Für den 1. Oktober 2010 hatte die NPD Heilbronn eine Redner- und Musikveranstaltung mit dem bekannten Nazi- Liedermacher Frank Rennicke angekündigt. Daraufhin mobilisierten AntifaschistInnen unter dem Motto "Nazis den Saft abdrehen! Kein Rennicke- Konzert in Heilbronn!" zu einem unangemeldeten Treffpunkt, um Gegenöffentlichkeit herzustellen.
Letztendlich konnte die NPD- Veranstaltung mit 200 TeilnehmerInnen ungestört in einem Dorf im Landkreis Heilbronn stattfinden, während am Abend rund 70 AntifaschistInnen unangemeldet durch
die Heilbronner Innenstadt demonstrierten. Kurz vor dem Ende der Demo
wurde diese von der Polizei angegriffen und mehrere Personen zum Teil
äußerst brutal festgenommen.
Wir wollen im Folgenden die
Ereignisse des Abends noch einmal detaillierter darstellen und eine
Bewertung aus unserer Sicht vornehmen. Eine solche kritische
Nachbereitung halten wir für wichtig, um zukünftig noch effektiver
antifaschistischen Widerstand organisieren zu können. Selbstverständlich
haben wir den Umgang mit der an diesem Abend äußerst aggressiv
auftretenden Polizei und ihrer Eskalationsstrategie sehr genau
diskutiert. Welche konkreten Schlüsse wir daraus für kommende Aktionen
gezogen haben, werden wir an dieser Stelle natürlich nicht
veröffentlichen. Wir rufen alle Zusammenhänge und Gruppen, die am
Freitag aktiv waren, dazu auf, für sich ebenfalls die Ereignisse noch
einmal zu reflektieren.
Antifademo erfolgreich durchgesetzt
Zum
Treffpunkt um 18.30 Uhr am Hauptbahnhof Heilbronn kamen zunächst nur
ca. 20 Antifas. Bereits nach wenigen Minuten wurden diese von der
Polizei mit Unterstützung der bekannten Staatsschutzbeamten umstellt. Der
Einsatzleiter zeigte sich nicht an einer Kooperation interessiert und
bestand auf der Personalienfeststellung aller Anwesenden. Die Provokationen waren damit aber nicht zu Ende: Ein
vorhandenes Transparent wurde fotografiert, Flugblätter als
"Beweisstück" gesichert und alle vorhandenen Fahnen wurden
beschlagnahmt.
Durch diese Maßnahmen und das damit verbunde
Bedrohungsszenario wurde erreicht, dass sich die Antifas zerstreuten und
rund um den Hauptbahnhof verteilt waren. Die Polizei zog ihre
Kräfte in dieser Situation ab und wartete in unmittelbarer Nähe des
Bahnhofes. Lediglich ein Auto mit Staatschutzbeamten beobachtete das
weitere Geschehen.
Um 19.45 Uhr sammelten sich dann ungefähr 70
Antifas wieder hinter einem Transparent in der Roßkampffstraße und
starteten zügig als Demonstrationszug durch das Bahnhofsviertel
Richtung Innenstadt. Die Demo verlief lautstark und kämpferisch über die
Götzenturmbrücke, die Obere Neckarstraße zum Kiliansplatz und von dort
in die Einkaufsmeile Sülmer Straße. An mehreren Punkten wurde sie dabei
von Einsatzwagen der Polizei beobachtet, ohne dass diese Anstalten machte, einzugreifen. Interessierte
PassantInnen wurden mit Flugblättern über den Anlass der Demonstration
informiert, nicht wenige reagierten positiv.
Polizeiangriff in der Sülmer City
Auch
auf dem Weg durch die Sülmer Straße gab es noch keinen Grund zur
Annahme, dass die Polizei gegen die Demonstration vorgehen würde. Erst
als die Demonstration bereits direkt vor dem Einkaufszentrum "K3"
angekommen war und zum Berliner Platz gelangen wollte, um sich
aufzulösen, versperrten Polizeibeamte ihr den Weg und begannen sofort
damit, die Antifas mit Schlägen und Würgegriffen zu attackieren. Auch die bis dahin nur beobachtenden zivilen Staatsschutzbeamten stürzten sich immer wieder in Schlägermanier auf Einzelne. Versuche,
dem Einsatzleiter zu verstehen zu geben, dass die Demo sich jetzt
friedlich auflösen wolle, wurden mit Fausthieben beantwortet. Die eingesetzten Polizisten waren offensichtlich völlig überfordert und gingen unkoordiniert und aggressiv vor.
Es gelang ihnen schließlich, willkürlich 4 angebliche DemonstrantInnen festzunehmen. Alle Festgenommenen wurden nach Erkennungsdienstlicher Behandlung am späten Abend wieder freigelassen. Kritisch
angemerkt werden muss an dieser Stelle, dass in der Situation vor dem
"K3" bessere Absprachen im Voraus und schnellere gemeinsame
Entscheidungen vor Ort vielleicht die Festnahmen und die Prügelorgie der
Polizei hätten verhindern können.
Unbehelligtes Nazi- Konzert
Während
die Polizei in der Heilbronner Innenstadt gewalttätig gegen
demonstrierende AntifaschistInnen vorging, konnte der NPD- Kreisverband
unter Polizeischutz unbehelligt seine Veranstaltung durchführen.
