Dortmund. Es war einer der schrecklichsten Tage in der Geschichte der nordrhein-westfälischen Polizei: Am 14. Juni 2000 erschoss der Rechtsextremist Michael Berger (31) in Dortmund und Waltrop drei Beamte im Einsatz – ein Tag, der die Arbeit der Polizei verändern sollte.
Die Stimmung in der Dortmunder Innenstadt war beschwingt und unbeschwert, sie hatte noch nicht ganz die Leichtigkeit jener Fußballfeiern, wie sie für die WM 2006 typisch war, aber der Ball rollte bei der Europameisterschaft im Jahr 2000. Polizeidirektor Uwe Thieme erinnert sich sogar noch genau an das Wetter. „Es war ein warmer, toller Tag mit blauem Himmel”, sagt Thieme, der damals Leiter des ständigen Einsatzstabes für komplexe Einsatzlagen war.
Kontrolliert, weil er nicht angeschnallt war
Der Tag nach dem Auftaktspiel der Deutschen gegen Rumänien verliert seine Unschuld, als um 9.49 Uhr im Graffweg im Dortmunder Ortsteil Brackel fünf Schüsse fallen. Vier Kugeln treffen den Polizeikommissar Thomas Goretzky, eine davon seinen Kopf. Der Vater von zwei Kindern stirbt noch am Tatort, seine Kollegin (25) wird durch einen Beinschuss verletzt. Beide haben nur den Fahrer eines anthrazitfarbenen BMW 325i kontrollieren wollen. Michael Berger (31) war den beiden Polizisten auf dem Hellweg aufgefallen, weil er nicht angeschnallt hinterm Steuer saß. Sie wenden und folgen ihm, ohne Verfolgungsjagd, bis in den Unteren Graffweg, wo Berger an der Seite hält.
Alles sieht nach einer ganz normalen Kontrolle aus. Berger eröffnet sofort das Feuer. „Ohne Geplänkel, ohne verbales Vorspiel, er hat unvermittelt geschossen”, sagt Uwe Thieme. Thomas Goretzky auf dem Fahrersitz wird von vier Projektilen getroffen, seine Kollegin angeschossen. In der Leitstelle bekommt Thieme den Notruf der verletzten Kollegin zufällig mit. „Mir war schnell klar, dass wir es mit einem außergewöhnlichen Fall zu tun haben.”
Die Hinweise auf den Täter sind nur vage: dunkle Haare, dunkler Wagen mit Dortmunder Kennzeichen. Als die Dortmunder Ermittler kurze Zeit später eine Nachricht aus Waltrop erreicht („Schüsse auf Polizeibeamte”), glauben sie zunächst an eine Stille Post. „Es war für uns unvorstellbar, dass sich so ein Fall noch einmal wiederholt haben sollte, das konnte nicht sein”, sagt Uwe Thieme. Doch es war grausame Wirklichkeit.
20 Kilometer weiter sterben zwei weitere Menschen
Berger hat an einer Kreuzung im 20 Kilometer entfernten Waltrop einen parkenden Streifenwagen entdeckt, der den Verkehr beobachtet. Wieder schießt er ohne Vorwarnung in den Wagen. Matthias Larisch von Woitowitz (34) und seine Kollegin Ivonne Hachtkemper (34) vom Polizeipräsidium Recklinghausen erleiden tödliche Kopfschüsse. Sie hatten nicht einmal den Versuch gemacht, den flüchtigen Mörder zu verhaften. „Er hat extra angehalten, um die tödlichen Schüsse abzugeben”, sagt der Dortmunder Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper.
Schweigen, Schock, Wut, Ohnmacht. Es gibt an diesem Tag viel zu wenig Worte, um die Stimmung innerhalb der Polizei und der Bevölkerung zu beschreiben. Unzählige Mails, Briefe, Kondolenzbücher, ein Gedenken und gleichzeitig eine Demonstration von rund 7000 Polizisten in Dortmund: „Es herrschte eine außergewöhnliche Solidarität und Anteilnahme, auch seitens der Bevölkerung” sagt Thieme, „wir nahmen das Gefühl auf, dass es eine breite Zustimmung zu unserem Beruf gibt.”
In den Folgetagen entbrannte eine Diskussion um die Schutzlosigkeit der Polizisten, die die Bürger schützen sollen und um die Rolle der Polizei in der Gesellschaft. Sollen die Polizisten, wie in den USA, künftig mit gezogener Waffe in der Hand auf Menschen zugehen? „Das wollen wir nicht”, sagte der damalige Vorsitzender Polizeigewerkschaft GdP, Norbert Spinrath.
Schutzwesten als Folge des Dramas
Eine handfeste Folge aus den Dortmunder Polizistenmorden: Knapp zwei Jahre später rüstet NRW- Innenminister Fritz Behrens (SPD) rund 10 000 Polizistinnen und Polizisten mit Schutzwesten aus. „Jeder Beamte im operativen Dienst besitzt heute eine individuell angepasste Schussweste”, sagt Uwe Thieme. In den Einsatzwagen gibt es Kameras, die Fortbildung der Beamten zur Eigensicherung wurde den Erkenntnissen aus dem Dortmunder Fall angepasst.
Doch nach wie vor bleibt der Beruf gefährlich. „Gäbe es heute einen ähnlichen Fall, wir könnten ihn wahrscheinlich nicht verhindern”, sagt der Dortmunder Polizeidirektor Thieme. Gegen kaltblütige Kopfschüsse helfen auch schusssichere Westen nicht. Auch die Aggressivität der Menschen habe sich bis heute unglaublich verändert: „Der Respekt vor der Polizei nimmt rapide ab.”
Am Abend des 14. Juni 2000 wird Michael Bergers Wagen in Olfen gefunden. Der 31-Jährige, in die rechtsradikale Szene verstrickt, hat sich selbst gerichtet. Der Waffennarr war Job und Führerschein los, depressiv und fürchtete offenbar an diesem Tag, auch seinen geliebten Wagen zu verlieren.
Innenminister legt Grundstein für Denkmal
NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) und Diethelm Salomon, Vorsitzender der Polizeistiftung NRW, werden am Montag, 14. Juni, in der Landespolizeischule Selm-Bork den Grundstein für eine Gedenkstätte für im Dienst getötete Polizisten legen. Das Mal stammt von dem Düsseldorfer Künstler Anatol, einem früheren Polizisten.
„Wir haben eine solche Gedenkstätte bislang nicht, in anderen Ländern ist so etwas gang und gäbe”, sagt der Dortmunder Polizeisprecher Wolfgang Wieland, „ich kann es nur begrüßen.“
Dortmund, 11.06.2010, Michael Schmitz