Es ist ein Desaster für die Deutsche Burschenschaft: Eine Fülle brisanter interner Dokumente ist an die Öffentlichkeit gelangt. Die Protokolle und Strategiepapiere legen die desolate Lage der Studentenbünde offen - und ihre Unfähigkeit, rechtsextremen Brüdern Einhalt zu gebieten.
Die Deutsche Burschenschaft kommt nicht zur Ruhe. Nach dem Eklat um die Einführung eines "Ariernachweises" stehen die strammen Brüder unter großem Druck, innerhalb der Verbindungsszene sind sie fast völlig isoliert.
Interne Dokumente, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, zeigen nun, wie desolat es um die rund 120 rechten Studentenbünde unter dem Dach der Deutschen Burschenschaft (DB) bestellt ist - von den liberal-konservativen bis zu denen am rechtsextremen Rand. Mit den Dokumenten konfrontiert, wollte sich die DB zum Inhalt nicht äußern, ein Insider bestätigt deren Authentizität.
Mehr als 3000 Seiten aus Sitzungsprotokollen, internen Berichten und Strategiepapieren konnte SPIEGEL ONLINE sichten - ein Teil der Unterlagen steht auch frei verfügbar im Internet, veröffentlicht auf dem linken Web-Portal Indymedia.
Es sind keine geheimen Botschaftsdepeschen, keine Dokumente aus den Zentren der Macht, und sprachlich wie intellektuell sind sie oft schwachbrüstig. Für den Dachverband der Burschenschaften aber erinnert der Daten-Unfall an den Schlag, den die Wikileaks-Papiere der US-Außenpolitik versetzten - ein Burschen-Leaks, das den angeschlagenen Club ins Wanken bringen kann. Mit den letztverbliebenen Illusionen über die Männer mit den markigen Schmissen wird jedenfalls gründlich aufgeräumt.
Traum vom deutschen Rechtsruck
Die Papiere stammen aus den Jahren 2000 bis 2011 - und sie zeichnen ein fast schon jämmerliches Bild vom Innenleben der DB: Mit ihren rund tausend aktiven Studenten und ihren gut 9000 sogenannten Alten Herren ist der Verband zumindest in Deutschland an Unis und in der Gesellschaft nahezu bedeutungslos und kaum präsent. Untereinander sind sich die vermeintlichen Brüder oft spinnefeind - besonders, wenn sie sich um Macht und politische Ausrichtung streiten.
Dominierend ist dabei die rechtsgerichtete Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG), bestehend aus gut 20 deutschen und 20 österreichischen Bünden. Die BG vertritt einen biologistischen Rassismus und träumt von einer deutschen Rechtsaußenpartei nach dem Vorbild der österreichischen FPÖ.
Die BG-Burschen feiern an diesem Wochenende ihr 50-jähriges Bestehen in München. Auch wenn sie nicht die Mehrheit der Bünde stellen, sind sie doch eine Macht in der Deutschen Burschenschaft.
Den Rechtsextremen steht eine Handvoll liberal-konservativer Bünde gegenüber, zusammengeschlossen in der "Stuttgarter Initiative" (SI). Diese Biederbrüder hängen zum Teil noch an alten burschenschaftlichen Idealen von Ehrbarkeit und Freiheit - doch die geleakten Dokumente belegen ihr Unvermögen, sich gegen die rechten Brandstifter zu organisieren.
"Der Verband der Deutschen Burschenschaft bewegt sich seit vielen Jahren von einer Krise in die nächste größere" - so beginnt der Abschlussbericht für mehrere Regionalkonferenzen aus dem Februar 2010. Gerade für die verschworenen Männerbünde ist das Informations-Leck ein Desaster. Verschwiegenheit ist ihnen heilig, wer Interna ausplaudert, wird hart bestraft.
Die internen Dokumente der Burschenschaften, die jetzt bekannt wurden, sprechen in weiten Teilen für sich.
