Politaktivisten verdrängen Vertriebenensprecher von Podium

Erstveröffentlicht: 
30.10.2010

(fm). Zu Tumulten und Handgemengen kam es im Bürgerhaus Kleinlinden beim Auftritt des Vizepräsidenten des Bundes der Vertriebenen in Hessen und Sprechers der Pommerschen Landsmannschaft, Hartmut Saenger, vor rund 40 Mitgliedern und Freunden des Kreisverbands der Union der Vertriebenen (UdV). Noch vor Eintreffen der vom Pächterpaar Hans Otto und Nicole Daniel alarmierten Polizei verdrängten zwei Dutzend Jugendliche einer Gießener Antifa-Gruppe den Gastredner vom Pult, entrollten ein Transparent mit der Aufschrift „Gegen Geschichtsrevisionismus und deutschen Opfermythos“ und warfen dicke Stapel von Flugblättern in den Saal.

 

Unter der Überschrift „Deutsche Täter sind keine Opfer!“ wird darin der Bund der Vertriebenen (BdV) als „ein Tummelplatz für Ewiggestrige, RevanchistInnen und GeschichtsrevisionistInnen“ bezeichnet. Bereits während der Begrüßungsrede des UdV-Kreisvorsitzenden Egbert Schellhase, der nach eigenen Worten „eine kurze Einführung in unser Grundverständnis als Union der Vertriebenen“ geben wollte, kam es zu lautstarken Störungen. Zunächst durch überlautes - und ironisch gemeintes - Jubeln und Klatschen, danach im Minutentakt durch Zwischenrufe, tosenden Applaus, Pfiffe und Trillerpfeifen. Zu Beginn hatte Schellhase betont: „Die Vertreibung von unschuldigen Menschen aus ihrer Heimat ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und sich für die „vollständige Wahrheit“ eingesetzt. Neben Stadtrat Dr. Bernhard Höpfner und dem Kreisvorsitzenden des BdV, Alfred Klarner, begrüßte Schellhase „so viele junge Leute mit Interesse an diesem Thema“ und hieß sie „herzlich willkommen zum Gespräch“. Die „hysterisch aufgeregte Debatte“ um die BdV-Präsidentin Erika Steinbach sowie Arnold Tölg und Hartmut Saenger als Mitglieder im Rat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ habe das Ziel, der Bundesstiftung zu schaden und die Opfer in Misskredit zu bringen, sagte Schellhase. Mit dem vor zehn Jahren als Vorläufer gegründeten „Zentrum gegen Vertreibung“ habe man die Flucht und Vertreibung von Menschen im 20. Jahrhundert - darunter nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 15 Millionen Deutsche - weltweit ächten wollen. Als Beleg für seine These „Die Wahrheit siegt“ nannte Schellhase den Münchner Konrad Löw, der als Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung wegen seiner Bemerkung „Die Mehrheit der Deutschen hatte während der NS-Zeit mit den Juden sympathisiert“ verächtlich gemacht wurde. Doch nach einem achtjährigen Kampf sei er durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts rehabilitiert worden.

 

Als es zu Beginn von Saengers Rede zu den lautstarken Zwischenfällen mit Geschiebe, einem umgekippten Tisch und mehreren umgeworfenen Stühlen, einem auf dem Boden liegenden Besucher und in Richtung der Demonstranten geleerten Gläsern kam, rief Nicole Daniel in das Gedränge: „Ich bin entsetzt, so was hab ich in meinem Haus noch nie erlebt.“

 

Äußerlich gelassen („als 68-er haben wir ganz andere Kontroversen ausgestanden“) beschrieb Saenger danach eine Stunde lang die Entwicklungsgeschichte, die Ziele und Leitlinien der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (Direktor: Manfred Kittel) nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ in Berlin. Im Kern gehe es um „Erinnern und Gedenken im Geiste der Versöhnung“ mit dem Hauptakzent Flucht und Vertreibung der Deutschen.

 

Vor Jahresfrist sei er wegen einer „unseligen Begleitsituation“ in die Schlagzeilen geraten, sagte der aus Rosbach stammende Vertriebenenfunktionär. Auf die danach „von Flensburg bis zum Bodensee“ entstandene Medienkampagne ging Saenger nicht näher ein. „Ich habe eine Meinung vertreten, die wurde bestritten, damit bin ich umstritten.“ In der lebhaften Diskussion bestand Einigkeit, dass die „Vermittlung der ungeschminkten Wahrheit die beste Lehre für unsere Kinder und Jugendlichen“ sei. Für die Zukunft ist Saenger optimistisch: „Die junge Generation erschließt sich ihr eigenes Informationsfeld im Internet.“