Kassel gedenkt der NSU-Opfer

Erstveröffentlicht: 
06.04.2017

Mehrere Hundert Menschen haben am Donnerstag in Kassel an die zehn Todesopfer der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) erinnert.

 

Mehrere Hundert Menschen haben am Donnerstag in Kassel an die zehn Todesopfer der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) erinnert. Nach Angaben der „Initiative 6. April“ zogen rund 400 Menschen durch die Stadt.

 

Am 6. April 2006 hatten Täter des NSU den 21-jährigen Kasseler Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschossen. Bei einer Gedenkfeier am Halitplatz sollte sein Vater Ismail Yozgat nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe sprechen.

 

Die Veranstaltung erinnerte an eine Demonstration, die vor elf Jahren nach Yozgats Ermordung unter dem Motto „Kein zehntes Opfer“ durch die Stadt gezogen war. Diesmal nahmen die Demonstranten die gleiche Strecke, aber in umgekehrter Richtung.

 

Yozgat war das neunte Opfer der Mordserie gewesen. 2007 war ein zehntes Todesopfer zu beklagen – die in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter.

In diesem Jahr trug die Demonstration den Titel „Kein nächstes Opfer“. Fritz Weber von der „Initiative 6. April“ sagte der FR, damit wolle man die NSU-Mordserie in einen größeren Rahmen stellen. Rassismus und Rechtsextremismus seien auch heute eine Bedrohung. Das zeigten etwa Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte.

 

Am Mittag hatten Forscher des Londoner Instituts „Forensic Architecture“ in Kassel ihre Untersuchung über den Mord an Halit Yozgat vorgestellt, deren zentrale Ergebnisse schon Anfang der Woche bekanntgeworden waren. Die Londoner Gruppe um den Architekturprofessor Eyal Weizman hat insbesondere die Rolle des früheren hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme ins Auge gefasst. Dieser war nach Erkenntnissen des Oberlandesgerichts (OLG) München während der Schüsse am Tatort. In einem OLG-Beschluss aus dem vorigen Jahr heißt es: „Die Tat wurde nach Überzeugung des Senats begangen, als der Zeuge Temme im Internet eingeloggt war.“

 

Temme leugnet, die Schüsse gehört oder den toten Yozgat gesehen zu haben. Die Forscher von „Forensic Architecture“ haben das Internetcafé nachgebaut und die Lautstärke der Waffe untersucht, um die Glaubwürdigkeit dieser Aussage zu überprüfen. Sie kommen zu dem Schluss, dass der damalige Verfassungsschützer die Schüsse gehört und die Leiche gesehen haben müsse.


Diese Expertise wird voraussichtlich auch im NSU-Prozess vor dem OLG München vorgestellt. Yozgats Anwälte haben beantragt, Weizman als Sachverständigen zu hören. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat dafür einen Termin reserviert. In der Verhandlung vom Mittwoch war vom 10. Mai die Rede, nach Angaben von Yozgat-Anwalt Alexander Kienzle ist jetzt der 17. Mai vorgesehen.

 

Noch ist aber nicht klar, ob Weizmans Auftritt in München zustande kommt. Die Bundesanwaltschaft stellt in Abrede, dass Yozgats Anwälte den Sachverständigen ins Verfahren einbringen dürfen. Das OLG teilt daher mit, bisher gebe es nur eine Reservierung des Termins, aber noch keine Entscheidung, ob der Vertreter von „Forensic Architecture“ wirklich auftreten darf.