Warum Politiker Sarrazin nicht kritisieren können

GegenStandpunkt

Die Sache mit dem Dumm­heits-​Gen, der Plan von Sar­ra­zin zur Ret­tung wert­vol­ler deut­scher Volks­sub­stanz und
warum Po­li­ti­ker ihn nicht kri­ti­sie­ren kön­nen

Es ist eben das Schö­ne – nicht nur – an der Psy­cho­lo­gie, dass man in ihr für jeden Stand­punkt immer den pas­sen­den wis­sen­schaft­li­chen Be­weis fin­det. Na­tür­lich gilt das auch für jeden ge­gen­tei­li­gen Stand­punkt. Th. Sar­ra­zin, der nun ein­mal von „an­ge­bo­re­nen in­tel­lek­tu­el­len Män­geln“ (S.​100) der Un­ter­schicht über­zeugt ist, wurde in den ein­schlä­gi­gen Wis­sen­schaf­ten eben­so fün­dig wie seine Kri­ti­ker wie S. Ga­bri­el in der ZEIT, F. Schirr­ma­cher in der FAZ, wie an­de­re im Spie­gel oder in der Süd­deut­schen.[1]

 

Sar­ra­zin baute auf den Be­fun­den von der Erb­lich­keit der In­tel­li­genz den einen Pfei­ler sei­nes Un­ter­gangs­sze­na­ri­os auf[2]:„Bei hö­he­rer re­la­ti­ver Frucht­bar­keit der we­ni­ger In­tel­li­gen­ten (er meint deut­sches „Pre­ka­ri­at“) sinkt die durch­schnitt­li­che In­tel­li­genz der Grund­ge­samt­heit. Das ist in Deutsch­land …ge­gen­wär­tig der Fall. „(99) Und da es für ihn eben­falls wis­sen­schaft­lich be­legt ist, „dass zwi­schen Schicht­zu­ge­hö­rig­keit und In­tel­li­genz­leis­tung ein recht enger Zu­sam­men­hang be­steht“(93), ad­diert er eins und eins zu­sam­men und kommt auf sei­nen Warn­ruf: „Mehr Kin­der von den Klu­gen, bevor es zu spät ist.“ (331) Denn wenn kluge Men­schen kluge Kin­der in die Welt set­zen, dumme Men­schen aber eher dumme Kin­der, und wenn sich dum­mer­wei­se die Dum­men ge­gen­über den Klu­gen durch grö­ße­re „Fer­ti­li­tät“ aus­zeich­nen, dann muss man zum einen die Klu­gen im In­ter­es­se der Ret­tung wert­vol­ler deut­scher Volks­sub­stanz zu ver­mehr­ter Kin­der­pro­duk­ti­on an­hal­ten und zum an­de­ren den Dum­men die schäd­li­che Zeu­gungs­quo­te ir­gend­wie ver­mie­sen. Da er die Dum­men nicht me­di­zi­nisch ste­ri­li­sie­ren las­sen will – so ein Vor­schlag ge­hört sich selbst für Deut­sche vom Schla­ge des Th. Sar­ra­zin nicht – lässt er sich eine Art so­zia­ler Ste­ri­li­sie­rung ein­fal­len: Denen muss das Kin­der­krie­gen durch ra­di­ka­len Abbau jener Trans­fer­zah­lun­gen, die ihnen bis­her ein Leben in „an­stren­gungs­lo­sem Wohl­stand“ (Wes­ter­wel­le) er­laubt und die bei ihnen wie eine Prä­mie zum Kin­der­krie­gen ge­wirkt haben, aus­ge­trie­ben wer­den. Für die an­de­ren, die Klu­gen, hat er um­ge­kehrt eine Form der so­zia­len Fer­ti­li­täts­sti­mu­lie­rung in sei­nem Ret­tungs­pro­gramm: „Es könn­te bei­spiels­wei­se bei ab­ge­schlos­se­nem Stu­di­um für jedes Kind, das vor Voll­endung des 30 .​Lebens­jah­res der Mut­ter ge­bo­ren wird, eine staat­li­che Prä­mie von 30.​000 Euro aus­ge­setzt wer­den (Die) dürf­te al­ler­dings nur se­lek­tiv ein­ge­setzt wer­den, näm­lich für jene Grup­pen, bei denen eine hö­he­re Frucht­bar­keit zur Ver­bes­se­rung der so­zio­öko­no­mi­schen Qua­li­tät der Ge­bur­ten­struk­tur be­son­ders er­wünscht ist.“(389f) Alles klar! Einen Haken sieht er al­ler­dings noch in sei­ner So­zi­al-​Eu­ge­nik. Denn nie­man­dem kann das Kin­der­krie­gen un­ter­sagt wer­den, selbst den Dum­men nicht. Was tun, wenn die ein­fach wei­ter un­ge­schützt ver­keh­ren oder ver­kehrt ihre Fa­mi­li­en pla­nen? Dann muss man die Kin­der in Ein­rich­tun­gen ste­cken, in denen der Ver­such un­ter­nom­men wird, sie trotz schlech­ter An­la­gen noch ir­gend­wie ein­zu­deut­schen. Das geht na­tür­lich in den hie­si­gen Er­zie­hungs­ein­rich­tun­gen nicht nach altem Pro­gramm: Denn wenn „für einen gro­ßen Teil die­ser (Un­ter­schichts-​)Kin­der… der Mis­ser­folg mit ihrer Ge­burt be­reits be­sie­gelt (ist): Sie erben die in­tel­lek­tu­el­le Aus­stat­tung ihrer El­tern“ (175), dann wird „auch im bes­ten Bil­dungs­sys­tem … die an­ge­bo­re­ne Un­gleich­heit der Men­schen durch Bil­dung nicht ver­rin­gert, son­dern eher ak­zen­tu­iert“.(249) Bei 80 Pro­zent ver­erb­ter Dumm­heit ist Er­zie­hung ei­gent­lich ver­geb­li­che Lie­bes­mü­he. Aber viel­leicht baut ein Ge­misch aus Zwang und Druck, dem Kin­der und El­tern glei­cher­ma­ßen aus­zu­set­zen sind, das Un­deut­sche in den ge­ne­tisch auf Dumm­heit fest­ge­leg­ten Un­ter­schicht­kin­dern ein wenig ab: Mög­lichst gleich nach der Ge­burt müs­sen dann die Kin­der aus dem fal­schen so­zia­len Mi­lieu ent­fernt wer­den, ka­ser­niert, deutsch trak­tiert, auf mehr prak­ti­sche Nütz­lich­keit ge­trimmt und dem schlech­ten Ein­fluss der El­tern so­weit ent­zo­gen wer­den, dass sie nur den Fei­er­abend und das Wo­chen­en­de zu Hause ver­brin­gen. Wo sich El­tern dem Ent­zugs­pro­gramm nicht un­ter­wer­fen, müs­sen sie “ mit emp­find­li­chen Geld­bu­ßen be­legt (wer­den). Diese wer­den mit den Trans­fer­zah­lun­gen auch dann ver­rech­net, wenn da­durch das so­zio­öko­no­mi­sche Exis­tenz­mi­ni­mum un­ter­schrit­ten wird.“ (232ff) Ein Pro­gramm aus einem Guss [3] Da bleibt keine Auge tro­cken und da ist die Em­pö­rung groß.

