Wo kauft ein Neonazi eigentlich seine Waffen? Und wer kennt wen in der Szene am äußersten rechten Rand unserer Gesellschaft? Patrick W. wird sich diesen Fragen am kommenden Montag im baden-württembergischen Landtag stellen müssen.
Dort versuchen die Mitglieder des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses seit rund sechs Monaten, Spuren der rechtsterroristischen Gruppe im Südwesten zu verfolgen. Dass ihn die Parlamentarier jetzt als Zeugen luden, dürfte den 32-jährigen Backnanger allerdings nicht völlig überrascht haben. Ausgerechnet in einem Gnadengesuch an den damaligen baden-württembergischen Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) hatte sich der 2015 wegen Drogendelikten inhaftierte W. selbst als Insider ins Spiel gebracht. „Ich hatte Informationen zu mutmaßlichen Waffenlieferanten des NSU, da ich selbst Waffen in der rechtsextremistischen Szene gekauft hatte“, äußerte W. damals. Er gehörte seit Ende der 1990er Jahre selbst zum braunen Skinheadmilieu im Rems-Murr-Kreis. Dort lieferte er sich Scharmützel mit linken Antifaschisten und wollte Ermittlungsakten zufolge Mitglied der „International Knights of the Ku-Klux-Klan“ (IK KKK) werden – einem baden-württembergischen Ableger der rassistischen Bruderschaft aus den USA. Auch wenn Patrick W. damals aufgrund seines jungen Alters vom Geheimbund abgewiesen wurde, kannte er die Kapuzenträger. Und für die interessiert sich der Ausschuss besonders. Zum IK KKK zählte zeitweise auch Achim Schmid, der ab 1994 als V-Mann für den Landesverfassungsschutz spitzelte. Später gründete Schmid einen eigenen Klan, dem für mehrere Monate ein Kollege der 2007 in Heilbronn vom NSU ermordeten Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter angehörte. Zwar konnte der erste Untersuchungsausschuss keinen Zusammenhang zwischen den Taten der Thüringer Rechtsterroristen und den schwäbischen Klan-Gliederungen feststellen. Deren „personelles und organisatorisches Verhältnis“ unter-einander und bundesweit will laut Einsetzungsbeschluss aber auch das zweite Gremium unter die Lupe nehmen. Ebenso wie die sonstigen Vernetzungsstrukturen der Rechtsextremen innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen. Für viele Abgeordnete steht deshalb die Frage im Raum, auf welche Weise sich die Szene radikalisiert. Patrick W. ist dafür ein gutes Beispiel: Anfang und Mitte der 2000er Jahre war er einer der Köpfe der „Autonomen Nationalisten Backnang“. Jenseits altgedienter Parteistrukturen fanden sich damals viele jüngere Neonazis in solchen aktionsorientierten Kleingruppen zusammen, die dabei oftmals den Stil und die Symbolik linksradikaler Aktivisten zu kopieren versuchten. Im Jahr 2003 verübten W. und weitere Angehörige der „Autonomen Nationalisten Backnang“ mehrere Brandanschläge sowie Sachbeschädigungen. Dabei bekannten sich die Täter teilweise zur Terrorgruppe „Combat 18“ (C 18), die als militärischer Untergrundarm des internationalen Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ gilt. Im Gefängnis ließ sich W. von der mittlerweile verbotenen „Hilfsorganisation für nationale Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG) betreuen, über die in den 1990er Jahren auch der spätere NSU-Terrorist Uwe Mundlos Kontakt zu gleichgesinnten Inhaftierten gepflegt hatte. Bis zu ihrem Verbot galt die HNG als eine der größten und wichtigsten neonazistischen Organisationen. Ob sich aus den komplexen Verstrickungen neue Erkenntnisse für den Stuttgarter Ausschuss ergeben, wird sich möglicherweise am Montag zeigen. Neben W. sind weitere Zeugen mit tief brauner Vergangenheit geladen, darunter der ehemalige Sänger der Neonazi-Band „Hauptkampflinie“, der sich mittlerweile von der Szene distanziert. Auch von einer ehemals rechtsextremen Liedermacherin erhoffen sich die Abgeordneten Informationen über Vertriebsstrukturen. Sie war als Sängerin mehrfach in Baden-Württemberg zu Gast. Unter anderem bei einem Benefizkonzert der militanten Skinhead-Kameradschaft „Furchtlos und Treu“ im Jahr 2002.