Zu Ulrike Meinhof

Ulrike

Ulrike –presente!    Am 8. Mai jährte sich Ulrikes 35. Todestag.
Häufig habe ich  an dieser Stelle schon über verstorbene GenossInnen geschrieben, die ich persönlich kannte. Ulrike war  für meine Politisierung  und meinen weiteren Weg wichtig, auch wenn ich ihr nie begegnet bin.

 

Mit 16 Jahren stieß ich über Bekannte auf die Zeitschrift „Konkret“. Am 2. Juni 1967 war Benno Ohnesorg auf einer Demonstration gegen  den Schah aus Persien in West-Berlin  von einem Polizisten erschossen worden. Diese Exekution hatte viele von uns wachgerüttelt und wir fingen an, die Werte der sogenannten Demokratie in Frage zu stellen und später eine kommunistische Alternative anzustreben, die  aber  nur kollektiv  im Kampf gegen das herrschende System  durchzusetzen war.

Diese Lernprozesse hat Ulrike aktiv begleitet. Das konnte sie  auch sehr authentisch vermitteln, weil sie Zeit ihres Leben kämpfte, ob nun in der illegalen KPD, in der Außerparlamentarischen Opposition (APO), in der Guerilla oder als Gefangene.

Nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke schrieb sie in der „Konkret“ 5/68 zu den Blockaden gegen den Springer-Konzern, der ja bekanntlich federführend an der Hetze beteiligt war: „…die Grenze zwischen verbalem Protest und physischen Widerstand ist .. erstmalig  massenhaft durchbrochen  worden.......Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.“

Andreas Baader und Gudrun Ensslin zündeten mit 2 weiteren Genossen aus Protest gegen den Konsumterror  und den Vietnamkrieg 2 Kaufhäuser im April 1968 an. Ulrike schrieb dazu: „ Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung der Waren, es liegt  in der Kriminalität der Tat, im Gesetzesbruch.“ („Konkret“ 14/68)

Mit der Befreiung Andreas Baaders aus dem Knast am 14. 5. 1970 bildete sich die RAF. Auf Grund der Texte von ihr, aber auch den Diskussionen und Aktionen  der APO, war dieser Schritte für viele nachvollziehbar.

„unsere aktion am 14. mai 1970 ist und bleibt die exemplarische aktion der metropolenguerilla. in ihr sind/waren schon alle elemente der strategie des bewaffneten, antiimperialistischen kampfes enthalten: es war die befreiung eines gefangenen aus dem griff des staatsapparats.  ....war exemplarisch, weil es im antiimperialistischen kampf überhaupt um gefangenenbefreiung geht, aus dem gefängnis, dass das system für alle ausgebeuteten und unterdrückten schichten des volkes schon immer ist und ohne historische perspektive als tod, terror, faschismus und barbarei;“

Das erklärte Ulrike  als Gefangene aus der RAF im September 1974  vor Gericht. Auch wenn Ulrike diesen Text verfasste, so war es doch Ergebnis eines  Diskussionsprozess des Gefangenenkollektivs.

Vor 40 Jahren  gab  es viele bewaffnete Gruppen  und die RAF besaß anfangs zahlreiche Sympathien in der hiesigen Bevölkerung. 1972 erklärten nach (offiziellen) Meinungsumfragen fast 20 Prozent der Erwachsenen, sie würden Verfolgung in Kauf nehmen, um eine/n aus der RAF für eine Nacht bei sich zu verstecken. 1973 ergab eine Umfrage unter SchülerInnen, dass 15 Prozent von ihnen sich mit den Aktionen der Guerilla identifizieren.

Nach 2 Jahren in der Illegalität, in dieser Zeit  liefen u.a. Aktionen gegen die 2 US-Hauptquartiere in der BRD, wovon aus die Bombereinsätze gegen die vietnamesische Bevölkerung koordiniert wurden, wurde Ulrike am 15. 6. 72 durch Verrat in Hannover verhaftet.

Ulrike wurde in völliger Isolation, wie alle Gefangenen aus der RAF, gehalten. Verschärft wurde ihre Lage dadurch noch, dass  sie insgesamt 251 Tage im „Toten Trakt“ in Köln-Ossendorf  war  eingepfercht war. Zuerst allein, dann zusammen mit Gudrun Enssslin von Februar bis April 1974.

„Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewusstsein, dass man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln.
Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war“.

So beschrieb Ulrike  ein Teil ihrer Erfahrungen aus dem „Toten Trakt“ 1973/74.

Nur durch lang andauernde  Solidaritätsaktionen im In- und Ausland konnten wir Ulrike und Gudrun aus dem „Toten Trakt“ freikämpfen.

Im April 1975 begann  gegen Jan-Carl Raspe, Andreas, Gudrun und Ulrike der Prozess in Stammheim. Alle 4 Gefangenen überlebten den Knast nicht.

Ulrike  wurde am 8. Mai 1976 tot in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim aufgefunden.  Der Staatsschutz lancierte umgehend, es hätte "Spannungen" unter den Gefangenen gegeben.  Eine internationale Untersuchungskommission kommt zu einem anderen Ergebnis: "Die Behauptungen der staatlichen Behörden, Ulrike... habe sich selbst getötet ist nicht bewiesen....Die Ergebnisse der Untersuchungen legen vielmehr den Schluss nahe, dass Ulrike… tot war, als man sie aufhängte.“

Ebenso  gingen auch ihre GenossInnen davon aus, dass Ulrike sich nicht selbst umgebracht hatte: "... wir wissen nicht, wie, aber wir wissen, von wem, und wir können das kalkül der methode bestimmen. ich erinnere an herolds satz: 'aktionen gegen die raf müssen immer so abgewickelt werden, dass sympathisantenpositionen abgedrängt werden.' und  buback: 'der staatsschutz lebt davon, dass sich leute für ihn engagieren. leute wie herold und ich finden immer einen weg...'." So Jan am 11. 5.1976.  im Stammheimer Prozessbunker.

 

Ausblick

Ulrike kämpfte ihr Leben lang gegen die herrschenden Verhältnisse an, die sich auch heute  nicht verbessert, sondern verschlimmert haben. Da sind auch alle Artikel von ihr wichtig, egal, ob sie die vor oder in  der RAF verfasst hat. Die „junge Welt“ vom 7./8. 5.2011 schrieb im Zusammenhang mit Ulrikes Todestag von einem „sogenannten bewaffneten Kampf“. Auch wenn  Ulrikes Zeit in der RAF denen nicht ins politische Konzept passt, darf das nicht unter den Tisch fallen, denn so wird Ulrikes Geschichte, und damit auch  unsere Geschichte, verfälscht.

In diesem Sinne:

 

Ulrike presente!

Revolutionäre Geschichte aneignen und verteidigen!

Wolfgang

 

Dieser Artikel erschien in der neuen Ausgabe des Gefangenen Info 362

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