ist. Weil hier nicht von dreißig Fanatikern die Rede ist, die mit der Bewegung nichts zu tun haben. Sagen wir, dass die Bewegung sich sammeln sollte, weil es eine Tendenz zur Separierung gibt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich in der Öffentlichkeit eine Art Trennung zwischen "Bösen und Gewalttätigen", die verdrängt gehören und alle Anderen entwickelt. Ein wichtiger Protest gehört bis zum Schluss vertreten. Es ist eine Frage der menschlichen Solidarität, aber auch der ideologischen. Vergessen wir nicht, dass sich jene Personen für etwas kollektives eingesetzt haben und dass sie deshalb, wie ich glaube, eine gewisse Achtung verdienen.

 

Zum Abschluss möchte ich Dich fragen, ob Du den Appell für die Entlassung unterzeichnet hast. Und ich bitte Dich um Begründung.

 

Ja, ich habe ihn unterzeichnet. Weil ich der Ansicht bin, dass jene Begründungen juristisch nicht fundiert sind und weil ich mich imstande fühle, dem von den No Tav durchgeführten Protest zuzustimmen. Die Entscheidung, die Im Susa Tal getroffen wird betrifft Tausende von Menschen, sie kann also nicht mit richterlichen Maßnahmen oder mit Polizeiaktionen angegangen werden. Es darf keine Forcierungen geben. Deshalb bin ich mit denen einverstanden, die sich jener Sache, die sie für eine Ungerechtigkeit halten, mit den Mitteln, die sie haben, widersetzen.

 

Quelle: MilanoInMovimento

 

 

Eine Antwort aus der Bewegung an den Turiner Oberstaatsanwalt Caselli

 

Stellvertretend für die im wahrsten Sinne des Wortes unzähligen Antworten auf die Aktion der Staatsanwaltschaft von Seiten der Bewegung im Susatal und quer durch ganz Italien ein Text des Turiner Stadtteilomitees Vanchiglia:

 

 

Die Umarmung Vanchiglias für die verhafteten No Tav

 

Das Stadtteilkomitee Vanchiglia ist sei jeher No Tav. Es ist No Tav weil längst mehr als klar ist, dass dieses Bauwerk unnütz, teuer und schadenträchtig ist. Das Stadtteilkomitee Vanchiglia ist No Tav, weil es im No Tav Volk die Würde, die Entschlossenheit, den Mut gefunden hat, sich nicht bloß einem absurden Bauwerk zu widersetzen, sondern auch dem ganzen System der Politik und der Wirtschaft und jenen Ideen, die Mensch und Territorium erniedrigen, um wenigen Priviliegierten Profite und Gewinne zu sichern.

 

Wir sind No Tav und wir waren es schon immer. Im Morgengrauen vom 27. Juni waren wir da, um Widerstand gegen die Räumung der Freien Republik La Maddalena zu leisten. Wir waren am 3. Juli da und am 8. Dezember. Wir haben zwischen den Schluchten, den Pfaden und den Straßen im Tal und In turin Kilometer zurückgelegt. Im Präsidium in Giaglione haben wir Polenta gegessen, auf dem Markt von Susa haben wir Flugblätter verteilt, in Sant'Antonino belebten wir den Karneval und im Präsidium in Venaus haben wir Gitarre gespielt. Als an jenem 27. Juni Tag wurde, haben wir das Glitzern der Helme und der Mannschaftswagen gesehen und gedacht: "Mann, wie viele...". Wir haben uns an die Barrikaden geklammert und die Zaungitter durchgeschnitten. Wir haben uns Gasmasken gekauft, um das Tränengas auszuhalten und wir haben die Rote Zone geentert. Wir haben all das getan, was die No Tav Bewegung in diesen Monaten und Jahren getan hat. All das, was Giorgio, Luca, Jacopo und die anderen Verhafteten zusammen mit uns getan haben.

