[Arnsdorf] Angriff auf kranken Flüchtling: Großes Spektakel, kurzer Prozess

Erstveröffentlicht: 
24.04.2017

Vier Männer zerren einen psychisch kranken Flüchtling aus einem Supermarkt in Sachsen und fesseln ihn an einen Baum. Der Prozess ist nun eingestellt worden. "Vielleicht kann man jetzt den Dorffrieden wiederherstellen", sagt der Richter.

 

Von Peter Maxwill, Kamenz

Der nationale Widerstand ist offenbar ein Frühaufsteher. Um kurz nach 7 Uhr versammeln sich die ersten Unterstützer auf dem Parkplatz vor dem Amtsgericht im sächsischen Kamenz. Viele tragen Sonnenbrillen, Tattoos und Plakate. Darauf wird Justizminister Heiko Maas (SPD) wahlweise mit der Stasi verglichen oder mit Roland Freisler, dem berüchtigten Richter an Hitlers Volksgerichtshof. Andere halten gelbe Schilder hoch, darauf ein Spruch: "Zivilcourage ist kein Verbrechen."

Es ist die gut organisierte rechte Szene, die hier im sächsischen Kamenz um Aufmerksamkeit buhlt. Aus Sicht vieler Anhänger von Pegida und AfD geht es in dem schmucken Provinzstädtchen an diesem Tag um Grundsätzliches: "Ich gehe davon aus, dass das hier ein Justizskandal werden könnte", sagt ein bärtiger Senior mit Krempenhut in ein Radiomikrofon. Hinter ihm brüllt eine Frau: "Schauprozess!"

Seit Wochen schon mobilisieren rechte Organisationen für diesen Prozess, in dem ein Vorfall verhandelt werden soll, der im vergangenen Sommer bundesweit Empörung ausgelöst hatte: Im kleinen Arnsdorf bei Dresden zerrten damals vier Männer einen psychisch kranken Flüchtling aus einem Supermarkt, der dort eine Kassiererin belästigt haben soll. Anschließend fesselten sie laut Anklage den jungen Iraker und fixierten ihn an einen Baum. Die Staatsanwaltschaft klagte die Gruppe wegen Freiheitsberaubung an.

Die Gegenseite sieht das völlig anders. Einschlägige Portale wie die Seite "einprozent" des rechten Publizisten Götz Kubitschek oder "Politically Incorrect" wettern seit Wochen gegen den "Skandal von Arnsdorf" und behaupten, dass "vier Deutsche für ihre spontane Zivilcourage gegenüber einem 'Flüchtling' mit Paschakomplex an den Pranger gestellt werden". Der Prozess, so tönte jüngst "einprozent"-Chef Philipp Stein, sei ein "absurdes Schmierentheater" mit einem einzigen Ziel: "die Repression gegen oppositionelle Kräfte voranzutreiben".

Amtsrichter Eckhard Laschewski hat offenbar anderes vor: Er stellt das auf zehn Verhandlungstage angelegte Verfahren schon nach wenigen Stunden ein, noch vor Beginn der Beweisaufnahme - das haben Richter, Staatsanwälte und Verteidiger in einem sogenannten Rechtsgespräch vereinbart. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. "Damit hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet", sagt wenig später Maximilian Krah, einer der vier Verteidiger.

Wie kam das Gericht zu dieser Entscheidung? "Nicht weil wir keine Lust hatten oder es Geld gekostet hätte", sagt Richter Laschewski, "sondern weil es angemessen ist." Dann holt er zu einem fast halbstündigen Vortrag aus, in dem er sich immer wieder auf ein verwackeltes Handyvideo bezieht, das eine Frau von dem Vorfall im vergangenen Sommer aufgenommen hatte. Nach dem Tod des jungen Irakers, dessen Leiche kürzlich gefunden worden war, ist dieser Film das mit Abstand wichtigste Beweismittel.

Gründe für die Einstellung des Verfahrens gibt es Laschewski zufolge reichlich:

Der Iraker habe zu Lebzeiten nie ein großes Interesse an einer Strafverfolgung gezeigt.
Selbst im Falle einer Verurteilung hätte es für die Arnsdorfer Männer "nur Peanuts" gegeben, "also eine ganz geringe Geldstrafe".
Alle vier seien nicht vorbestraft und auch ansonsten bislang nicht negativ aufgefallen.
Für den Verdacht, das Quartett habe eine Bürgerwehr gebildet, gebe es in den Akten keinerlei Anhaltspunkte.
Das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung sei nicht groß - auch wenn der prallgefüllte Verhandlungssaal und die heftigen Kontroversen in sozialen Medien anderes nahelegten.

Am Vorwurf der Freiheitsberaubung hingegen gebe es keinen Zweifel, sagt Laschewski, "da beißt die Maus keinen Faden ab." Allerdings dürften auch gewöhnliche Bürger jemanden bis zum Eintreffen der Polizei festhalten, der auf frischer Tat ertappt worden sei. Genau das taten die vier Arnsdorfer demnach: Der "sehr aggressive" Iraker sei bereits mehrfach des Geschäfts verwiesen worden und habe sich damit wohl des Hausfriedensbruchs schuldig gemacht.

Laschewski geht auch auf Fragen ein, die offenkundig noch im Raum stehen - etwa ob es sich nicht möglicherweise um einen rassistisch motivierten Übergriff gehandelt haben könnte. "Es ist völlig wurscht, welche Nationalität der Tatverdächtige hatte", so der Richter.

Ob der Iraker wirklich so gefährlich war, nur weil er zwei Weinflaschen in den Händen hielt? "Das war nicht ganz ungefährlich, weil man nicht wusste: Was will der eigentlich?"

Ob es verhältnismäßig war, einen psychisch Kranken mit solcher Gewalt festzuhalten? Auch ein Spargeltarzan könne ungeheure Kräfte entwickeln.

"Und dann ist eine Lawine bei der Polizei gelandet"

Laschewski zufolge ist vor allem erstaunlich, welche Dynamik der Fall in der öffentlichen Debatte entwickelt hatte. "Da hat einer am Berg einen ganz kleinen Schneeball angerollt", sagt er. "Und dann ist eine Lawine bei der Polizei gelandet, bei der Staatsanwaltschaft - und dann unglücklicherweise bei uns, vor Gericht." Nun, wo das Lawinenproblem gewissermaßen bereinigt ist, bleibt aus seiner Sicht noch eine Hoffnung: "Vielleicht kann man jetzt den Dorffrieden wiederherstellen."

Das entspricht in etwa der Argumentation der Verteidigung. Anwalt Krah hatte bereits bei "einprozent" angekündigt, notfalls bis vor das Oberlandesgericht zu ziehen. Wenn das Amtsgericht die Zivilcourage mutiger Bürger bestrafen würde, fügt er vor Gericht hinzu, "dann sollten wir uns ernsthaft Sorgen machen um die Sicherheit in Ihrem Landgerichtsbezirk".

Der Ausgang dieses Verfahrens sendet ein entsprechendes Signal ins Land. Bleibt die Frage, ob es dadurch wirklich sicherer wird.