Mannheim: Dunkle Tage im Mai 1992

Dunkle Tage im Mai 1992
Erstveröffentlicht: 
27.05.2017

Stadtgeschichte - Vor 25 Jahren belagern Bürger die Asylunterkunft auf der Schönau / Wissenschaftler spricht am Sonntag über Erinnerungskultur

400 Menschen, eine Front. Zumeist angetrunkene Jugendliche, die "feindliche Parolen an die Adresse der Asylanten grölten". So beschreibt "MM"-Redakteur Jan Cerny im Mai 1992 den Himmelfahrt-Abend vor dem Asylbewerberheim in der Gendarmeriekaserne. Morgen jährt sich der Tag, an dem fremdenfeindliche Bürgerproteste auf der Schönau eskalierten, zum 25. Mal.

 

"Ich habe das nicht nur miterlebt, ich habe das miterlitten", sagt Regina Trösch, ehemalige CDU-Stadträtin, heute. Sie engagiert sich damals in der Flüchtlingsarbeit und stellt sich mit anderen, auch mit dem damaligen Oberbürgermeister Gerhard Widder, vor die aufgebrachte Menge. Sie will die Menschen - viele kennt sie persönlich - zur Vernunft bringen.

 

VORTRAG AM SONNTAG

  • Kulturwissenschaftler Matthias Möller spricht morgen, 28. Mai, unter dem Titel "Mannheim-Schönau 1992 nicht vergessen!".
  • Der Vortrag beginnt um 17 Uhr in der Gaststätte im Siedlerheim, Bromberger Baumgang 6.
  • Veranstalter sind das JUZ (Jugendzentrum in Selbstverwaltung Friedrich Dürr), der AK Antifa Mannheim, das Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim, die Initiative "Mannheim sagt Ja!" und die Kampagne "Perspektive statt Alternative".
  • Möllers Magisterarbeit entstand an der Uni Tübingen. Heute forscht und lehrt er am University College Freiburg, das zur Universität gehört.
  • Der Kulturwissenschaftler ist Autor des Buches "Ein recht direktes Völkchen?: Mannheim-Schönau und die Darstellung kollektiver Gewalt gegen Flüchtlinge", das 2007 im Trotzdem-Verlag erschienen ist.
  • Möller engagiert sich seit den 90ern in antifaschistischen Bewegungen.

 

In dem Gebäude in der Lilienthalstraße leben in dieser Zeit mehr als 200 Menschen, die meisten stammen aus Jugoslawien und aus afrikanischen Ländern. Sie kommen in ein Viertel, das mit Problemen kämpft. Und in eine Unterkunft, die nach dem Abzug der Amerikaner auch ein Jugendtreff hätte werden können. Die Stimmung ist angespannt. Plötzlich dieses Gerücht, eine 16-jährige Schönauerin sei von einem Bewohner der Unterkunft vergewaltigt worden. Tatsächlich ist der amerikanische Freund des Mädchens der Täter.

 

Synonyme rechter Gewalt

 

Schon vor Himmelfahrt beginnen die Belagerungen, anschließend dauern sie Tage an. Die Polizei ist im Dauereinsatz. Es kommen Menschen hinzu, die sich mit den Flüchtlingen solidarisieren. Friedliche Demonstranten, aber auch gewaltbereite Linke. "Weg mit dem rassistischen Bürgermob" fordern sie. Es folgen Demonstrationsverbote und Zusammenstöße: mit den Schönauern, mit der Polizei. Auch in der Innenstadt, auch zwei Wochen später noch. Die Ausschreitungen fallen in eine Zeit, in der Städte wie Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen zu Synonymen für Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt werden. Städte, die diesen Ruf nicht mehr loswerden. Anders Mannheim, wo die Belagerungen glimpflich ausgehen. 25 Jahre später "interessiert sich keiner mehr dafür", sagt Regina Trösch.

