Kriminalbeamter im NSU-Untersuchungsausschuss "So läuft das hier in Thüringen"

Erstveröffentlicht: 
11.05.2017

Im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages packte am Donnerstag ein langjähriger Fahnder aus. Mit seiner Aussage ist der Ausschuss wieder bei den Skandalen der frühen Thüringer Nachwende-Jahre angekommen - in eine Zeit, als der Verdacht bestand, dass Thüringer Landespolitik, Geheimdienste und Polizeibehörden in einem dubiosen Netzwerk verstrickt waren. von Ludwig Kendzia

 

Horst Meier* (Name geändert) brauchte etwa eine Stunde, bis er sich so richtig warm geredet hat. "So läuft das hier in Thüringen", ruft er an diesem Donnerstag sichtlich erregt in den Saal 001 des Thüringer Landtages. Zuvor hatte er in staunende und ungläubige Gesichter der Abgeordneten des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss geschaut, als er ihnen von einem Treffen mit Thomas Dienel erzählt. Die schillernde Figur Dienel spielte in Thüringen seit den neunziger Jahren immer wieder eine Rolle. Bis Mitte der neunziger Jahre war der ehemalige NPD-Funktionär V-Mann des Verfassungsschutzes. Aktuell droht ihm ein großes Betrugsverfahren vor dem Landgericht Gera.

 

Während der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss in den vergangenen Monaten mehr oder weniger vor sich hinplätscherte, nahm er heute wieder Fahrt auf. Und das lag in erster Linie an der Geschichte, die Horst Meier über Thomas Dienel im Ausschuss heute erzählte. Meier, Kriminalbeamter in Weimar und langjähriger Fahnder in Thüringen, war vor den Ausschuss am Donnerstag als Zeuge geladen. Der beschäftigt sich derzeit mit dem Thema "Verbindung von Organisierter Kriminalität und Neonazis". Meier sollte Auskunft aus seiner Zeit im LKA-Dezernat 65 Sonderermittlungen geben, das sich in frühen Neunzigern mit Organisierter Kriminalität beschäftigt hatte. In diesem war er nach eigener Aussage zwischen 1991 und 1993. Doch Meier begann im Laufe seiner Vernehmung sich immer weiter von dieser Zeit zu entfernen. Bis er bei seinem Treffen mit Dienel im Juni 2001 angelangt war. 

 

"V-Mann hatte Angst um sein Leben"


Dienel habe sich bei ihm und den Kollegen der Kripo Weimar damals 2001 gemeldet und als Zeuge eine Aussage gemacht. Es sei um einen Geschäftsmann aus dem Weimarer Land gegangen, der auf Dienel zugekommen war. Der habe ihm angetragen, jemanden zu engagieren, der seine Frau umbringen sollte. Mit diesen Informationen sei Dienel zu ihnen gekommen, so der Beamte. Als sie ihn ein weiteres Mal vernehmen wollten, tauchte er nicht mehr auf. Meier und ein Kollege seien dann zu Dienel gefahren und hätten mit ihm geredet. Das sei im Juni 2001 gewesen. "Da hat er uns die Geschichte aus Jena erzählt", sagte Meier. Dienel habe ihm und seinem Kollegen berichtet, dass er von V-Leuten aus Jena aus der rechten Szene, die für den Verfassungsschutz gearbeitet hätten, mit dem Tod bedroht worden sei. "Es war Dienel körperlich anzumerken, dass er Angst gehabt hatte, umgebracht zu werden", so Meier.

Doch Dienel packte weiter aus. Laut Meier hatte er auch interne Informationen über politisch wichtige Leute, auch aus dem Thüringer Innenministerium gehabt. 

 

Abgeordnete werden hellhörig


Die Abgeordneten des NSU-Ausschuss wurden hellhörig. Mehrere fragten nach, doch Meier wollte keine weiteren Details nennen. Aber, er habe das Ganze mit seinem Kollegen damals 2001 in einem Protokoll niedergeschrieben. Doch damit hätten die Probleme erst richtig begonnen. Denn nach einigen Wochen sei der hohe Polizeibeamte Michael Menzel aus dem Thüringer Innenministerium erschienen. Er habe ihn und seinen Kollegen aufgefordert, das Protokoll von dem Gespräch mit Dienel zu löschen. "So läuft das hier in Thüringen", ruft Meier nun, sichtlich erregt. Jetzt wurden die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses noch hellhöriger. Denn bei Michael Menzel handelt es sich um den Beamten, der als damaliger Leiter der Polizei Gotha die Ermittlungen rund um das Auffliegen des NSU 2011 geleitet hatte. Einen Job, für den er immer wieder in der Kritik stand. Menzel hatte alle Vorwürfe zu angeblich schlampiger Ermittlungsarbeit in Eisenach stets zurückgewiesen. Nun diese brisante Info des Zeugen Meier im heutigen Ausschuss.   