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Z.B. auch bei dem Vor­sit­zen­den der SPD, Sig­mar Ga­bri­el, dem die ZEIT Raum für die Be­grün­dung des An­trags zum Aus­schluss des Ge­nos­sen Sar­ra­zin aus der SPD ein­ge­räumt hat. Seine Kri­tik be­ginnt – gar nicht über­ra­schend – mit einer Zu­stim­mung zu den von Sar­ra­zin an­ge­spro­che­nen Pro­ble­men bei der In­te­gra­ti­on von Aus­län­dern. Da möch­te der Par­tei­vor­sit­zen­de auch nichts an­bren­nen las­sen: In­te­gra­ti­ons­un­wil­lig­keit kann nicht hin­ge­nom­men wer­den, er­klärt er und hat denn auch bei der Re­gie­rung gleich jene Stra­fen für hier le­ben­de un­wil­li­ge Aus­län­der ein­ge­for­dert, die In­nen­mi­nis­ter de Ma­zie­re ei­ni­ge Tage vor­her be­reits an­ge­kün­digt hatte. Der Seil­tanz ist für die So­zi­al­de­mo­kra­ten kein Pro­blem, son­dern eine par­tei­po­li­ti­sche Not­wen­dig­keit: Den Sar­ra­zin will man wegen eines un­pas­sen­den „Men­schen­bil­des“, so Ga­bri­el, raus­wer­fen, aber auf das ihm ap­plau­die­ren­de Pu­bli­kum will man als Wäh­ler­po­ten­zi­al kei­nes­falls ver­zich­ten.