Die Deutsche Burschenschaft - überaltert und schwindsüchtig
Eine jahrzehntelange "Abstimmung mit den Füßen" (Quelle: Abschlussbericht der Regionalkonferenzen, Februar 2010) hat die Deutsche Burschenschaft erheblich geschwächt. Sie leidet - mit Ausnahme der rechtsextremen Burschenschaftlichen Gemeinschaft - unter erheblichen Nachwuchsproblemen und Überalterung.
Der Verband selbst gibt seine Mitgliederzahl auf seiner Internetseite mit etwa 15.000 an. Externe Schätzungen gingen bislang von rund 11.500 Verbandsbrüdern aus. Der Bericht zu den Regionalkonferenzen aus dem Februar 2010 belegt jedoch, dass weniger als zehntausend Burschenschafter dem Verband angehören - und wie ernst das Problem gesehen wird:
"Allein in den vergangenen vier Jahren hatte die DB einen Mitgliederschwund von 3000 Burschenschaftern zu verzeichnen - an einzelnen Burschenschaftern und ganzen Burschenschaften. Der Verband repräsentiert damit heute nur mehr knapp 10.000 Mitglieder (zum Vergleich: Anfang der 70er Jahre umfasste die DB noch über 35.000 Mitglieder) und der Austritt von Weiteren kann nicht ausgeschlossen werden- er droht jederzeit. Für die DB bedeut dies nicht nur einen zunehmenden Verlust an repräsentativer Bedeutung und Einflussvermögen- so von letzterem noch etwas verblieben ist. Nein, auch der finanzielle Rahmen wird bei anhaltender Entwicklung mittelfristig reduziert werden müssen. Es bleiben dem Verband nur mehr wenige Semester, um die ursächlichen Probleme für diesen Exodus zu finden und zu lösen, bevor er in der völligen Bedeutungslosigkeit verschwunden ist und auch im burschenschaftlichen Lager nur noch eine Minderheit der existenten Bünde repräsentieren wird."
(Nachrichtenblatt 308 vom 6. Februar 2010)
Sehr wahrscheinlich ist, dass selbst die genannte Mitgliederzahl noch zu hoch gegriffen ist. Der aktuelle Tätigkeitsbericht der organisierten Alten Herren zeigt, wie schwer es dem Verband fällt, seine genaue Stärke zu ermitteln:
"Die weitere Vorort-Tätigkeit beinhaltete die nach wie vor extrem mühsame Erhebung der jährlichen Stärkemeldungen und Amtsträgeradressen. Nach einigen Mahnläufen konnten so immer 78 VABen (Anm. d. Red.: Vereinigungen Alter Burschenschafter) dazu bewogen werden, ihre Stärkemeldung abzugeben. Bedauerlich ist, daß die zahlreichen Nichtmeldungen jegliche Form einer konzertierten Mitgliederwerbung oder selbst die Aktualisierung der Netzseiten des Verbandes nahezu unmöglich machen. Wenn man auf absehbare Zeit hier zu einer konstruktiven Verbandsarbeit zurückkehren will, wird man um die konsequente Streichung langjähriger Karteileichen nicht herumkommen."
(Tagungsunterlagen zum Altherrentag 2011)
Nur eines von vielen Beispielen des Burschenschaftsalltags ist ein Protokoll der studentischen Aktiven der Saarbrücker Ghibellinia mit knapp 20 Aktiven und rund 100 Alten Herren aus dem Dezember 2010:
"TOP 1: Die Tagesordnung wird verlesen und genehmigt
TOP 2: Das Protokoll wird genehmigt.
TOP 3: Post
Nichts
TOP 4: Gewesene Veranstaltungen
Julfest: Das Fest war sehr schlecht organisiert. Zusätzliche Probleme
bereitete die krankheitsbedingte Abwesenheit des Sprechers am Samstag.
Nur durch den massiven Einsatz einiger Bundesbrüder, vor allem AH X*,
konnte das Fest erfolgreich verlaufen. Zukünftig sollen Einkäufe
rechtzeitig getätigt werden, nicht erst am Tag der Veranstaltung.