 

Bereits während Meiers Geschichte über Dienel, das Protokoll und Menzels angeblicher Aufforderung zur Löschung, wurden die Beamten des Thüringer Innenministeriums im Ausschuss immer nervöser. Nach einigem Hin und Her zwischen Ministerium und der Linken Obfrau Katharina König einigte sich der Ausschuss auf eine Unterbrechung. Im Ergebnis muss Meier nun in der kommenden Sitzung im Juni erneut erscheinen. Bis dahin soll das Innenministerium das Protokoll besorgen. Denn 2001 hat Meier nach eigener Aussage das Dokument vor Menzel nur zum Schein gelöscht. Später habe er es einem anderen Ministeriumsmitarbeiter ausgehändigt. Nach Informationen von MDR THÜRINGEN existiert das brisante Dokument noch. 

 

"90er-Jahre wieder präsent"


Mit Meiers Aussage ist der NSU-Untersuchungsausschuss wieder bei den Skandalen der frühen Thüringer Nachwende-Jahre angekommen. Als es um Lecks im Landeskriminalamt ging, als Verfassungsschutz-V-Leute durch Journalisten enttarnt wurden, als Computer beim Umzug des Innenministeriums verschwanden oder CDs mit Geheimdaten in den Briefkästen von Zeitungsredaktionen landeten. In einer Zeit, als der Verdacht bestand, dass Thüringer Landespolitik, Geheimdienste und Polizeibehörden in einem dubiosen Netzwerk verstrickt waren.

 

Meier nährt diese Annahme allein schon damit, dass er selber Mitte der Neunziger Jahre erlebt habe, wie große Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität ausgebremst wurden. "Wir haben Gelder für fingierte Waffenankäufe nicht bewilligt bekommen", so der Beamte. Damit seien unter anderem Ermittlungen gegen die Russenmafia geplatzt. Als sie sich beschwert hätten, seien im Gegenzug gegen ihn und seine Kollegen Verfahren eingeleitet worden. Vorwurf: Geheimnisverrat. "So läuft das hier in Thüringen", ruft Meier noch mal erregt in den Raum. Fast fünf Jahre sei gegen ihn und andere verdeckt ermittelt worden.

 

Alte Skandale kommen wieder hoch

 

Meier ist mit seinen Vorwürfen nicht alleine. Sein früherer Dezernatsleiter aus dem LKA, der vor ihm als Zeuge an diesem Donnerstag dran war, wunderte sich noch heute, dass sein Bereich damals ohne Grund eingestampft worden sei. "Die Gründe kennen ich auch heute, nach 22 Jahren, nicht", sagte der erfahrene Ermittler. Nach seiner Aussage habe es im Thüringer LKA eine tiefe Kluft zwischen den westdeutschen Führungsbeamten und den ostdeutschen Ermittlern gegeben. Da seien Leute als Vorgesetzte aus den westdeutschen Ländern gekommen, die für die Personalführung "völlig ungeeignet" waren. Er und auch Meier deuteten immer wieder an, dass sie bestimmten Vorgesetzten durch ihre Ermittlungen auf die Füße getreten und deshalb kalt gestellt worden seien. Allein: der genaue Beweis dafür fehlt.

 

Um die Suche nach dem Jenaer Bombentrio ging es heute auch noch. Denn MDR THÜRINGEN hatte im April öffentlich gemacht, dass in den Zielfahndungsakten Daten über abgefangene SMS fehlen. Die Zielfahnder des Thüringer Landeskriminalamts hatten 1998 nach dem Untertauchen das Handy des ehemaligen sächsischen Neonazis Jan Werner überwacht. Werner stand damals im Verdacht, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bei der Flucht geholfen zu haben.

 

Nun, fünf Jahre nach dem Auffliegen des Trios wurde bekannt, dass in den alten Akten ganze Datensätze über Seiten fehlen. Der Ausschuss wollte Am Donnerstag die Sache aufklären. Dazu hatte sich der Ausschuss Beamte des Thüringer LKA einbestellt, die im November/Dezember 2011 die alten Akten aufgearbeitet hatten. Doch keiner konnte das genau erklären. Der eine sagte, dass die Daten 1998 nicht hätten aus den Akten verschwinden können. Aber beim Sortieren 2011 sei ihnen auch nichts aufgefallen. Damit bleibt auch dieses Kapitel des NSU-Komplexes weiter ungelöst.