Seine sich an­schlie­ßen­de Kri­tik an den The­sen des Noch­par­tei­mit­glieds ist bei Lich­te be­se­hen keine: Es bleibt bei der Em­pö­rung, die un­ter­mau­ert wird mit dem Nach­weis, dass sich das Ge­dan­ken­gut hier( nicht ge­hört, weil es sich auch bei ras­sis­ti­schen Eu­ge­ni­kern fin­det, die nicht zu­letzt den Boden be­rei­tet hät­ten für die Aus­lö­schung „un­wer­ten Le­bens“ durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. Schon ist der rein im Mo­ra­li­schen ver­blei­ben­de Ras­sis­mus­vor­wurf fer­tig und Sar­ra­zin rechts außen fest­ge­na­gelt. Um eine Wi­der­le­gung sei­ner Ur­tei­le (muss sich Ga­bri­el des­we­gen auch gar nicht be­mü­hen: Die Fest­stel­lung einer gro­ben Ab­wei­chung vom so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Bild vom „frei­en und zur Eman­zi­pa­ti­on fä­hi­gen Men­schen“(Ga­bri­el) reicht ihm völ­lig. Im Üb­ri­gen wäre er zur Wi­der­le­gung auch gar( nicht in der Lage. Denn wenn er die dop­pel­te Ver­keh­rung be­grif­fen hätte, die den The­sen von Sar­ra­zin zu­grun­de liegt, wäre er bei einer ver­nich­ten­den Kri­tik jener Re­gie­rungs­po­li­tik ge­lan­det, an der So­zi­al­de­mo­kra­ten sich jah­re­lang be­tei­ligt haben und an der sie sich, so schnell wie es geht, wie­der be­tei­li­gen wol­len.

Ich meine damit Fol­gen­des: Wie ist denn der gar nicht zu be­strei­ten­de Sach­ver­halt zu er­klä­ren, dass Teile der in der Ar­beits­welt – dem 1. Ar­beits­markt – nicht mehr bzw. gar nicht erst ge­brauch­ten und des­we­gen auf Hartz-​IV-​Al­mo­sen ver­pflich­te­ten jün­ge­ren und äl­te­ren Men­schen nicht nur ma­te­ri­ell ver­ar­men, son­dern auch geis­tig ver­wahr­lo­sen? Be­kannt­lich han­delt es sich dabei in der Mehr­zahl um Men­schen, die nach pflicht­ge­mä­ßer Ein­schu­lung di­ver­se Er­zie­hungs­be­mü­hun­gen höchst ei­gen­wil­li­ger Art be­reits hin­ter sich haben; die also be­reits im schu­li­schen Leis­tungs­ver­gleich von Mit­schü­lern aus den hö­he­ren Schich­ten ab­ge­hängt wor­den sind – und das ist ja der harte Kern der „Bil­dungs­fer­ne“; denen durch das Ler­nen für Noten das In­ter­es­se am Schul­stoff oben­drein nicht sel­ten früh­zei­tig aus­ge­trie­ben wor­den ist; die er­fah­ren muss­ten, dass Schu­le die dort im Kon­kur­renz­ler­nen her­ge­stell­ten Wis­sens­män­gel und Kennt­nis­de­fi­zi­te nicht be­hebt, son­dern zum Ma­te­ri­al der Ver­tei­lung der Schü­ler auf Ober- und Un­ter­schu­len macht; die Pro­dukt einer schu­li­schen Gleich­be­hand­lung ge­wor­den sind, bei der in­di­vi­du­el­le und durch Fa­mi­li­en­er­zie­hung be­ding­te geis­ti­ge Un­ter­schie­de nicht etwa kor­ri­giert, son­dern zur Her­stel­lung von un­ter­schied­li­chen Schul­kar­rie­ren be­nutzt wer­den; die in der Schu­le er­le­ben muss­ten, wie aus zu­nächst recht harm­lo­sen Dif­fe­ren­zen im Vor­wis­sen al­ler­erst jene le­bens­ent­schei­den­den Un­ter­schie­de ge­macht wer­den, die über die Auf­be­wah­rung in Rest­schu­len dann ziem­lich gna­den­los in jene so­zia­le Be­rei­che füh­ren, in denen nur noch (Nied­rig-​)Lohn an­ge­sagt ist – wenn denn über­haupt; und die nicht zu­letzt des­we­gen spä­ter kaum In­ter­es­se und En­er­gie auf­brin­gen, sich von sich aus ein wenig von jener geis­ti­gen Nah­rung zu­zu­füh­ren, die bei Sar­ra­zin und Ga­bri­el deut­sche Kul­tur aus­macht.

