[S21] Grün-Rot nennt Stumpfs Rückzug richtig

Erstveröffentlicht: 
28.04.2011

Personalie. Der Polizeipräsident wird bereits zum Monatsende aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Der 60-Jährige stand seit dem missglückten Einsatz im Schlossgarten, für den er die alleinige Verantwortung übernommen hatte, in der Kritik. Die SPD sucht schon einen Nachfolger. Von Markus Heffner und Jörg Nauke

 

Die Mitteilung aus dem Innenministerium, die das Ende der beruflichen Laufbahn des Stuttgarter Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf markierte, bestand gerade einmal aus drei Zeilen: Das Ministerium habe dem Antrag „auf Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen entsprochen. Die Amtszeit endet mit Ablauf des Monats April.” Seine Entlassungsurkunde hatte Stumpf zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits abgeholt. Zur Sache äußert sich der 60-Jährige, der bereits morgen seinen letzten Arbeitstag hat, nicht. Auch über die gesundheitlichen Probleme, die Stumpf anführt, wolle man keine Angaben machen, erklärte der Polizeisprecher Stefan Keilbach gestern auf Anfrage.

Rüdiger Seidenspinner, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, zeigte sich vor allem über das Tempo erstaunt, mit dem Siegfried Stumpf nun in den Ruhestand geht. Er kenne viele Fälle, in denen gesundheitliche Probleme eine Rolle gespielt haben, so Seidenspinner. „In diesem Fall ist es jetzt verdammt schnell gegangen.” Er vermutet, Stumpf sei damit der Entscheidung zuvorgekommen, die er nach Antritt der neuen Landesregierung hätte erwarten müssen. „Das ist vielleicht für beide Seiten die beste Lösung”, sagt Seidenspinner.

Bedauerlich sei, so der Gewerkschafter, dass das Wirken Stumpfs auf den missglückten Polizeieinsatz im Schlossgarten und das Thema Stuttgart 21 reduziert werde; zumal die Politik am damaligen Verlauf der Ereignisse große Mitverantwortung trage. Alleine das Treffen im Staatsministerium im Vorfeld des Einsatzes sei ein einmaliger Vorgang und belege die Einmischung der Politik. „Stumpfs Entscheidung lässt die Einschätzung zu”, so Seidenspinner, „dass er sich alleingelassen fühlte”.

Die Nachfolge des 60-Jährigen, der als erster Präsidiumsleiter kein Jurist, sondern gelernter Polizist war, werde der neue SPD-Innenminister regeln, sagte Andreas Reißig, der Sprecher der Landespartei, gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Als Kreisvorsitzender der Sozialdemokraten hatte er Stumpfs Rücktritt gefordert, nun zollt er ihm Respekt für die Entscheidung; man müsse deshalb nicht mehr nachkarten. Er wisse, dass der designierte Innenminister Reinhold Gall bereits Gespräche über einen Nachfolger geführt habe. Bis er gefunden ist, wird das Präsidium mit seinen knapp 2600 Beschäftigten von Kriminaldirektor Norbert Walz als ständigem Vertreter des Polizeipräsidenten geführt.

Die Grünen nehmen den Rückzug Stumpfs „mit Respekt zur Kenntnis”, so Uli Sckerl, innen- und polizeipolitischer Sprecher der Landtagsfraktion. „Stumpf galt als besonnener Polizeiführer. Nachdem er die Verantwortung für den aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz am 30. September übernommen hatte, ist der Rückzug folgerichtig”. Damit sei ein dringend nötiger Neuanfang im Verhältnis zwischen der kritischen Bürgerschaft und der Polizei möglich: „Wir Grüne wollen das Leitbild der bürgernahen Polizei weiter stärken und hierfür neue Instrumente einführen.”

Der Grünen-Ratsfraktionschef Werner Wölfle bescheinigte Stumpf, seit Jahren für eine umsichtige und deeskalierende Polizeistrategie gestanden zu haben: „Hierfür gebührt ihm Hochachtung. Deshalb seien die Ereignisse im Schlossgarten, die Wölfle hautnah miterlebte, nicht nachvollziehbar. „Stumpf hat als treuer Beamter hierfür die volle Verantwortung übernommen.” Die politische Verantwortung habe aber bei der früheren Landesregierung gelegen, die vom Wähler abgestraft worden sei. Grüne und SPD wollten nun dafür sorgen, „dass die Polizei nicht als Prügelknabe für eine nicht akzeptierte Politik dienen muss”.

Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) würdigte den Einsatz Stumpfs. Er habe „mit großem Erfolg daran mitgewirkt, dass Stuttgart eine der sichersten Städte Deutschlands ist”. Nicht zuletzt dank der Sicherheitspartnerschaft sei ein enges Zusammenwirken von Bürgern, Verwaltung und Polizei entstanden. Auf die Ereignisse im Schlossgarten ging der OB nicht ein. Er bedauere, dass Stumpf aus gesundheitlichen Gründen ausscheide. Stuttgart verliere einen international anerkannten Repräsentanten der Polizei. CDU-Fraktionssprecher Alexander Kotz betonte, dass Stumpf bei der Umsetzung der Reform der Polizeistandorte ein verlässlicher Partner gewesen sei. Leider seien seine Verdienste durch die Geschehnisse am „Schwarzen Donnerstag” überlagert worden. Das vorzeitige Ausscheiden Stumpfs nach 44 Jahren im Polizeidienst empfindet der neue FDP-Fraktionschef im Rathaus, Bernd Klingler, als „tragisch”. Da dieser die Verantwortung für den Einsatz im Schlossgarten übernommen habe, biete sich für die neue Landesregierung die Chance für einen Neuanfang. Für die Polizei bedeute es eine Entlastung.

Die Initiative der Parkschützer ist froh darüber, dass ein Polizist den Dienst quittiere, der offenbar unfähig sei, Einsätze zu leiten und Verantwortung zu übernehmen. Die Pensionierung sei ein guter, aber nicht ausreichender Schritt. Es sei nur schwer hinnehmbar, dass ein Beamter, der eklatante Fehler gemacht habe, mit vollen Bezügen den Ruhestand genießen dürfe.

 

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Kommentar: Ein überfälliger Schritt

 

Aufgabe. Die Entscheidung des Polizeichefs ist respektabel, den richtigen Zeitpunkt hat er verpasst. Von Jörg Nauke

 

Sieben lange Monate, das Misstrauen des Stuttgarter Gemeinderats und einen Regierungswechsel hat es gebraucht, bis bei dem für den missglückten Einsatz im Schlossgarten am 30. September 2010 verantwortlichen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf eine Entscheidung gereift ist: Dass es wohl besser sein dürfte, freiwillig zu gehen, als vom neuen Innenminister zwangsversetzt zu werden - wie sein Vorvorgänger Volker Haas. Dieser Schritt kommt freilich zu spät, um ihn noch als Sühnemittel für den „schwarzen Donnerstag” deuten zu können; für die Polizei ist er dennoch ein Befreiungsschlag.

Stumpf war zur Belastung geworden. Im Untersuchungsausschuss hat er die Aktion im Schlossgarten schön- und den Einfluss der Landesregierung kleingeredet. Anschließend schmiedete er fleißig Verschwörungstheorien, in denen die Medien eine unrühmliche Rolle spielten. Dass er nun ausschließlich gesundheitliche Motive für seine Demission anführt, dürften seine Kritiker als wenig überzeugend betrachten. Gleichwohl ist die Entscheidung des Beamten zu respektieren, dessen Lebensleistung nun auf einen schwer missratenen Einsatz reduziert wird. Gerade deshalb ist zu betonen, dass Stumpf ansonsten ein Polizeichef mit wenig Fehl und Tadel war.

Die Macht der Bilder von diesem Tag im Schlossgarten ist aber einfach zu nachhaltig, um über die Fehleinschätzungen und -entscheidungen Stumpfs hinweggehen zu können, auch wenn die Staatsanwaltschaft bisher noch keine abschließende Bewertung vorgenommen hat. Besonders wegen der verheerenden Folgen, die der Polizeieinsatz zeitigte, wäre ein früheres Signal des Präsidenten hilfreich gewesen.

Dass an jenem Donnerstag Dutzende von Verletzten zu beklagen waren, ist schlimm genug gewesen. Die Polizisten mussten damals nicht etwa die Gesellschaft gegen demokratiefeindliche Kräfte verteidigen, wie das der abgewählte CDU-Ministerpräsident Mappus wohl bis heute glaubt, sondern nur einen Bauzaun, den man auch noch später hätte aufstellen können, wenn Stumpf das für nötig erachtet hätte.

Das bis dahin ungetrübte Verhältnis zwischen den Bürgern und ihrer Polizei nahm großen Schaden. Während viele Teilnehmer noch an den Folgen des Einsatzes laborieren, leidet der Schutzmann um die Ecke unter einem dramatischen Verlust an Vertrauen und Respekt. Der Freund und Helfer ist in den Augen mancher Bürger zum Kinderschläger mutiert, der das Recht mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray durchzusetzen versuchte. Diesem fatalen Eindruck hätte Stumpf viel früher, und zwar durch die Übernahme der Verantwortung und durch persönliche Konsequenzen, entgegenwirken müssen. Nun ist er gegangen, rühmlich ist der Abgang aber nicht.