 

Ein Aspekt, mit dem sich Kulturwissenschaftler Matthias Möller morgen auf der Schönau auseinandersetzen will. Er hat seine Magisterarbeit über die Ereignisse in Mannheim geschrieben, die er "pogromartig" nennt. Was ihn besonders interessierte: Während an anderen Orten Neonazi-Gruppen die Stimmung anheizten und Übergriffe organisierten, gingen in Mannheim "normale Bürger" - Nachbarn der Unterkunft - massiv gegen Flüchtlinge vor.

 

Möller untersuchte auch die Rollen von Stadtverwaltung, Polizei und Medien. "Die Polizei hat sich klar vor die Unterkunft gestellt", betont er. Aber: Sie habe vor allem das Gebäude geschützt, nicht die Menschen darin. Zudem vermisste er ein ausreichendes juristisches Nachspiel. Es habe sich nicht um Gewalttäter, sondern um "angetrunkene, aufgebrachte Bürger" gehandelt, zitierte diese Zeitung 1994 Polizeisprecher Volker Dressler. Landesinnenminister Frieder Birzele (SPD) rügte das Vorgehen der Polizei: "Vermutet wird, daß speziell gegen ausländerfeindliche Straftäter in Mannheim zu lasch ermittelt wurde", schrieb der "MM".

 

"Auch die Stadtverwaltung ist einen sehr weichen Kurs gefahren", sagt Möller. "Es fehlte an einer klaren Verurteilung." In einem Brief an die "lieben Mitbürger auf der Schönau" mahnte Oberbürgermeister Gerhard Widder am 29. Mai zur Besonnenheit. "Lassen Sie sich keinesfalls zu unüberlegten Handlungen provozieren oder gar mitreißen", hieß es darin. "Es hat - so weit ich mich erinnere - Lärm gegeben und feindselige Haltungen, aber keine Übergriffe", sagt Widder heute. Das seien keine Gewalttäter gewesen. "Ich wusste: Auch wenn sie wütend sind, die Schönauer tun mir nichts."

 

Im Vergleich sei die Verwaltung sehr hart gegen die antifaschistischen Proteste vorgegangen, analysiert Möller. Gerhard Widder betont, dass es sich dabei um unterschiedliche Dinge handelte: zum einen um "durch eine Falschmeldung aufgebrachte Bürger", zum anderen um "zugereiste Kräfte, die bewusst Brennpunkte aufgesucht haben". Er betont: "Wir haben in Mannheim - das gilt bis heute - eine hochverantwortlich handelnde Polizei." Sie mache keinen Unterschied, ob es sich um rechte oder linke Störer handele.

 

Auch die Medien überspielten Möllers Untersuchung zufolge sehr schnell, dass Teile der Bevölkerung Grenzen überschritten hatten - "indem sie die Bedrohungslage von außen, durch zugereiste antifaschistische Akteure, hochstilisierten". 1990 bis 1993 hätten Medien bundesweit gegen Ausländer gehetzt. Er nennt Beispiele - auch aus dieser Zeitung: Im April 1992 etwa sei im "MM" ein Beitrag über das Freizeitheim auf der Schönau erschienen. Weil Asylbewerber im Mehrzwecksaal Sport treiben wollten, hatten die Schönauer demnach Angst, dass die erfolgreiche Jugendarbeit vor dem Aus steht - und "Drogen quasi durch die Hintertür wieder ins Haus gelangen" würden.

 

Wissenschaftler Möller war 1992 gerade 16, lebte in Ludwigsburg. "Ich komme nicht nach Mannheim, um den Schönauern zu erklären, wie das damals war", betont er. Er wünsche sich eine Diskussion - darüber, wie man der Ereignisse gedenken kann. "Die Gendarmeriekaserne als Erinnerungsort wäre schön gewesen." Das sagt Möller, das findet auch Regina Trösch. Wo das geschichtsträchtige Gebäude stand, befindet sich heute ein Supermarkt.