Das ist die erste Ver­keh­rung: Was Sar­ra­zin aufs Erb­gut zu­rück­führt, ist das Pro­dukt der so­zi­al-​ und ar­beits­markt­po­li­tisch vor allem durch die von den So­zi­al­de­mo­kra­ten auf den Weg ge­brach­ten Agen­da 2010 und eines auf Se­lek­ti­on ab­zie­len­des Schul­we­sens. Bei­des zu­sam­men bringt auch For­men von geis­ti­ger Ver­ro­hung zu­stan­de, die dann durch das Fern­se­hen be­dient wer­den und sich an Stamm­ti­schen bzw. in zer­stör­ten Fa­mi­li­en aus­to­ben. Diese geben dann na­tür­lich ihren Kin­dern kaum jene Er­zie­hung mit auf den Schul­weg, die die geis­ti­ge Elite ihrem Nach­wuchs vor­schu­lisch an­ge­dei­hen lässt. Und schon ist der Zir­kel, den Sar­ra­zin auf einen na­tür­li­chen Zu­sam­men­hang von Un­ter­schicht und feh­len­der In­tel­li­genz zu­rück­führt, per­fekt. Der aber war und ist das Pro­dukt der jüngs­ten Va­ri­an­ten na­tio­na­ler Stand­ort­kon­kur­renz, die ei­gent­lich dem Herrn Ga­bri­el mit sei­nem hüb­schen Men­schen­bild nicht un­be­kannt sein dürf­te. Aber er hat ja sein „Bild“, das in den Grund­sät­zen der Par­tei­pro­gram­ma­tik ge­pflegt wird, wäh­rend in der Re­gie­rungs­po­li­tik dafür ge­sorgt wird, dass den frei­en und zur Eman­zi­pa­ti­on fä­hi­gen Men­schen mas­sen­haft die Mit­tel ein­fach feh­len, sich von ma­te­ri­el­ler und geis­ti­ger Armut zu „eman­zi­pie­ren“.

Auch die Kri­tik der zwei­ten Ver­keh­rung des Her­ren Sar­ra­zin führt schnur­stracks zu na­tio­na­ler Po­li­tik und ihren Re­sul­ta­ten. Die Be­haup­tung Sar­ra­zins be­steht darin, die Opfer na­tio­na­ler So­zi­al-​, Ar­beits­markt-​ und Bil­dungs­po­li­tik zu Schäd­lin­gen des wah­ren Deutsch­tums zu er­klä­ren. Von wegen Schäd­lin­ge: Wer Jahre oder Jahr­zehn­te lang als Lohnar­bei­ter sei­nen Dienst an der Meh­rung ka­pi­ta­lis­ti­schen und am Wachs­tum des na­tio­na­len Reich­tums ge­leis­tet hat und dann mit Hartz-​IV ali­men­tiert wird, der ist kein Schäd­ling, son­dern ein Nütz­ling – immer ge­mes­sen an den Maß­stä­ben die­ser hüb­schen Markt­wirt­schaft. Bei Sar­ra­zin ver­wan­deln sich die ins Elend ent­las­se­nen Leute, ein Re­sul­tat der Kon­kur­renz, in den Beleg, dass sie sich ein­fach Deutsch­land und was sich hier ge­hört ver­wei­gern. Und das ist dann bei ihm die Um­keh­rung: Schäd­ling am Deutsch­tum. Eine echte Ge­mein­heit! Dumm, d.h. ohne Geld zum Leben steht ein Ar­beits­lo­ser al­ler­dings schon dar. Denn er war ein­mal nütz­lich und ist es jetzt nicht mehr! Des­we­gen ist er aber noch kein Schäd­ling, son­dern ein Ex-​Nütz­ling. Und seine pre­kä­re Lage ist hier so vor­ge­se­hen: Wie stün­de es denn wohl um die Er­pres­sung zur le­bens­lan­gen Ab­lie­fe­rung von Lohnar­beit, wenn der Lohn so be­schaf­fen wäre, dass man mit ihm auch in Zei­ten der Nicht­be­schäf­ti­gung or­dent­lich über die Run­den käme? Dem Dau­er­ar­beits­lo­sen wird das Leben so schwer­ge­macht, dass er weder Ge­le­gen­heit noch Kraft oder Lust hat, Thilo Sar­ra­zins Maß­stä­ben vom guten Deut­schen zu ge­nü­gen.

