NATO-Intervention in Libyen: Aufklärung aus Neustrelitz

MARISS schematic

Das italienische Verteidigungsministerium wird für die Planung der NATO-Intervention mit Satellitenaufklärung aus EU-Programmen versorgt. Die Bilder werden in Deutschland aufbereitet

Seit einigen Jahren baut die Europäische Union an einem Aufklärungssystem, das auf Satelliten basiert. Das „Global Monitoring of Environment and Security“ soll die bereits existierende Satellitenaufklärung einiger Mitgliedsstaaten um ein eigenes EU-System ergänzen. GMES vereint neben Satelliten auch boden- und seegestützte Radarstationen sowie Flugzeuge und Drohnen. Die bereits vorhandenen Aufklärungskapazitäten Italiens, Deutschlands, Spaniens oder Frankreichs werden ebenso integriert.

 

Die sicherheitstechnische Nutzung von GMES wird über Forschungsprogramme eingefädelt, die über Mittel des 7. Rahmenprogrammes der EU finanziert werden. Die Bilder aus dem All werden unter anderem vom EU-Satellitenzentrum (EUSC) im spanischen Torrejón ausgewertet, das seit 2002 als EU-Agentur operativ ist und der nach dem Lissabon-Vertrag installierten „Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ untersteht. Daraus aufbereitete Informationen werden an den Europäischen Rat, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), das Geheimdienstzentrum SitCen und die EU- Mitgliedstaaten geliefert. Auch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die OSZE oder die NATO können ihre Missionen auf GMES-Produkte stützen, sofern dies im Interesse der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) liegt.

 

Die Auswertung der Bilder unternimmt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit deinem „Fernerkundungsdatenzentrum“ im bayerischen Oberpfaffenhofen und in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Ebenfalls zum DLR gehört das „Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation“ (ZKI).

 

Daten vom GMES-Dienst SAFER...

 

In der Antwort auf die Kleine Anfrage hatte die Bundesregierung noch im März diesen Jahres behauptet, dass „GMES-Daten wegen ihrer derzeitigen technischen Parameter (insbesondere geringe geometrische Auflösung) für militärische bzw. nachrichtendienstliche Aufklärung nicht geeignet“ seien. Das stimmte offensichtlich schon im Frühjahr nicht – denn GMES-Bilder fließen in die Durchführung des NATO-Krieges in Libyen ein, für den Italien wichtige Aufklärungsfunktionen übernimmt. Unter anderem wurde hierfür der Dienst „GMES Emergency Response Service“ in Anspruch genommen. Dieser „satellitenbasierte Notfallkartierungsservice“ gründet sich auf das Forschungsprojekt „Services und Anwendungen für Notfall- und Krisensituationen“ (SAFER), der meteorologische „Risiken“ (Feuer, Flut) ebenso adressiert wie geophysikalische (Erdbeben, Vulkanausbruch, Erdrutsche) und menschlich verursachte Katastrophen. Erst an letzter Stelle werden bei SAFER „humanitäre Krisen“ genannt.

 

Für den Krieg in Libyen wurden die Dienste von SAFER vom „Zentrum für Satellitengestützte Kriseninformation“ aufbereitet. Bereits am 24. Februar, also wenige Tage nach Beginn der Aufstände, meldete das Institut die Überlassung von „EU Referenzkarten von Libyen und Nachbarländern“. Damit standen der Bundesregierung ebenso wie der EU offiziell also bereits drei Wochen vor der Resolution 1973, durch die der UN-Sicherheitsrat die NATO zur Intervention ermächtigte, Bilder libyscher Städte und Grenzregionen zur Verfügung. GMES-Radarsatelliten sind in der Lage, zentimetergenaue Oberflächenberechnungen vorzunehmen, etwa um das Schmelzen von arktischem Eis zu untersuchen. Gleichsam dürften Veränderungen durch Explosionen festgestellt werden können, etwa die behaupteten Bombardierungen der Zivilbevölkerung durch libysche Militärflugzeuge – diese galten damals als Grund zur Eile für die Resolution. Beweise wurden hierfür jedoch nicht vorgelegt.

 

… und über Umwege vom GMES-Programm G-MOSAIC

 

Die Aufklärung für den Krieg in Libyen wird anscheinend auch anderweitig aus Deutschland vorgenommen: Die italienische „Earth Observation Satellite Services Company“ (e-GEOS) betreibt ein Satellitenzentrum in Neustrelitz, wo auch das DLR mit seinem „Fernerkundungsdatenzentrum“ über einen Standort verfügt. e-GEOS gehört zu 80% zum italienischen Weltraumkonzern Telespazio, einem Ableger des Rüstungsgiganten Finmeccanica. Die Firma beliefert vor allem italienische Behörden mit Aufklärungsdaten aus dem All.

Auf der Webseite von e-GEOS wird erklärt, dass die Dienste der Firma vom italienischen Militär bald nach Beginn der Aufstände „aktiviert“ wurden, um Bilder von libysch-tunesischen Grenzübergängen, aber auch Städten wie Bengasi und Tripolis zu überlassen.

 

Focussiert werden laut e-GEOS „kritische Punkte“ wie Häfen, Flughäfen, Botschaften, Krankenhäuser, Hauptstraßen. Die Firma greift hierfür pikanterweise auf Produkte des von der EU finanzierten und immer noch laufenden Forschungsprojekts „GMES services for Management of Operations, Situation Awareness and Intelligence for regional Crises“ (G-MOSAIC) zurück. Auch G-MOSAIC wird von Finmeccanica durch deren Firma e-GEOS koordiniert. Aus Deutschland ist wieder das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und der EADS-Ableger Astrium sowie die Universität Freiberg an an G-MOSAIC beteiligt.

 

Unter anderem stammen Materialien, die G-MOSAIC produziert, von dem US-amerikanischen „GeoEye-1“-Satelliten. Die Echtzeit-Bilder von „GeoEye-1“ werden laut e-GEOS im Kontrollzentrum in Neustrelitz „mit „Unterstützung des DLR“ empfangen.

 

Mit G-MOSAIC wurde auch der Aufstand in Ägypten aufgeklärt und der EU-Geheimdienst SitCen über das EU-Satellitenzentrum EUSC mit Bildern aus Alexandria, Luxor und Sharm-el-Sheik beliefert.

e-GEOS verkauft außerdem die Bilder der vier vom italienischen Verteidigungsministerium co-finanzierten, hochauflösenden „COSMO-Skymed“-Satelliten. Auch die „COSMO-Skymed“-Satelliten überfliegen Libyen und versorgen das italienische Militär mit Aufklärungsdaten. Ausgeforscht werden dadurch Panzerbewegungen, Truppenkonzentrationen, Bewegung von Flugzeugen auf Flughäfen von Schiffen in Häfen.

 

Damit dürfte Italien auch im Weltraumsektor die wichtigste Aufklärungsfunktion für den NATO-Krieg in Libyen innehaben, die ansonsten vom Militärstützpunkt Sigonella auf Sizilien ausgeführt wird: Dort haben die USA die Langstrecken-Drohnen „Global Hawk“ stationiert und sich dabei zusammen mit Premierminister Silvio Berlusconi über den Wählerwillen hinweggesetzt: Nachdem Berlusconi 2008 die Erlaubnis zur Stationierung erteilte, drängte das italienische Militär den US-Botschafter, dies noch bis nach den Wahlen geheim zu halten.