Entwaffnung von Reichsbürgern und NPD-Mitgliedern läuft nur schleppend

Erstveröffentlicht: 
31.07.2017
Umsetzung von Ulbig-Ankündigungen erweist sich als schwierig / Erst drei Waffenscheine eingezogen

Von Andreas Debski

 

Dresden. Die Maxime des früheren Marketingchefs Walter Fischer hat sich längst eingebürgert: Wer Gutes tut, sollte darüber reden – und das möglichst öffentlichkeitswirksam. Auch Markus Ulbig hat den Ratschlag für sich beherzigt und für sein Terrain als sächsischer Innenminister interpretiert. Im Ansinnen, das Gute und Richtige zu unternehmen, preschte Ulbig im Zusammenhang mit der Entwaffnung von NPD-Mitgliedern und Reichsbürgern gleich zwei Mal voraus. Erst verkündete er selbige im November 2016, nach dem tragischen Tod eines Polizisten, der in Bayern von einem Reichsbürger erschossen wurde, und legte später, nach dem NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Januar 2017, nach.

 

Solche Personen dürften keine Waffen tragen, machte der Minister unmissverständlich klar und wollte ihnen die entsprechenden Erlaubnisscheine so schnell wie möglich wegnehmen lassen. Heute stellt sich allerdings heraus: Das Prozedere dauert viel länger, als es sich Ulbig vorzustellen vermochte. Sachsens Innenminister landet deshalb höchst unsanft auf dem Boden bundesdeutscher Gesetze. Das Problem bei aller Redseligkeit ist: Die Entwaffnung ist kompliziert, die Ursachen hängen mit rechtsstaatlichen Verfahren und Einzelfallprüfungen zusammen – aber waren auch schon länger bekannt. Kein Wunder, dass Ulbig nach seiner Ankündigungspolitik nun in die Bredouille gerät.

 

Im ersten Fall, bei den Reichsbürgern, wird noch an einer Erhebung gearbeitet. Das Landesamt für Verfassungsschutz schätzt gegenwärtig, „dass eine Personenzahl im oberen dreistelligen Bereich in Sachsen der sogenannten Reichsbürgerbewegung zuzurechnen ist“. Davon sollen zwischen fünf und zehn Prozent als rechtsextrem einzustufen sein – das würde maximal hundert Sachsen betreffen. Aus dem Ulbig-Ministerium heißt es: „Hierzu sind umfangreiche Recherchen und Auswertungen erforderlich, die noch nicht abgeschlossen sind.“ Mit anderen Worten: Bis heute steht – jedenfalls offiziell – nicht fest, wer namentlich als Reichsbürger gelten muss und wem möglicherweise in einem langwierigen Verfahren der Waffenschein entzogen werden soll.

 

Eine recht konkrete Aussage hatte das Innenministerium aber bereits bei der Beantwortung einer Kleinen Anfrage des Grünen-Innenexperten Valentin Lippmann im Februar 2017 getroffen. Vor gut fünf Monaten hieß es: Zu 25 von damals 423 festgestellten Reichsbürgern würden Erkenntnisse über waffenrechtliche Erlaubnisse vorliegen, zudem verfüge eine Person sogar über eine sprengstoffrechtliche Genehmigung. 73 Rechtsextreme würden in Sachsen einen Waffenschein besitzen, geht darüber hinaus aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Kerstin Köditz hervor. Außerdem stellte das Innenministerium gegenüber der Extremismusexpertin fest: Reichsbürger hätten in den vergangenen fünf Jahren 1524 überwiegend einfache Delikte begangen, zu 32 Personen lägen Erkenntnisse mit Bezügen zum Rechtsextremismus vor. Dagegen ist heute davon die Rede, dass erst noch ein „Lagebild“ erstellt werden müsse.

 

Auch im Falle der NPD ist die Waffenwegnahme schwierig. Nur wenige Stunden nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Januar 2017 ließ Ulbig vernehmen, dass die laut Verfassungsschutz 420 sächsischen Mitglieder der zwar nicht verbotenen, doch höchstrichterlich als verfassungsfeindlich deklarierten rechtsextremen Partei ihre Waffen abgeben müssten. Entsprechendes wurde am 27. Januar in einer Dienstberatung mit der Landesdirektion und den unteren Waffenbehörden der Kommunen erörtert. Letztere sollten „unverzüglich“ in Zuverlässigkeitsprüfungen eintreten. Am 28. Februar erging an den Verfassungsschutz die Bitte, „Hinweise auf NPD-Mitgliedschaften und Unterstützungshandlungen für die NPD im Wege der Spontanübermittlung zu geben“. Schließlich gab Ulbig am 13. März einen entsprechenden Entwaffnungserlass heraus.

 

Das Ergebnis ist allerdings ernüchternd – weil es, wiederum nach offiziellen Angaben, erstens gar nicht so leicht ist, NPD-Mitglieder aufzuspüren, und zweitens die Entwaffnung tatsächlich durchzuziehen. Das muss das sächsische Innenministerium gegenüber der LVZ eingestehen: „Es gilt, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD nicht verboten hat. Nur ein solches Verbot hätte pauschal die Entwaffnung aller Mitglieder begründet.“ Allerdings sei davon auszugehen, dass „dort, wo Personen als Anhänger oder als Mitglied diese Bestrebung (gefördert oder) unterstützt haben, ... von einer regelmäßigen waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit auszugehen“ ist.

 

Fest steht aber auch, dass man im Freistaat zurückhaltender mit dem Entzug von Waffenscheinen umzugehen gedenkt. So heißt es in der Erklärung des Innenministeriums: „In Sachsen wurden in der Vergangenheit nicht selten waffenrechtliche Widerrufe, die sich auf NPD-Kader bezogen, gerichtlich aufgehoben.“ Erschwerend komme hinzu, wird in Dresden erklärt, dass „Mitgliederlisten von Parteien nicht öffentlich zugänglich“ seien und auch die rechtsextreme NPD im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zur Herausgabe der Namen gezwungen werden könne.

 

Das Ministerium mahnt plötzlich zur Vorsicht – und die Ulbig-Ankündigung droht zu verpuffen. Demnach liegen den Waffenbehörden derzeit „etwa ein Dutzend Fälle“ vor, in denen NPD-Bezüge aus den vergangenen fünf Jahren – und nur die sind rechtlich noch relevant – eine Rolle spielen. In drei Fällen wurde im ersten Halbjahr 2017 der Waffenschein entzogen. Jedoch nicht allein wegen des Parteibezuges, wie es heißt. „Aber auch in den übrigen Fällen, in denen den Waffenbehörden entsprechende Hinweise vorliegen, haben die erforderlichen waffenrechtlichen Prüfungen begonnen“, teilt das Innenministerium auf Anfrage mit. Damit sind innerhalb eines halben Jahres ganze zwei Hände voll NPD-Mitglieder oder Rechtsextreme mit NPD-Bezug überprüft worden.

 

Nur ein NPD-Verbot hätte pauschal die Entwaffnung aller Mitglieder begründet.