Dass auch un­se­re drei bis vier Volks­par­tei­en mit dem sich dar­aus er­ge­ben­den Be­völ­ke­rungs­zu­stand ziem­lich un­zu­frie­den sind, ist er­neut ihrer Po­li­tik zu ent­neh­men. DieWir­kun­gen ihrer Volks­ver­ar­mungs­po­li­tik fal­len ihnen in Ge­stalt zer­rüt­te­ter Fa­mi­li­en, des nicht schul­fä­hig ge­mach­ten Nach­wuch­ses, der Roh­heit und Kri­mi­na­li­tät unter Ju­gend­li­chen, po­li­ti­schen Rechts­ab­weich­ler­tums, der Ein­rich­tung in Hartz-​IV und auch einer sie wenig zu­frie­den stel­len­den Nach­wuchs­pro­duk­ti­on auf die Füße. Und sie tun etwas da­ge­gen. Na­tür­lich kommt ihnen nicht in den Sinn, etwas gegen die Ur­sa­che ihrer Un­zu­frie­den­heit, die ma­te­ri­el­le Ver­ar­mung zu­neh­men­der Schich­ten, zu un­ter­neh­men.

Die ist wegen der Si­che­rung der Kon­kur­renz­fä­hig­keit des na­tio­na­len Lohn­ge­fü­ges stand­ort­po­li­tisch ge­bo­ten – warum ver­mel­det Deutsch­land wohl in der Krise über­ra­schen­de Wachs­tums­ra­ten! Aber die Wir­kun­gen las­sen sich schon ab­mil­dern: Man sorgt durch Ein­frie­ren von Hartz-​IV für das nö­ti­ge Ab­stands­ge­bot, sprich: dafür, dass die Er­pres­sung, jede Ar­beit an­zu­neh­men, wei­ter greift – Sar­ra­zin lässt grü­ßen! Man legt Ju­gend­be­treu­ungs­pro­gram­me auf, mit denen die für ge­fähr­det gel­ten­de Ju­gend von der Stra­ße ge­holt wird – Sar­ra­zin lässt grü­ßen! Man or­ga­ni­siert ein El­tern­geld, das Aka­de­mi­ke­rin­nen die Ver­bin­dung von Kar­rie­re und Kin­der­wunsch er­laubt – Sar­ra­zin lässt grü­ßen! Man dis­ku­tiert die Be­stra­fung mit Leis­tungs­ab­zug für jene El­tern die sich nicht darum küm­mern, ob ihre Spröss­lin­ge pünkt­lich in der Schu­le an­tre­ten – Sar­ra­zin lässt grü­ßen! Usw. Den Ga­bri­el oder die Mer­kel möch­te ich sehen, die mit so einer Ar­gu­men­ta­ti­on gegen Sar­ra­zin zu­gleich die Grund­la­gen und ak­tu­el­len Ab­tei­lun­gen ihrer ei­ge­nen na­tio­na­len, um Deutsch­lands Wohl – Sar­ra­zin lässt schon wie­der grü­ßen – be­sorg­ten Po­li­tik kri­ti­sie­ren woll­ten!

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Den Sar­ra­zin wegen sei­ner An­lei­hen bei bio­lo­gis­ti­schen In­tel­li­genz­theo­ri­en einen Ras­sis­ten zu schimp­fen, aber zu­gleich nichts dabei zu fin­den, dass die an­ge­hen­de Leh­rer­schaft im Stu­di­um mit der An­la­ge-​Um­welt-​Theo­rie und ihrem pas¬sen­den Ge­brauch ver­traut ge­macht wird, passt auch nicht so recht zu­sam­men. Dass jeder Päd­ago­ge ei­ni­ge Kennt­nis­se über jene Be­ga­bungs-​ und Theo­ri­en über an­ge­bo­re­ne In­tel­li­genz braucht, die Sar­ra­zin so ver­däch­tig ma­chen, und dass sie in den rech­ten Ge­brauch die­ser Be­fun­de ein­ge­wie­sen wer­den müs­sen, daran herrscht unter Lehr­er­bild­nern kein Zwei­fel. Zum rech­ten Ge­brauch der An­la­ge-​Theo­rie ge­hört es z.B., den von den man­gel­haf­ten Schul­leis­tun­gen ihrer Spröss­lin­ge ent­täusch­ten El­tern klar­zu­ma­chen, dass es nun ein­mal – und er habe sich wirk­lich red­lich und immer wie­der be­müht – bei ihrem Kind an den An­la­gen, der Be­ga­bung oder an der an­ge­bo­re­nen geis­ti­gen Aus­stat­tung fehle; um also sein und der Schu­le Se­lek­ti­ons­werk der Natur des Kin­des bzw. der schlech­ten Erb­mas­se der El­tern an­zu­las­ten. Den Um­welt-​Ge­dan­ken braucht der Leh­rer dann, um sich selbst als Er­zie­her doch wie­der ins Spiel zu brin­gen. Den An­la­ge¬-​Be­fund näm­lich ernst ge­nom­men und zu Ende ge­dacht, hätte er sich und seine päd­ago­gi­sche Pro­fes­si­on glatt für über­flüs­sig er­klä­ren müs­sen. Wenn der Ver­stand durch Erb­an­la­gen be­stimmt wäre, dann könn­te die Er­zie­her­schar ihren Hut neh­men. Das darf nicht sein, dafür hält er sich und sei­nen Auf­trag für viel zu be­deut­sam. Also her mit dem ent­ge­gen­ge­setz­ten Be­fund: Auch die Um­welt er­zieht, also vor allem er und die Fa­mi­lie; aber, wie er weiß, auch die Me­di­en, auf deren po­si­ti­ve er­zie­he­ri­sche Wir­kung aber nicht un­be­dingt ge­baut wer­den kann, wes­we­gen er wie­der schwer ge­fragt ist.