 

Herr Caselli, wir sind schuldig. Wir sind alle schuldig, Herr Caselli. Wir, unsere Kinder, unsere Eltern, ein ganzes Tal, und zehntausende Bürger, die sich aktiv an den No Tav Kampf beteiligt haben.

 

Wir sind der Beleidigung schuldig. Weil wir allerorten und zu jeder Zeit laut die Namen und Nachnamen derer rufen, die sich mit der Hochgeschwindigkeitsbahn bereichern wollen, die die selben sind, die seit jeher unsere Territorien erstören und unsere Würde demütigen. Wir sind der Gehorsamverweigerung schuldig. Weil wir nicht auf die Lügen hereinfallen, die ihr uns erzählt und von der Presse aufschreiben lasst. Wir sind des Widerstands schuldig. Weil wir nicht die geringste Absicht haben, im Kampf, den wir beleben, auch nur einen Meter zurück zu weichen. Wir sind der Vereinigung schuldig. Wir haben unterschiedliche Geschichten und unterschiedliche Berufe, wir fühlen uns aber nicht als einzelne Individuen. Wir fühlen uns als eine Gemeinschaft, die geschlossen und Kompakt Widerstand leistet und kämpft. Wir sind subversiv. Weil wir von Unten den gegenwärtigen Stand der Dinge verändern wollen, weil wir der Wind sein wollen, der euch ein für alle Mal wegfegen wird und von hier aus neu anfangen wollen, um eine neue Gesellschaft aufzubauen. Wir sind unbeugsam. Nicht zum Schweigen zu bringen.

 

Und wir machen euch schreckliche Angst. Ihr habt Ingenieure und Professoren gegen uns losgeschickt, die die nichtvertretbare Raison eines absurden Bauwerks vertreten sollten. Wir haben sie Punkt für Punkt widerlegt, Berechnung für Berechnung und Entwurf für Entwurf. Ihr habt aufsteigende Politiker gegen uns losgeschickt. Wir haben ihre Lügen öffentlich entlarvt. Ihr habt Polizei aus halb Italien gegen uns losgeschickt. Mannschaftswagen, Hubschrauber, Bagger und Jeeps. Ihr habt uns wie Vieh eingegast, und mit unseren Köpfen Scheibenschießen gespielt. Ihr habt uns durchsucht, in Gewahrsam genommen, kontrolliert, überwacht, fotografiert und in Dateien gespeichert. Ihr habt Zaunanlagen, Mauern, Wachtürme, Kasernen und befestigte Posten gebaut.

 

Dem Allem zum Trotz, ist es euch nicht gelungen, uns einen einzigen Meter zurück weichen zu lassen.

 

Herr Caselli, glauben sie jetzt, dass diese Makabre Vorstellung mit Verhaftungen in Weltübertragung die No Tav Bewegung beugen wird?

 

Wir greifen leihweise eine von Gigi Ruggero auf InfoAut geschriebene, wunderschöne Aussage auf:

 

"Die Wahrheit ist, dass wer sich seit dem gestrigen Tagesanbruch im Gefängnis befindet frei ist. Gefangener ist, wer ihn da rein gesteckt hat. Gefangener der eigenen Vergangenheit, der eigenen Knechtschaft, der eigenen Ohnmacht. Diese ist die Razzia der Angst im Angesicht der Kraft: ihnen wird, bis auf das eigene Elend, Nichts in der Hand bleiben. Uns dagegen bleibt jenes Lächeln Giorgios, als er in Handschellen abgeführt wurde. Mehr als viele Worte und mit Gelassenheit, hier die Gewissheit, die uns begleitet: Ihr werdet unser nie habhaft werden!

 

Unsere Rucksäcke stehen bereit, Unsere Wanderschuhe haben wir nie ausgezogen. Wie uns eines Tages ein wunderbarer alter Greis aus dem Susa Tal sagte: "Die Nazis haben es nicht geschafft hier durchzukommen... wäre doch gelacht, wenn die hier durchkämen". Es wird hart werden.

 

Quelle: comitatoquartierevanchiglia