Außerdem soll ein Zeitplan und eine Liste mit einer Aufgabenverteilung
erstellt werden. Das Fest war leider abermals schwach besucht, viele
Alte Herren aus der Umgebung haben gefehlt.
TOP 5: Kommende Veranstaltungen
Mensurtag: Die Paukantenbetreuung beginnt Freitag um 18 Uhr. Samstag ist
Treffpunkt um 8 Uhr für die Aktiven. Bundesbruder X* wird Mettbrötchen
besorgen, die verkauft werden können. Die Mensurmannschaft wird aus den
Bundesbrüdern X*, AH Y* sowie AH Z* bestehen.
Silvesterfeier: Die Veranstaltung fällt mangels Interesse aus.
Stattdessen wird die Aktivitas die Silvesterfeier der PV Fiducia
Germania besuchen.
Ghibellinenstammtisch: Die Veranstaltung fällt aus.
TOP 6: Fuchsenkritik
Fuchs X* wird für seine gute Arbeit während der Kneipe gelobt.
TOP 7: Verschiedenes
Nichts"
* Die Namen sind der Redaktion bekannt
- orthographische Fehler wie im Original -
Imageprobleme: "Ein verquerer Haufen Gegenwartsverweigerer"
Die Deutsche Burschenschaft ist innerhalb der Verbindungsszene der einzige Dachverband, der sich explizit als politisch bezeichnet. Gemessen an den Mitgliederzahlen sind DB-Burschen überraschend stark in Politik und Wirtschaft vertreten, auch einige aktive Bundestagsabgeordnete gehören einem Mitgliedsbund an - bekennen sich aber nur ungern dazu. Als Verband jedoch spielt die DB in Deutschland keine politische Rolle.
Der Abschlussbericht zu den Regionalkonferenzen aus dem Februar 2010 verdeutlicht das grundsätzliche Dilemma: Wie schaffen wir es, auf uns aufmerksam zu machen? Und soll der Dachverband eher die alten Ideale ernst nehmen und für Demokratie und Freiheit kämpfen - oder provozieren und mit rechtsextremen Positionen punkten?
"Der bei der Beantwortung dieser Frage am häufigsten auftretende Fehler besteht wohl in dem Versuch, das Pferd von Hinten aufzuzäumen, indem man an Hand des Kriteriums der Öffentlichkeitswirksamkeit politische Positionen sucht, welche der Verband belegen könnte. Man sucht nach Positionen, die ein Alleinstellungsmerkmal darstellen könnten und über welche sich die DB in der politischen Landschaft Deutschlands von konkurrierenden Parteien und Verbänden abheben könnte, um dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit zu binden. Solche Positionen zu finden stellt für tagespolitisch orientierte und kreative Akademiker nun wahrlich kein Problem dar, muss man doch lediglich nach ungewöhnlichen Mindermeinungen an den politischen Rändern Ausschau halten. Allein, die gewonnen Positionen anschließend in Übereinklang mit den Grundsätzen der Deutschen Burschenschaft zu bringen, ist trotz zahlreicher müßiger Debatten auf den verschiedensten Ebenen des Verbandes bisher noch nicht gelungen. Es besteht der berechtigte Verdacht, dass die der DB gemäß ihrer Grundsätze ideologisch möglichen Positionen der Öffentlichkeit in demokratischen Rechtsstaaten mit verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten nur wenig spektakulär erscheinen können. Im Klartext: öffentliche Aufmerksamkeit bloß auf Grund ihres grundsätzlichen politischen Bekenntnisses darf die Deutsche Burschenschaft gegenwärtig nicht erwarten, wenn sie sich nicht ganz gewaltig von ihren Grundsätzen entfremdet. (Was nicht der Wunsch sein kann!)"