Wieso nun das eine Kind zum Schul­ver­lie­rer und ein an­de­res zum Sie­ger in der Lern­kon­kur­renz reift, das kann der stu­dier­te Leh­rer na­tür­lich auch er­klä­ren: Da sind eben die An­la­gen-​ und Um­welfak­to­ren bei ver­schie­de­nen Kin­dern sehr un­ter­schied­lich ver­teilt. Das eine ist mehr durch be­grenz­te Erb­an­la­gen de­ter­mi­niert und das an­de­re von Natur aus of­fe­ner für den se­gens­rei­chen Ein­fluss sei­ner päd­ago­gi­schen Emi­nenz.

Nach den Be­le­genfür diese Theo­rie soll­te man mög­lichst nicht fra­gen. Woher sol­len denn ein Leh­rer oder der an guter völ­ki­scher Sub­stanz des Deutsch­tums in­ter­es­sier­te Sar­ra­zin auch wis­sen, ob eine be­stimm­te geis­ti­ge Aus­stat­tung eines jah­re­lang schon be­schul­ten Men­schen auf ein Erb­gut oder auf Um­welt­ein­flüs­se zu­rück­zu­füh­ren ist? Den­noch sind Psy­cho­lo­gen um den Be­weis für ihren Unfug nicht ver­le­gen. Al­ler­dings fällt der ent­spre­chend aus: Für die Be­haup­tung, geis­ti­ge Un­ter­schie­de seien auf un­ter­schied­li­che An­la­gen, auf Gene, ein Genom, auf jeden Fall auf eine na­tür­li­che Wirk­macht im In­nern des Men­schen zu­rück­zu­füh­ren, die ihm die Gren­zen und viel­leicht sogar den Ge­halt sei­ner geis­ti­gen Ver­fas­sung vor­ge­be, wird der zu er­klä­ren­de und über­haupt nicht zu leug­nen­de Sach­ver­halt, die geis­ti­gen Un­ter­schie­de in einer Schu­le oder Be­völ­ke­rung, gleich in dop­pel­ter Weise be­nutzt. Zum einen stel­len sie das Phä­no­men dar, dem sich der Wis­sen­schaft­ler in er­klä­ren­der Ab­sicht zu­wen­det. Seine (Hypo-)These von der dafür ver­ant­wort­li­chen in­ne­ren An­la­ge des Men­schen be­legt der dann aber doch nur wie­der mit dem Hin­weis auf die vor­han­de­nen geis­ti­gen Dif­fe­ren­zen bei Men­schen: Da sähe man es doch, dass sich ver­schie­de­ne in­ne­re An­la­gen eben auch ver­schie­den äu­ßer­ten! Dass sich die Psy­cho­lo­gie die­ses zir­ku­lä­ren Be­weis­ver­fah­rens – das In­ne­re er­klärt das Äu­ße­re und das Äu­ße­re be­legt das In­ne­re – gerne be­dient, hat einen ein­fa­chen Grund. Der Be­weis ge­ne­ti­scher Be­stimmt­heit von In­tel­li­genz­leis­tun­gen lässt sich näm­lich gar nicht füh­ren. Da ist ein Schü­ler in hö­he­rer Ma­the­ma­tik und im Eng­li­schen ge­schei­tert, hat des­we­gen die Be­rech­ti­gung zum Be­such des Gym­na­si­ums nicht er­hal­ten: An­la­ge? Feh­len­de zumal? Wie will man denn an der Na­tur­aus­stat­tung des Men­schen den Nach­weis füh­ren, dass es mit ihr zu den Grund­la­gen der Ma­the­ma­tik noch ge­reicht hat, die hö­he­re aber im Genom nicht mehr vor­ge­se­hen war? Wie will man an der Gen­struk­tur den Nach­weis füh­ren, dass ihm spä­te­re Er­kennt­nis­se nicht mehr mög­lich sind?

