Mieter wehren sich gegen Immobiliendeal - Wir kaufen unser Haus

Erstveröffentlicht: 
05.06.2017

Es schien die typische Geschichte einer Verdrängung zu werden. Doch statt lautstark zu lamentieren, nahm eine Mietergemeinschaft in Berlin-Kreuzberg ihr Schicksal in die eigene Hand. Mit Unterstützung des Bezirks will sie ihr Zuhause retten. Von Ute Barthel

 

Am Wohnzimmerfenster von Yvonne von Langsdorff klebt ein großer roter Punkt, und auch an der Fensterscheibe ihrer Nachbarn . "Der rote Punkt bedeutet: Wir sind verkauft. So wie ein verkauftes Kunstwerk in einer Galerie auch mit einem rotem Punkt markiert wird. Aber wir Mieter sind keine Objekte!", erklärt sie und lacht dabei.

 

Die quirlige Frau mit den kurzen blonden Haaren sprüht vor Energie. Sie sitzt an einem großen Wohnzimmertisch, an dem sich auch ihre Nachbarn versammelt haben. Sie alle wollen verhindern, dass ihre Wohnungen zu Spekulationsobjekten werden. Sie leben in einem schlichten Altbau in der Zossener Straße 48 in Kreuzberg, unweit vom Mehringdamm. Im vergangenen Dezember erhielten sie die Nachricht, das Haus habe einen neuen Eigentümer, die "Zossener 48 GmbH". 

 

Bezirk will sein Vorkaufsrecht nutzen


Kurz darauf trafen sie den Geschäftsführer dieser GmbH zufällig im Haus und fragten, was seine Pläne seien. Der beruhigte sie: Alles werde beim Alten bleiben, sie sollten sich keine Sorgen machen, berichteten sie. Doch nur einige Tage später kamen unbekannte Leute und besichtigten das Haus. "Und so erfuhren wir, dass das Haus schon wieder zum Verkauf angeboten worden ist. Dem Eigentümer ging es also nicht darum, Vermieter zu sein. Er wollte das Haus möglichst schnell verwerten. Wir waren also sehr besorgt", erzählt Yvonne von Langsdorff.

 

Doch was können wir tun, fragten sich die Mieter in einer ihrer ersten Versammlungen. Schnell erfuhren sie, dass der Bezirk in Milieuschutzgebieten bei Hausverkäufen ein kommunales Vorkaufsrecht hat, wenn eine Verdrängung der Bewohner droht. Ihr Haus befindet sich in einem Milieuschutzgebiet. Es gab also die Chance, den Erwerb des Hauses durch die GmbH noch zu verhindern. Vom Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), erfuhren sie, dass der Bezirk bereits prüfe, ob er das Vorkaufsrecht in ihrem Fall ausüben könne. 

 

Preis zu hoch für die Bezirkskasse


Der Verdacht lag nahe, dass die Mieten in der Zossener Straße 48 in die Höhe schnellen würden. "Wir wissen aus Erfahrung, wie die Projektentwickler mit den Häusern umgehen.  Da werden mit Modernisierungsmaßnahmen höhere Mieten erzielt. Die Mieter werden rausgekauft.  Da wird Druck ausgeübt, damit die Mieter ausziehen.  Das wollen wir mit dem Vorkaufsrecht verhindern", sagt der 41-jährige Baustadtrat mit dem rotblonden Bart.

 

Der Kaufpreis war jedoch zu hoch und in der Bezirkskasse war dafür kein Geld mehr. Aber der Bezirk kann das Vorkaufsrecht auch zu Gunsten eines Dritten ausüben. Er braucht also einen finanzkräftigen Partner, der sich verpflichtet, das Haus im Sinne des Milieuschutzes zu bewirtschaften.

 

Das heißt: Er darf die Mietwohnungen nicht umwandeln in Eigentumswohnungen, keine Luxusmodernisierungen durchführen und keine Grundrissänderungen vornehmen. In Frage kommen städtische Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften oder gemeinnützige Stiftungen. Doch die Zeit drängte, denn der Bezirk muss innerhalb von zwei Monaten entscheiden, ob er von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch macht. 