(Nachrichtenblatt 308 vom 6. Februar 2010)
Dann konstatiert der Bericht vor allem bei jungen Burschenschaftern den Rückzug in die rechte Schmollecke:
"Während zahlreiche Alte Herren und Aktive durch verdienstvolle Arbeit in Parteien, Verbänden, Gremien der Politik und Vereinen ihr eigenes soziales Ansehen sowie indirekt das der Burschenschaft fördern, genügt es manchem anderen Burschenschafter wiederum nicht, aus Bequemlichkeit nur seinen eigenen Beitrag für die Gesellschaft zu verweigern. Nein, hier konstruiert man ideologische Luftschlösser, um die eigene Faulheit als verdienstvolle Boykotthaltung gegen ein verrottetes Parteiensystem, einen die Volksinteressen verratenden Staat oder eine dekadente Gesellschaft zu adeln. Man wartet untätig - vielleicht auf die Revolution, doch viel wahrscheinlicher darauf, dass Parteien, Staat und Gesellschaft endlich untergehen und der eigene Pessimismus letztlich Bestätigung findet."
"Daher ist die Wirkung des besagten Typus Burschenschafter für den Verband so schädlich. Er ist nicht nur intern äußerst präsent ist und stiftet Unmut, er verstärkt auch in der Öffentlichkeit den Eindruck, die Burschenschaft sei ein verquerer Haufen nicht ernst zu nehmender Gegenwartsverweigerer."
(Nachrichtenblatt 308 vom 6. Februar 2010)
- orthographische Fehler wie im Original -
Rechts außen: Bis an den Rand des Erlaubten
In einem Brandbrief schreibt die liberal-konservative "Stuttgarter Initiative" im März 2010 an alle Mitgliedsbünde der DB:
"Wir wenden uns auch an Sie, weil wir der Meinung sind, dass den erkennbaren rassistischen und extremistischen Tendenzen durch ein massives Gegengewicht, unabhängig von Kartellzugehörigkeiten, Einhalt geboten werden muss."
(DB-Schnellinformation Nr. 15 im Geschäftsjahr 2009/2010)
Dann beziehen sich die Verfasser auf das Verhalten rechtsextremer Burschenschafter auf dem Burschentag 2009:
"Andere Sticheleien zur Darstellung der eigenen Geisteshaltung bewegten sich in Sprache und Auftreten geschickt entlang gerade noch nicht verbotener Grenzen. Provokationen durch indirekt ausgedrückte Verehrung von Personen und Gedanken der nationalsozialistischen Zeit führten zu der Erkenntnis, die wie folgt zusammengefasst werden kann: 'Diese Vorgänge und Verhaltensweisen beim BT 2009 sind nur Symptom für die gedankliche Spaltung der Deutschen Burschenschaft, die sich in den letzten Jahren vertieft hat, auf Verbandsebene ständig verdrängt wurde und dadurch zur Unverträglichkeit führte.'"
(DB-Schnellinformation Nr. 15 im Geschäftsjahr 2009/2010)
Auch der Abschlussbericht zu den Regionalkonferenzen von Februar 2010 konstatiert die Gefahr vom rechten Rand:
"Die Folgerungen für die Aufnahmekriterien der Deutschen Burschenschaft, welche man dort aus Rassentheorien herzuleiten sucht, sind nicht nur unvereinbar mit den Grundsätzen der Ehre und Freiheit, sie schaden auch dem öffentlichen Ansehen der DB. Zudem haben sie das Potential, den Verband in die rechtstaatliche Illegalität zu treiben und derart die Weitergabe von burschenschaftlichen Idealen und Wertvorstellungen an die akademische Jugend dauerhaft zu behindern, zu verhindern. Nicht zuletzt drohen sie ferner, die burschenschaftliche Arbeit zahlloser Alter Herren im öffentlichen Raum - in Politik und Gesellschaft - zu diskreditieren.