Über 200 Nazis kamen zur Veranstaltung mit Frank Rennicke, die in einer
Gaststätte in der 3000- Seelen-Gemeinde Ellhofen (Landkreis Heilbronn)
statt fand. Der Bürgermeister von Ellhofen behauptete später ernsthaft,
von einem Nazikonzert in seinem Dorf nichts mitbekommen zu haben.
Keine Probleme mit Nazis
Das unvermeidliche Statement der Polizei folgte am 5. Oktober in der Lokalzeitung. In
der "Heilbronner Stimme" ließ der Polizeipressesprecher uns wissen,
dass die rechte Szene in der Region "unauffällig" und von "starken
Zuläufen nichts bekannt" sei. Er wird zitiert mit der Aussage: "Sie
bereitet uns im Moment keine Probleme."
Wir erinnern uns: nach
Morddrohungen, Hakenkreuzen und "Jude"- Schmierereien gegen einen
jüdischen Bar- Betreiber in Heilbronn äußerte der Polizeipressesprecher,
dass es "eine organisierte rechte Szene im Unterland nicht gebe"(Heilbronner Stimme, 7. Mai 2010)
Am
19. Mai outeten Antifas den mittlerweile weggezogenen Nazikader Marcel
Müller in Obersulm- Willsbach, einem Dorf keine 5 Minuten von Ellhofen
entfernt. Er hatte u.a. im Weinsberger Tal zahlreiche
Schlagerabende, Grillfeiern und Schulungen organisiert und die junge
Naziszene mit den alten Kadern wie dem Organisator des jetzigen Rennicke- Konzertes, Siegfried Gärttner, verbunden. Der Polizeisprecher sagte damals, es gebe im Unterland "keine Naziszene" (Heilbronner Stimme, 26. Mai 2010). Wenige
Tage später durchsuchte die Kriminalpolizei das Zimmer eines angeblich
antifaschistischen Jugendlichen in seinem Elternhaus und suchte nach
Hinweisen auf die Aktion in Willsbach.
Nach einem Nazi- Konzert
am 22. Mai in Ilsfeld- Schozach (Landkreis Heilbronn) mit 150
Teilnehmern bekräftigte der Polizeipressesprecher seine Ansicht, dass
es im Kreis Heilbronn keine Gruppierung der "Neonaziszene" gebe und die
NPD/ JN Aktivitäten mit "vornehmlich parteiinternem Charakter" entfalte
(Heilbronner Stimme, 1.6.2010).
Auch die Tatsache, dass einige
Nazis die Ideologie der NPD in die Praxis umsetzten und am 21. April
2010 einen türkischen Supermarkt in Neckarsulm (Landkreis Heilbronn)
anzündeten, verunsicherte die Heilbronner Polizei nicht. Als im August
2010 die teilweise wegen Hakenkreuzschmierereien bekannten Täter
ermittelt wurden, gingen die Ermittler "nicht von einer politisch
motivierten Straftat einer rechten Szene" aus (Heilbronner Stimme,
14.8.2010).
Das Konzept der Heilbronner Polizei ist nicht schwer zu durchschauen: Keine Probleme mit Nazis - Beschlagnahmungen, Fausthiebe und Hausdurchsuchungen für AntifaschistInnen!
Antifaschistische Strategie
Wir
werden weiterhin dafür sorgen, dass die zahlreichen Aktivitäten der
Naziszene in der Region Heilbronn nicht unkommentiert bleiben. Der
Versuch der Polizei, selbst ein größeres Nazikonzert mit einem
bundesweit bekannten Gast stillschweigend über die Bühne zu bringen und
erst Recht der Angriff auf unsere Demonstration am 1.Oktober haben
einmal mehr gezeigt, was von dieser Seite zu erwarten ist. Der Kampf gegen die Faschisten muss von uns selbst organisiert und auf allen notwendigen Ebenen geführt werden.
Es ist uns am Freitag gelungen, eine kraftvolle unangemeldete Demonstration durchzuführen - trotz aller Repressionen. Unser
Ziel war es, den Hauptbahnhof als wichtigen Verkehrspunkt für die Nazis
möglichst unattraktiv zu machen und - da nicht klar war wo sich die
Nazis treffen würden- an diesem Abend den Schwerpunkt auf einen eigenen antifaschistischen Ausdruck zu legen. Das
ist uns auch gelungen: während sich die Nazis unter Polizeischutz in
einem Dorf versammelten, sind wir mit mehr Leuten als erwartet einmal
durch die City gelaufen. Das eigentliche Ziel jedes
antifaschistischen Engagements an einem solchen Abend - das Verhindern
des Rennicke- Konzertes- konnten und können wir mit dieser Aktionsform
allerdings nicht erreichen.
Die örtliche Polizei hat gezeigt,
dass sie mit spontanen und für sie organisatorisch nicht durchschaubaren
Aktionen noch überfordert ist. Darauf dürfen wir uns allerdings
nicht verlassen. Jetzt gilt es, sich noch stärker zu organisieren,
antifaschistische Strukturen aufzubauen und sich auf verschiedene
Szenarien gemeinsam gezielt vorzubereiten.
Faschisten bekämpfen!
Für eine starke antifaschistische Linke!
Das Organisationskollektiv