Bundesregierung erwägt Bau von Jugendheimen in Marokko

Erstveröffentlicht: 
12.03.2017

Jugendheime sollen Straßenkindern in Marokko eine Perspektive geben. Kritiker befürchten, dass die Regierung unbegleitete minderjährige Flüchtlinge abschieben will.

 

Die Bundesregierung überlegt, in Marokko Jugendheime zu errichten, in die auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zurückkehren könnten. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor, gestellt von der flüchtlingspolitischen Sprecherin Luise Amtsberg.

 

Demnach sollen die Heime in erster Linie Straßenkindern vor Ort helfen. Die Bundesregierung prüfe derzeit, Einrichtungen zu schaffen, die "Minderjährigen, die dort in benachteiligten Situationen leben, eine Zukunftsperspektive" eröffnen, heißt es im Dokument des Ministeriums. In den Unterkünften soll es eine medizinisch-pädagogische Betreuung geben sowie die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen oder eine Ausbildung zu absolvieren.

 

Perspektivisch könnten die Einrichtungen aber auch von "in Deutschland ausreisepflichtigen unbegleiteten minderjährigen Marokkanern" genutzt werden, die in ihre Heimat zurückkehren, schreibt das Innenministerium. Das beziehe sich vor allem auf junge Straftäter, die Deutschland verlassen sollen.

 

Im Konzept der Bundesregierung heißt es, dass sich die Planungen noch in einem sehr frühen Stadium befänden. Angelegt sei das Projekt auf drei Jahre, eine Nichtregierungsorganisation soll es umsetzen. Nach Ablauf der drei Jahre soll die marokkanische Regierung die Einrichtungen betreiben. Zunächst sollen zwei Heime mit jeweils 100 Plätzen gegründet werden. Die Ausgaben pro Jahr und Heim werden auf 960.000 Euro geschätzt.

 

Die Grünen-Politikerin Amtsberg kommentierte: "Natürlich ist es begrüßenswert, wenn sich die Bundesregierung vor Ort in Marokko für benachteiligte Minderjährige einsetzen möchte." Wenn dieses Angebot dazu führen sollte, dass weniger Kinder und Jugendliche zur Flucht gezwungen würden, dann sei das ein richtiger Ansatz. Diese Unterstützung dürfe aber nicht mit dem Plan verknüpft werden, unbegleitete Minderjährige in das "vermeintlich sichere Marokko" abzuschieben. Was die Bundesregierung als Bekämpfung der Fluchtursachen deklariere, orientiere sich weder an Menschenrechten noch am Kindeswohl, sondern diene nur der Abschottung.

 

Die stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion, Heike Hänsel, sagte: "Wir wollen keine Abschiebung von Minderjährigen." Entwicklungshilfe dürfe nicht an "Migrationsabwehr" gekoppelt werden. Es sei auch merkwürdig, dass über dieses Projekt im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) beraten werde und nicht im Entwicklungsministerium. 

 

Abschiebung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge kommt so gut wie nicht vor


Viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland sind ausreisepflichtig, werden aber nicht abgeschoben. Sie haben keinen festen Aufenthaltsstatus, sondern leben mit einer Duldung. Das heißt, ihre Abschiebung ist nur ausgesetzt. Sie wird meist nicht vollzogen, weil das Aufenthaltsgesetz eine Abschiebung ins Herkunftsland nur dann erlaubt, wenn dort ein Sorgeberechtigter oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung schriftlich zugesichert hat, den Minderjährigen aufzunehmen und unterzubringen.

 

Diese Bedingung ist aber fast nie erfüllt. Oft haben die Jugendlichen ihre Eltern im Krieg verloren oder wurden von ihnen geschickt, weil im Heimatland Krieg oder wirtschaftliche Not droht. Viele junge Marokkaner, die alleine aus ihrer Heimat kommen, sind Waisen oder stammen aus zerrütteten Familien. Im vergangenen Jahr wurde kein einziger unbegleiteter minderjähriger Flüchtling abgeschoben.

 

Dafür entstehen dem deutschen Staat Milliardenkosten. Die Regierung prognostiziert, dass sie in diesem Jahr knapp vier Milliarden Euro für die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ausgeben wird. Derzeit leben gut 60.000 junge unbegleitete Migranten in der Kinder- und Jugendhilfe. Der Großteil von ihnen ist männlich.