(Nachrichtenblatt 308 vom 6. Februar 2010)
Im Februar 2010 lädt die Burschenschaftliche Gemeinschaft - die rechtsgerichtete Fraktion innerhalb der Deutschen Burschenschaft - zu einem Vortrag von Philippe Rushton, einem kanadischen Psychologen, dessen Rassetheorien auch von SPIEGEL ONLINE beleuchtet wurden . In der Einladung steht:
"Seine Grundthese hat zum Inhalt, daß in sämtlichen Teilbereichen auf der einen Seite die asiatische Rasse steht, nahe neben ihr, aber deutlich in der Mitte, die weiße Rasse, und auf der anderen Seite der Skala jene der Schwarzen. Dies äußert sich in einer Überlegenheit der asiatischen Rasse im durchschnittlichen Vergleich bei Messungen etwa der Gehirngröße, der Intelligenz sowie der Lebenserwartung, dicht gefolgt vom Durchschnitt der weißen Rasse. Auf der anderen Seite der Skala aber beindet sich mit deutlichem Abstand der Durchschnitt der schwarzen Rasse. Umgekehrt jedoch 'führt' der schwarze Durchschnitt bei Studien über die Wachstumsgeschwindigkeit des Körpers, den Testosteronspiegel, den Muskelaufbau, aber auch bei Kriminalitätsraten, außerehelicher Kinder sowie HIV-Inizierungen. Wiederum liegt der weiße Durchschnitt in der Mitte, knapp vor dem Durchschnittswert der Asiaten."
"Prof. Rushtons Thesen mögen in der heutigen Zeit nicht der politischen Korrektheit entsprechen, viel zu sehr widersprechen sie der linken Utopie der 'Gleichheit aller Menschen'. Prof. Rushton ist aber kein Politiker, der sich mit viel heißer Luft von Wahl zu Wahl retten muß, sondern ein Wissenschafter von Weltrang, der sich an die Ergebnisse akademischer Forschungsarbeit hält."
(DB-Schnellinformation Nr. 11 im Geschäftsjahr 2009/2010)
- orthographische Fehler wie im Original -
Rüpeleien unter Burschen: Rassismus und Kinnhaken
Der Abschlussbericht zu den Regionalkonferenzen vom Februar 2010 konstatiert zu den Umgangsformen unter den Verbandsbrüdern der Deutschen Burschenschaft:
"Man kennt sich nicht mehr wie Früher und der gegenseitige Umgang ist von Unkenntnis, Vorurteilen und Misstrauen geprägt, während man doch gemeinsame Ziele anstrebt."
"Niedere Beleidigungen und körperliche Gewalt erwartet man zwar an für sich nicht von ehrenhaften Burschenschaftern- im Allgemeinen auch nicht von Menschen mit einer guten Kinderstube. Umso erstaunlich ist es, mit wie viel Selbstbewusstsein und Selbstverständlichkeit mancher Akademiker und Burschenschafter bisweilen dennoch die primitivsten Umgangsformen präsentiert."
"Unvermeidbare defensive Notwehr ausgenommen, bleibt dem Burschenschafter als einzige Antwort auf im entgegengebrachtes Fehlverhalten ein Handeln gemäß der Ehrenordnung der DB und gegebenenfalls des Strafgesetzbuches. Wo diese Einsicht verloren gegangen ist und ihr zuwider gehandelt wird, muss der Verband- vertreten durch jeden einzelnen Verbandsbruder belehrend auftreten und in letzter Instanz auch strafen. Ansonsten muss damit gerechnet werden, dass die Beispiele schlechter Umgangsformen Schule machen werden und letztendlich auch der Kinnhaken seinen festen Platz im Arsenal der in der DB gebräuchlichen Verhandlungsmethoden erhält. Die Zeiten in welchen sich die Burschenschaften von anderen Korporationsformen durch ehrenhaftes und vornehmes Auftreten deutlich abgehoben haben sind leider vorüber."
