Polizei mag Opferrolle

Erstveröffentlicht: 
15.03.2017

Vor Neonaziaufmarsch am Samstag in Leipzig: Behörde interviewt sich selbst, um Gewalt von links herbeizureden Von Markus Bernhardt

 

Mit einem ungewöhnlichen »Vorabstatement« vom Montag hat die Polizeidirektion Leipzig in die öffentliche Debatte um einen für Samstag geplanten Aufmarsch von Neonazis und Proteste dagegen eingegriffen. Die Splitterpartei »Die Rechte« will erneut durch den linksalternativ geprägten Leipziger Stadtteil Connewitz marschieren.

 

Unter dem demagogischen Motto »Heimat erhalten – Familien fördern – Zukunft gestalten!« gerieren sich ausgerechnet die Neofaschisten als soziale Wohltäter. Verbal prangern sie »Raubtierkapitalismus, Perspektivlosigkeit und steigende Betreuungskosten in Schulen und Kindergärten« an. »Schon einmal haben wir in Leipzig bewiesen, dass sich Kampfgeist und Durchhaltevermögen bezahlt machen«, schreiben die Neofaschisten zudem auf ihrer Internetseite und spielen damit ganz offensichtlich auf gewalttätige Ausschreitungen an, die sie am 12. Dezember 2015 in Connewitz provoziert hatten.

 

Damals war es zu Auseinandersetzungen zwischen Linken und der Polizei gekommen. Am 11. Januar 2016 folgten Übergriffe von rund 200 Neonazis und Hooligans, die in Connewitz Jagd auf Andersdenkende, vermeintliche Linke und Migranten machten und Schaufenster mehrerer Ladenlokale einschmissen.

 

Auf eben diese Vorfälle spielt nun auch Leipzigs Polizeidirektion an, teilt aber keineswegs nur gegen die gewalttätigen Neonazis aus, sondern – ganz der »Extremismustheorie« verpflichtet – gleichermaßen gegen die Antifaschisten. Zunächst kommt Polizeisprecher Andreas Loepki in einem von der Behörde selbst geführten Interview zu dem Schluss, dass »Rechtsextreme nicht zufällig durch zwei eher linksalternativ geprägte Stadtviertel ziehen wollen und sich kaum Mühe geben, ihre provozierende Absicht zu verschleiern«.

 

Damit wollten die Rechten laut Loepki »eindeutig Gewalt von linker Seite auslösen, um hernach – selbst eben nicht minder gewaltbereit – behaupten zu können, das eigentliche Problem unserer Gesellschaft wäre auf linker Seite zu verorten«. »Linksextreme« würden »diese Provokation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur zu gern zum Anlass nehmen, um ihrer eigenen und primitiven Gewaltaffinität das Deckmäntelchen des politischen Kampfes überzuziehen«, so Loepki. »Mindestens für das linksextremistische Lager« gelte auch die Polizei als »›angriffswertes‹ Ziel«.

 

Kein Wort davon, dass es bei vergleichbaren Versammlungen regelmäßig zu teils äußerst brutalen Übergriffen der sächsischen Polizei auf Antifaschisten kam. Sie inszeniert sich schon vorab als Opfer: »Folglich werden abermals Polizeibeamte, also junge Frauen und Männer der geschlossenen Einheiten, die sich am Morgen als Mütter und Väter in vielen Fällen mit einem Kuss von ihren Kindern und Angehörigen verabschiedet haben, in der Gefahr stehen, dem Bewurf Hunderter Pflastersteine ausgesetzt und entmenschlicht zu werden«, so Loepki.

 

Irena Rudolph-Kokot vom antifaschistischen Aktionsbündnis »Leipzig nimmt Platz« weist die Unterstellungen zurück: »Die Polizei schiebt Verantwortung schon im Vorfeld ab. Zur Eskalation trägt jedoch bei, wenn keine Proteste in Hör- und Sichtweite zugelassen werden«, kritisierte Rudolph-Kokot am Montag im Gespräch mit junge Welt. Auch die Beamten müssten mit Kritik leben können. Schließlich hätten sie bei den Protesten am 12. Dezember 2015 eine Gasgranate auf eine friedliche Kundgebung des Bündnisses abgefeuert, erinnerte die Sprecherin.

 

Soweit bekannt, soll der Aufmarsch der Neonazis am Samstag von der S-Bahn-Brücke an der Kurt-Eisner-Straße über die Semmelweis- und die Straße des 18. Oktober zum Bayerischen Bahnhof führen. »Leipzig nimmt Platz« selbst ruft für 10 Uhr zu einer Demonstration unter dem Motto »Sachsen: Versagen durch wollen« auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz auf. Am Bayerischen Platz, dem geplanten Abschlussort des rechten Aufmarsches, wollen die Antifaschisten den Neonazis »mit einer zusätzlichen Kundgebung energischen Widerspruch entgegensetzen«.

 

Adam Bednarsky, Vorsitzender der Leipziger Linkspartei, appellierte derweil an »die Stadt, diesmal Protest in Hör- und Sichtweite des Naziaufmarsches zuzulassen, und an die Polizei, dabei verhältnismäßig vorzugehen«.