Warum ist wohl noch kein Bil­dungs­po­li­ti­ker, der sich von Psy­cho­lo­gen und Hirn­for­schern hat be­ra­ten las­sen, auf die Idee ge­kom­men, vor der Ein­schu­lung das ge­ne­ti­sche Be­ga­bungs-​ oder In­tel­li­genz­pro­fil zu orten und ent­spre­chend vor der Ein­schu­lung nach bio­lo­gi­schen Kri­te­ri­en jene Sor­tie­rung vor­zu­neh­men, die heute erst nach vier bzw. sechs Jah­ren Schul­un­ter­wei­sung vor­ge­nom­men wird. Warum ei­gent­lich nicht? Da könn­te doch glatt vie­len mit min­de­rer geis­ti­ger Po¬tenz aus­ge­stat­te­ten Kids so ei­ni­ges an Schul­qual er­spart wer­den? Bil­dungs­po­li­ti­ker haben prak­ti­sche Pro­ble­me: Die wol­len eben, dass der ge­sam­te Nach­wuchs sich spä­ter in der Ge­sell­schaft, die ihm al­ter­na­tiv­los als „sein Leben“ vor­ge­setzt wird, zu­recht­fin­det, den Ver­such un­ter­nimmt, seine Le­bens­wün­sche zu er­fül­len und kei­nen Ärger macht, wenn die nicht auf­ge­hen. Und sie wis­sen, dass der Nach­wuchs bevor er in der Schu­le nach Pre­ka­ri­at, Masse und Elite vor­sor­tiert wird, dafür ei­ni­ges wis­sen und ken­nen muss. Ganz Prak­ti­ker eines an ele­men­ta­rer Volks­bil­dung in­ter­es­sier­ten Be­rufs­stan­des pfei­fen sie also erst ein­mal auf die Psy­cho­lo­gie. Die mag ihnen spä­ter dann die schon an­ge­spro­che­nen le­gi­ti­ma­to­ri­schen Diens­te tun, wenn es gilt, jene Men­schen zu be­ru­hi­gen, die auf dem Weg zu dem ihnen in Aus­sicht ge­stell­ten „Glück“ nur die „Arsch­kar­te ge­zo­gen haben. Dass schu­li­sche Volks­bil­dung immer die Pro­duk­ti­on einer grö­ße­ren An­zahl höchst spar­sam Ge­bil­de­ter ein­schließt, die spä­ter das Ver­gnü­gen haben, die ma­te­ri­el­le Spar­sam­keit zum Le­bens­pro­gramm zu ma­chen, so etwas Un­schö­nes mögen sie dann doch nicht ihrem Schul­we­sen als Zweck an­las­ten. Da grei­fen sie dann lie­ber zu der Theo­rie von der Be­ga­bungs­ver­tei­lung in der Be­völ­ke­rung, wel­che die Schu­le nur ab­bil­de.

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Diese Sorte na­ti­vis­ti­schen Den­kens hat also nicht nur der um den Er­halt deut­scher Volks­sub­stanz be­sorg­te Sar­ra­zin drauf.[4] Sie ge­hört zum Ar­se­nal bil­dungs­po­li­ti­scher Le­gi­ti­ma­ti­ons­theo­ri­en, wird eif­rig an deut­schen Uni­ver­si­tä­ten ge­lehrt und ge­lernt; und ihre An­wen­dung bil­det einen Teil des geis­ti­gen Hand­werks­zeugs von Päd­ago­gen. Al­ler­dings möch­te der Sar­ra­zin – und da hat er als ge­schul­ter De­mo­krat wirk­lich etwas miss­ver­stan­den – die In­tel­li­genz­theo­ri­en nicht zur bio­lo­gi­schen Recht­fer­ti­gung von Sor­tie­rungs­er­geb­nis­sen, die das Werk der Schu­le sind, be­nut­zen, son­dern prak­tisch zur An­wen­dung brin­gen: Men­schen mit min­de­rem Erb­gut sind eben für ihn keine wert­vol­len Deut­schen.[5] Und da will er etwas än­dern!