(Nachrichtenblatt 308 vom 6. Februar 2010)
Bereits auf dem Burschentag 2009 sorgte die Anwesenheit eines Verbandsbruders mit Migrationshintergrund für einen Eklat. Ein dunkelhäutiger Bursche der Kölner Alemannia wurde Opfer rassistischer Ausfälle und Angriffe von rechtsextremen Verbandsbrüdern. Der Abschlussbericht beklagt, wie die Rassisten dem Verband insgesamt schaden - und benutzt trotz der Kritik an den Ausfällen selbst das Wort "pigmentiert" für den attackierten dunkelhäutigen Bundesbruder:
"Andererseits gibt es Verbandsbrüder, welche Haar sträubenden Auslegungen der Grundsätze Ehre, Freiheit und Vaterland präsentieren. Bei ihnen wäre das Vaterland eben erst einmal das Wichtigste, dann kämen Ehre und Freiheit - wobei die Gebote aus Ehre und Freiheit auch gelegentlich zu Gunsten des Vaterlandes vernachlässigt werden müssten. In diesem Sinne ist wiederum als Erlebnis zu nennen, wie ein Verbandsbruder den Versuch unternahm, aus der burschenschaftlichen Ehre die Erlaubnis zur rassischen Diskriminierung eines pigmentierten Verbandsbruders herzuleiten."
(Nachrichtenblatt 308 vom 6. Februar 2010)
Aus dem Brandbrief der liberal-konservativen "Stuttgarter Initiative" vom März 2010 an alle Mitgliedsbünde der DB:
"Die Bemühungen, in den Blöcken innerhalb der Deutschen Burschenschaft für mehr Toleranz und Achtung gegenüber der Meinung des Anderen zu werben, waren ebenfalls nicht erfolgreich. Im Gegenteil, die Vorgänge vor und nach dem Kommers beim Burschentag 2009, das ganz unerträgliche Verhalten einiger Verbandsbrüder gegenüber einem Aktiven der Kölner Burschenschaft Alemannia, haben den Graben noch tiefer werden lassen."
(DB-Schnellinformation Nr. 15 im Geschäftsjahr 2009/2010)
- orthographische Fehler wie im Original -
Interner Machtkampf: Liberale auf verlorenem Posten
Interne E-Mails belegen einen Putschplan der rechtsgerichteten Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG). Sie arbeitet demnach an einer Strategie, die Macht in der Deutschen Burschenschaft (DB) bis zum nächsten Burschentag 2012 ganz an sich zu reißen. Die gemäßigten Bünde der "Stuttgarter Initiative" (SI) stehen der BG recht hilflos gegenüber. Sie versuchten vor dem Skandal-Burschentag 2011 in Eisenach die Einführung eines "Ariernachweises" zu verhindern - doch Reaktionen blieben aus:
"X* stellt die Frage, ob angesichts der geringen Resonanz, besser ob des fehlenden Aufschreis innerhalb der DB, die SI mit ihren Reaktionen nicht überzogen hat; das Thema scheint im Verband offenbar nur wenige Burschenschaften überhaupt zu interessieren. […] Y* meint, viele Burschenschaften hätten noch gar nicht gemerkt, welche Brisanz in dem Gutachten im Hinblick auf die Öffentlichkeit steckt. Es wird auch die Meinung vertreten, dass vermutlich viele Burschenschaften argumentieren, wir haben den Fall nicht, also brauchen wir uns nicht um das Thema kümmern. (Anm. d. Red.: Mit "Fall" sind dunkelhäutige oder ausländisch aussehende Burschenschafter gemeint.) Man muss erkennen, dass es sehr schwierig sein wird, uns gleichgesinnte Burschenschaften aus ihrer Verbandslethargie zu holen. […] Z* betont, dass die Presse nur auf solche Anträge wartet, denn die BT-Unterlagen gelangen in aller Regel auch nach außen. Die Frage stellt sich aber auch hier wieder, wie es sein kann, dass eine solch hochpolitische Sache im Verband so wenig Aufmerksamkeit und Reaktion erzeugt."
