In der Berufungsverhandlung eines demonstrierenden Studenten bestätigt das Landgericht ein Amtsgerichtsurteil wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot
Darf ein Demonstrant eine quietschbunte Perücke und eine Papiermaske tragen, wenn er auf der Straße seinen Protest kundtut? Diese Frage hatte gestern das Landgericht in einer Berufsverhandlung zu entscheiden, und die Vorsitzende Richterin Susanne Müller sagte am Ende der dreieinhalb Stunden dauernden Verhandlung: Nein. Maske und Perücke verstoßen gegen das Vermummungsverbot.
Anlass der Verhandlung war — wieder einmal — die Demonstration am 14. November 2009, als Polizisten fast 400 von ursprünglich 1000 Demonstranten der linken Szene einkesselte, die schwarz angezogen waren und Kapuzen, Schals und Masken trugen. Zur Vermummung war auf linken Internetseiten aufgerufen worden — zum Schutz vor fotografierenden Neonazis, so die Begründung der Initiatoren der Demo gegen Rechts. Mit Rechtsextremen war die linke Szene im Laufe des Jahres 2009 tatsächlich mehrfach aneinandergeraten; die Vorfälle seien gravierend gewesen, so die Einschätzung von Anwältin Angela Furmaniak. Sie vertrat einen Studenten, ehemals Vorstand der Studierendenvertretung der PH, der im September 2010 wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbots zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 10 Euro verurteilt worden war. Er hatte zeitweise eine Papiermaske und — als einziger unter Hunderten von Demonstranten — eine auffallende blaue Perücke getragen. Der 25-Jährige hatte als erster der verurteilten Demonstranten Berufung gegen seine Verurteilung eingelegt.
Harry Hochuli, Leiter des Polizeireviers Nord, schilderte in der Verhandlung, wie er und Kollegen mit Flaschen und Böllern beworfen wurden. Es habe eine latente Unruhe geherrscht. "Die wollten unbedingt Action." Das sei zeitweise unangenehm und unkalkulierbar gewesen. Mehrfach habe er die Demonstranten aufgefordert, ihre Vermummungen abzulegen. Neonazis seien an jenem Tag nirgendwo gesichtet worden. Dass ihr Mandant auf der Demo zeitweise Perücke und Maske getragen habe, wollte Verteidigerin Furmaniak nicht leugnen. Da Polizisten den ihr bekannten Studenten trotz dessen Aufmachung erkannten, zeige, dass der Zweck der Vermummung — die Verschleierung der Identität — gar nicht gegeben war. Beim Zugriff der Polizei habe er seine Maske abgelegt gehabt. Die Anwältin plädierte auf Freispruch.
Staatsanwalt Florian Rink vertrat "eine diametral andere Auffassung" : Es müsse nicht nur für szenekundige Polizisten, sondern objektiv für jeden erkennbar sein können, wer die betreffende Person ist. "Durch die Papiermaske war jedoch ein entscheidender Teil des Gesichts verdeckt." Richterin Müller schloss sich dieser Meinung an: Die Aufmachung sei dazu geeignet gewesen, die Feststellung der Identität zu verschleiern. Dass der Student dank der Perücke aus der dunklen Masse herausstach, ändere daran nichts. "Nicht seine Identität ist dadurch besonders zum Tragen gekommen, sondern sein Körper." Eine Demo mit Vermummten laufe Gefahr, weniger friedlich abzulaufen, so die Richterin. Staatsanwalt Rink fand, die rechte Szene in der Stadt sei schwach, es gebe Einzelfälle, aus denen sich für Demonstranten kein Anspruch auf Anonymität ableite. Auch Richterin Müller sah eher eine "diffuse Beunruhigung" als eine konkrete Gefahr durch Neonazis. Sie reduzierte die Geldstrafe von 40 auf 20 Tagessätze.
Vermummungsverbot
Salomonisches Urteil
Die Anwältin des Studenten, der sich bei einer Demonstration gegen Rechtsextreme mit quietschbunter Perücke und Papiermaske ausstattete, spricht von einem salomonischen Urteil. Die Richterin am Landgericht bestätigt, dass es sich um einen Verstoß gegen das Vermummungsverbot handelt — und gibt sich zugleich milde, indem sie das Strafmaß halbiert und die Staatskasse die Hälfte der Gerichts- und Anwaltskosten tragen lässt. Das klingt nach einem echten Kompromiss. In der Tat ist die Rechtsfrage schwierig, wie zwei Beispiele verdeutlichen. Das Landgericht Hannover entschied zugunsten einer maskierten Frau, die bereits im Vorfeld einer Demonstration ins Visier der rechten Szene geraten und von dieser in Mails bedroht worden war. Dass diese Frau nicht ungeschützt gegen die Neonazis vor deren Versammlungsstätte protestieren konnte, sah das Gericht ein, zumal der Frau signalisiert worden war, dass die Rechten die Demonstranten fotografieren würden. Im Fall der Freiburger Demo sah das Gericht eine konkrete Gefahr indes nicht als gegeben an. In einem Fall in Berlin entschied das Gericht zu Lasten einer linken Demonstrantin, die sich zum Schutz ein Tuch ins Gesicht zog, als Rechte und Linke aneinander vorbei marschierten. Die Fälle zeigen: Das umstrittene Vermummungsverbot bedarf der Einzelfallprüfung.