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Bleibt noch die Frage zu klä­ren, wie sich un­ter­schied­li­che In­tel­li­genz­leis­tun­gen, wie sie bei­spiels­wei­se die Schu­le her­vor­bringt, letzt­lich er­klä­ren las­sen.[6] Hier­zu sei ab­schlie­ßend fol­gen­der Ge­dan­ke an­ge­bo­ten, der so­wohl auf den vor­ste­hen­den Text, auf die 463 Sei­ten von Sar­ra­zin und auch auf Ga­bri­els Kri­tik zu­trifft: Der Mensch be­nutzt beim Nach­den­ken seine na­tür­li­chen Po­ten­zen, klei­ne graue Zel­len hei­ßen die im Volks­mund, sehr frei. Er ent­schei­det, wofür er sich geis­tig an­strengt, auf wel­chen Ge­gen­stand er sein ‚Hirn­schmalz‘ ver­schwen­det, wor­über er sich seine Ge­dan­ken macht und wie in­ten­siv er sich nach Dauer und Gründ­lich­keit einem Ob­jekt geis­tig zu­wen­det – wo auch immer, in der Schu­le oder in den ei­ge­nen vier Wän­den, auf der Ar­beit oder im Ur­laub. Diese seine Ent­schei­dun­gen haben etwas mit sei­nem In­ter­es­se zu tun, mit wel­chem auch immer, sie mögen hier oder da, bei den „Rich­ti­gen“ oder „Fal­schen“ ab­ge­guckt, viel­leicht sogar durch Schu­le ge­weckt wor­den sein. Die Er­geb­nis­se der Ver­stan­des­be­tä­ti­gung mögen zu­tref­fend oder ver­kehrt, ober­fläch­lich oder durch­dacht, Pro­duk­te von Phan­ta­sie oder theo­re­ti­scher Dis­zi­plin sein. All dies nimmt nichts davon zu­rück, dass ihre Ver­fol­gung ein Akt frei­er geis­ti­ger Be­tä­ti­gung ist. Nichts davon schreibt dem Men­schen sein na­tür­li­ches Ge­hirn vor und nichts davon ist das Re­sul­tat einer De­ter­mi­na­ti­on durch Um­welt­ein­flüs­se. Üb­ri­gens kann auch kein Leh­rer das Ler­nen er­zwin­gen. Zwang kann er ein­set­zen und das tut er. Ob der Schü­ler dann lernt, wie er dann lernt oder ob er nicht lernt, ist je­doch al­le­mal sein Ding.

Fuß­no­ten:

1) Vgl. ZEIT vom 15.9., FAZ vom 30.8., SZ vom 2.9 und Spie­gel Nr. 36

2) Wie gleich­gül­tig ihm zu­gleich die Be­fun­de psy­cho­lo­gi­scher In­tel­li­genz­theo­ri­en sind, lässt sich den un­ter­schied­lich bis wi­der­sprüch­li­chen Ur­tei­len ent­neh­men, die er in sei­nem Mach­werk ver­streut. Da ist mal von einer Erb­lich­keits­an­nah­me von 60 Pro­zent, dann davon die Rede, dass In­tel­li­genz „zu 50 bis(!) 80 Pro­zent erb­lich“ (91) sei. Dann wie­der­um be­lässt er es dabei, dass geis­ti­ge Un­ter­schie­de „zum Teil erb­lich‘ (98) seien, um schluss­end­lich dar­auf zu ver­wei­sen, dass es „für den Zu­sam­men­hang, um den es hier geht, egal (ist), ob die Erb­lich­keit von In­tel­li­genz bei 40, 60 oder 80 Pro­zent liegt‘ (98).

3) Der an­de­re Pfei­ler sei­nes Un­ter­gangs­sze­na­ri­os, die Aus­län­der bzw. die is­la­mi­schen Aus­län­der, sind hier erst ein­mal nicht das Thema.

4) Er weiß auch, dass zur An­la­ge immer die Um­welt ge­hört: „Rich­tig ist, dass über der Erb­lich­keit geis­ti­ger Po­ten­tia­le die ko­los­sa­le (!) Bild­sam­keit des mensch­li­chen Geis­tes nicht ver­nach­läs­sigt wer­den darf.“(351)

5) Aber auch das ist So­zi­al­de­mo­kra­ten gar nicht fremd, die in Schwe­den mit Ste­ri­li­sa­ti­ons­maß­nah­men und dem Ein­satz von Lo­bo­to­mie noch in der 2.Hälf­te des letz­ten Jahr­hun­derts Be­völ­ke­rungs­po­li­tik be­trie­ben haben; wovon sich, das sei nicht ver­schwie­gen, Ga­bri­el na­tür­lich leicht dis­tan­zie­ren kann.

6) Kri­tik der Be­wei­se der Zwil­lings­for­schung in F.​Huisken, Er­zie­hung im Ka­pi­ta­lis­mus, Ham­burg 1998(3.)S.​75ff