Es gelingt der SI noch nicht einmal, geeignete Kandidaten gegen die rechten BG-Vertreter für Schlüsselstellen des Dachverbands aufzustellen:
"Die SI hat bereits in der Vergangenheit versucht, einen Verbandsbruder zu finden, der als Gegenkandidat zu Vbr. Weidner (Anm. der Redaktion: Norbert Weidner ist Chefredakteur der Verbandszeitung "Burschenschaftliche Blätter" und war Funktionär der inzwischen verbotenen rechtsextremen FAP) durch sein Potential geeignet ist. Leider ohne Erfolg. Alle Kritik am derzeitigen Schriftleiter verpufft, solange nicht ein Gegenkandidat gefunden ist."
(Protokoll einer Strategiesitzung der SI vom 12. Mai 2011)
* Die Namen sind der Redaktion bekannt
- orthographische Fehler wie im Original -
Politik-Phantasien: Der Traum vom gesellschaftlichen Rechtsruck
Die politischen Ziele der Rechtsextremen und der Gemäßigten liegen weit auseinander. Während die SI zwar weit rechts steht, sich aber mit der bundesrepublikanischen und europäischen Realität arrangiert hat, träumt die BG offenbar von einem gesellschaftlichen Rechtsruck in Deutschland. Dabei ist auch relevant, dass etwa die Hälfte der rund 40 BG-Bünde aus Österreich kommt. Dort spielt die rechtspopulistische FPÖ - und in ihr eine Reihe aktiver Burschenschafter und Alter Herren - eine gewichtige Rolle. Im November 2009 referiert Walter Rosenkranz, Mitglied der rechten Wiener Burschenschaft Libertas und österreichischer FPÖ-Parlamentarier:
"1954 kam es zur Gründung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). 1983 erfolgte die erste Beteiligung an einer Regierung. 1986 kommt die Zeit von Jörg Haider (Wiener akademische Burschenschaft Silvania), der 1989 Landeshauptmann in Kärnten wird, und die FPÖ zu Wahlergebnissen führt, die die Größenordnung der Volksparteien erreichen und übertreffen. […] Zusammenfassung: Die FPÖ ist nicht die Partei der Burschenschafter, aber Burschenschafter finden - wie andere Korporierte - meist ihre Heimat in der FPÖ."
(Protokoll der SI-Tagung zu Europa vom 5. und 6. November 2009)
Bei den jüngsten Wahlen im Bundesland Wien wurde die FPÖ mit einem Viertel der Stimmen zweitstärkste Kraft - und entsprechend selbstbewusst treten auch die mit ihr verbundenen österreichischen Burschenschaften auf.
Hoffnung auf einen Rechtsruck in Deutschland schöpft die Burschenschaftliche Gemeinschaft aus der öffentlichen Resonanz auf die biologistischen Thesen Thilo Sarrazins. So begründet die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn ihren Antrag, rassistische Aufnahmekriterien in die Verfassung der DB aufzunehmen, wie folgt:
"Es ist aber völlig unverständlich, dass gerade in einer historischen Phase, in der die 68er den Zenith ihres Einflusses bereits überschritten haben und die gebildeten Schichten, angeregt durch die von Thilo Sarrazzin öffentlich vertretenen Ansichten, beginnen, sich mit den Grundlagen eines biologischen und damit wissenschaftlichen Menschenbildes vertraut zu machen, nun mit 40 Jahren Zeitverzögerung die Deutsche Burschenschaft sich plötzlich jene widerlegten Thesen zueigen macht, von dem der Rest des Deutschen Volkes sich gerade mühsam freizukämpfen beginn. Indem sie eine eindeutige Haltung in der Frage des Volkstumsbegriffs einnimmt, hat sie sich vielmehr an die Spitze dieses radikalen Umschlagens des öffentlichen Diskurses zu stellen, dessen Tragweite heute noch gar nicht abzusehen ist."
(Nachrichtenblatt 312 vom 23. April 2011 - der Antrag soll aus formalen Gründen erst auf dem Burschentag 2012 verhandelt werden - Anm. d. Red.)
- orthographische Fehler wie im Original -