Heilbronn - Die 1.-Mai-Demo von Neonazis und Gegendemonstranten in Heilbronn ist Geschichte. Für die Gewerkschaft Verdi kann der Tag jedoch noch nicht abgehakt werden.
Regionalgeschäftsführerin Marianne Kugler-Wendt verweist auf einige Situationen, in denen die Polizei aus ihrer Sicht "nicht angemessen" reagiert hat. Es sei Strategie gewesen, friedliche Blockierer in Gewahrsam zu nehmen. "Dann hätte sich die Polizei aber auch auf die Folgen einstellen müssen", sagte die Verdi-Chefin. Und ließ im Beisein von Anwalt Bernd Stupp gestern im Gewerkschaftshaus Vertreter des Blockadebündnisses "Heilbronn stellt sich quer" zu Wort kommen, die Erlebtes aus ihrer Sicht schilderten.
Ihren vollen Namen wollen die jungen Menschen nicht nennen, aus Sorge, von Neonazis verfolgt zu werden. Katharina (26), Jugendsekretärin der Gewerkschaft, kritisiert, dass sie in der Karlsruher Straße bei einer Blockade gegen 9.30 Uhr "geräumt wurde" und danach 90 Minuten in einem Bus vor dem Polizeigebäude festgesessen habe. "Ich durfte nicht auf die Toilette", sagt sie. Erst im Polizeigebäude habe sie austreten dürfen − nach einer Durchsuchung und Wegnahme von Handy und Getränk.
Bis 17 Uhr sei sie dann in der Turnhalle einer Schule in Gewahrsam
gewesen − "ohne richterliche Anordnung", kritisiert Anwalt Stupp. Dass
die Gewerkschaftsangestellte dann noch einen Platzverweis für ein Areal
inklusive des Gewerkschaftshauses − ihrem Arbeitsplatz − erhalten habe,
bis zum nächsten Morgen um 9 Uhr, findet Kugler-Wendt "unglaublich".
Erst auf Intervention des Anwalts habe es kurzfristige Ausnahmen für
Gewerkschafter gegeben.
Ins Krankenhaus
Als "aggressiv" hat die 18-jährige Aline das Verhalten der Polizei
empfunden. Sie erzählt, wie ihr Freund in einer Blockade hochgerissen
wurde und ihm die Arme nach hinten gedreht worden seien. Er habe sich
dabei einen "Handwurzelknochen gebrochen". Trotz Hinweis auf Schmerzen
und geschwollenem Gelenk sei er erst etwa zwei Stunden später ins
Krankenhaus gebracht worden − von wo er mit Gips zurückgekommen sei.
Schüler Jakob ist 17, auch er war nach friedlicher Blockade von 9.30 bis etwa 16.30 Uhr in Gewahrsam, wie er sagt. Gegen 15 Uhr habe man erstmals etwas zu essen bekommen, ein Stück Brot. Man habe Jugendlichen die Freiheit entzogen, um das Recht der Neonazis auf Demonstration durchzusetzen, stellt Kugler-Wendt fest. Ziviler Ungehorsam, "der friedlich stattfindet, kann nicht falsch sein", sagt sie. Auch wenn er juristisch anders bewertet werde.
Taten verfolgen
Der 27-jährige Sprecher von "Heilbronn stellt sich quer", der unter
falschem Namen agierte, saß am 1. Mai von früh morgens bis 20.30 Uhr in
Gewahrsam. Für ihn waren Aufgebot und Vorgehen der Polizei überzogen. Er
verweist auf Bremen, wo die DGB-Landeschefin Sprecherin des
Blockadebündnisses gewesen und an dem Tag nicht festgesetzt worden sei.
In Greifswald hätten Blockierende die Nazis zur Umkehr gezwungen.
Für Kugler-Wendt war der 1. Mai nicht friedlich, wenn Neonazis "durch Heilbronn marschieren, den Hitlergruß zeigen und menschenverachtende Lieder singen". Sie erwartet, dass die Polizei "die Straftaten der Nazis noch verfolgt". Und streicht heraus, dass es auch dem Verhalten der friedlichen Blockierer zu verdanken sei, "dass es zu keinen Ausschreitungen von Gewalt kam".
400 in Gewahrsam
Rund 750 Neonazis aus ganz Süddeutschland zogen am 1. Mai in der
Heilbronner Bahnhofsvorstadt auf, zudem etwa 1000 linke
Gegendemonstranten, die den Marsch der Rechtsextremen blockieren
wollten. Die Polizei hatte 3900 Beamte in der Stadt. Sie ging gegen
Blockierer vor. Bis zum Ende des Tages nahm die Polizei nach eigenen
Angaben rund 400 Gegendemonstranten in Gewahrsam, in 19 Fällen bis zum
Ende des Tages.
Carsten Friese