 

Stiftung hilft Mietern beim Kauf


Die Mieter der Zossener Straße 48 begaben sich auf die Suche nach einem Partner. Yvonne von Langsdorff, die ein kleines Geschäft hat, in dem sie ihre selbst entworfenen Hosen verkauft, ließ drei Monate ihren Job ruhen. "Ich habe jeden Tag vier Stunden telefoniert und insgesamt 800 E-Mails geschrieben. Dann haben wir eine Stiftung gefunden, die uns unterstützen will und den Kauf finanziert", sagt sie.

 

Die Stiftung Nord-Süd-Brücken fördert eigentlich nachhaltige Projekte im Ausland. Ingrid Rosenburg begründet, warum sich die Stiftung diesmal in Kreuzberg engagiert: "Wir versuchen, unser Stiftungskapital so ethisch und ökologisch wie möglich am Kapitalmarkt anzulegen, damit wir mit dem Vermögen noch mal positive gesellschaftliche Wirkung erzielen. Wir finden, dass der Kauf eines Hauses durchaus eine solche Wirkung erzielen kann, wenn die BewohnerInnen sich selbst organisieren, das Haus selbst bewirtschaften und dauerhaft sicher sein können, dass sie dann hier wohnen bleiben können", sagt sie. 

 

Darlehen soll mit Mieten abbezahlt werden


Die Stiftung hat angekündigt, das Haus nach einem Jahr an die Mietergemeinschaft zu verkaufen. Die Mieter bilden dafür einen Verein und bewirtschaften und verwalten das Haus dann selbst. Mit der Stiftung schließen sie einen Erbbauvertrag über den Grund und Boden, wie Yvonne von Langsdorff das Modell erklärt. "Dann werden wir als Verein Besitzer dieses Hauses, aber jeder bleibt weiterhin Mieter. Dieses Haus wäre dann dauerhaft vom Markt der Spekulation entzogen und würde dauerhaft der Stadt als bezahlbarer Wohnraum erhalten bleiben."

 

Das Darlehen für den Hauskauf werden sie mit den Mieten abzahlen. Dafür würden sie auch Mieterhöhungen in Kauf nehmen, denn schließlich könnten sie langfristig in ihren Wohnungen bleiben, sagt von Langsdorff.

 

Der Bezirk hatte dem Investor schon im Februar ein Angebot gemacht. Er könne das Haus kaufen, wenn er in einem Vertrag die Auflagen des Milieuschutzes akzeptieren würde. Doch dieses Angebot zog der Bezirk wieder zurück. Inzwischen wurde bekannt, dass der Investor das Haus bereits für einen 800.000 Euro höheren Kaufpreis weiterverkauft hatte. "Hier liegt quasi ein Spekulationssachverhalt vor, wie er deutlicher nicht sein könnte", sagt der Baustadtrat Florian Schmidt. 

 

Jahrelanger Rechtsstreit droht - Mieter zuversichtlich


Deshalb entschied der Bezirk, sein Vorkaufsrecht auszuüben. Prompt legte der Investor Widerspruch ein. Auf die Anfrage von rbb|24 ließ er seinen Anwalt schriftlich antworten. Er bestätigte den Preisaufschlag, begründete dies jedoch mit den erheblichen Kosten für An- und Verkauf des Objektes in Höhe von etwa 300.000 Euro. Außerdem läge der Verkaufspreis moderat über dem ursprünglichen Ankaufspreis, was dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspräche.

 

Nun droht ein jahrelanger Rechtsstreit. Doch der Bezirk scheint bereit, das Vorkaufsrecht bis in die letzte Instanz durchzufechten. Die Mieter in der Zossener Straße zeigen sich optimistisch, auch wenn sie nicht einschätzen können, wie die Gerichte am Ende entscheiden werden. Yvonne von Langsdorff schließt den dicken Aktenordner mit all den Dokumenten, die sie in den vergangenen Wochen gesammelt hat. Sie schaut aufmunternd in die Runde ihrer Mitstreiter und sagt: "Wir haben alles versucht und nicht schon von Anfang an aufgegeben. Schließlich sind wir Mieter keine Objekte, die man einfach so verkaufen kann."