"Gruppe Freital" vor Gericht Der Staat gegen den Fremdenhass

Erstveröffentlicht: 
05.03.2017

Erst Proteste, dann Anschläge auf Flüchtlinge: Freital in Sachsen ist zum Synonym für rechten Hass geworden. Nun steht eine mutmaßliche Terrorzelle aus dem Ort vor Gericht. Es geht um Grundsätzliches.

 

Die Euphorie war wohl groß, damals, als der Zigeunerphilli noch nicht in Untersuchungshaft saß. Tagsüber lenkte der heute 30-Jährige unter seinem bürgerlichen Namen Philipp W. Regionalbusse, in seiner Freizeit schickte Zigeunerphilli seinen Kumpels verschlüsselte Nachrichten, etwa: "Hab gerade einen Böller an der Kreuzung vorm Heim unten losgelassen. Übelster Krach."

 

Die erste Antwort kam von Kegelkarl, alias Altenpfleger Mike S.: "Knall ham wa gehört, du Schlingel." Zigeunerphilli: "Übelst geil, wenn ich nachts nach der Arbeit nach Hause laufen muss. Da kann man das immer gleich mit kleineren Anschlägen verbinden." Ein andermal soll er laut Ermittlern geschrieben haben: "Wenn ich an der Macht bin, werden alle illegal eingereisten Ausländer lebendig verbrannt."

 

An die Macht kam Zigeunerphili nicht, sondern ins Gefängnis - ebenso wie sieben weitere mutmaßliche Rechtsextremisten. Gemeinsam mit Gesinnungsgenossen sollen sie im sächsischen Freital eine Terrorzelle gegründet, Andersdenkende attackiert und Mordanschläge auf Asylbewerber geplant haben. Vor dem Oberlandesgericht Dresden beginnt am Dienstag der Prozess gegen die "Gruppe Freital", wie die Ermittler die acht Angeklagten nennen.

 

Das 40.000-Einwohner-Städtchen am Südwestrand von Dresden, das vor einem Jahrhundert als linkes Gemeinschaftsmodell entstand, hat in den vergangenen zwei Jahren weit über Deutschland hinaus unrühmliche Bekanntheit erlangt: mit Angriffen auf Ausländer, Politiker, Aktivisten. In Freital zeigte sich die hässliche Seite der Asyldebatte in konzentrierter Form: der Fremdenhass vieler und die Gewaltbereitschaft einiger weniger.

 

In dem Verfahren wird es wohl auch um die Rolle der Sicherheitsbehörden gehen: Die "Gruppe Freital" soll Informationen von Polizisten erhalten haben, ein Informant arbeitete womöglich für den Verfassungsschutz. Die Fallhöhe spiegelt sich im Aufwand wider, mit dem die Justiz das Verfahren vorbereitet hat: Für 5,5 Millionen Euro wurde eigens für den Prozess eine im Aufbau befindliche Flüchtlingsunterkunft zum Hochsicherheitsgerichtssaal umgebaut - die Säle des Oberlandesgerichts hätten den Sicherheitsanforderungen für dieses Staatsschutzverfahren nicht entsprochen.

 

Dass zudem der Generalbundesanwalt das Verfahren führt, ist als Signal zu verstehen: Wer aus blankem Hass Ausländer und Andersdenkende angreift, soll die volle Wucht rechtsstaatlicher Sanktionen zu spüren bekommen.

 

Die Frage lautet nur, welche Wucht in diesem Fall angemessen ist.

 

Die Angeklagten, sieben junge Männer und eine Frau im Alter von 19 bis 39 Jahren, sollen laut Bundesanwaltschaft eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet haben; die Ankläger werfen ihnen unter anderem versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor, um Flüchtlinge zu vertreiben und Andersdenkende einzuschüchtern. Demnach radikalisierte sich die Gruppe in beängstigendem Tempo:

  • Die Anfang 2015 gegründete "Bürgerwehr FTL/360", benannt nach einer Regionalbuslinie, soll Kernstück der Terrorzelle gewesen sein. Motto: "Im Osten ist es Tradition, da knallt es vor Silvester schon."
  • Auf Chatkanälen stachelten sich die Mitglieder demnach gegenseitig an, etwa mit Kommentaren über "Nigger": "Alle töten, diese elenden Parasiten!"
  • Die Angeklagten sollen den Bau von Rohrbomben geplant, Sprengsätze gehortet und mit "Polenböllern" experimentiert haben - intern nannten sie diese selbst gebauten Minibomben "Obst" .
  • Zum ersten Anschlag kam es den Ermittlern zufolge am 27. Juli: In den leeren VW Golf eines Linken-Stadtrats warfen Mitglieder der Gruppe frühmorgens eine mit Kieselsteinen präparierte Sprengladung, die den Wagen zerstörte. Knapp zwei Monate später sprengten sie die Fensterscheibe des örtlichen Linken-Büros.
  • In der Nacht auf den 20. September sowie am 1. November 2015 sollen Mitglieder der Gruppe Sprengkörper an Fensterscheiben von Freitaler Flüchtlingswohnungen gezündet haben, beim zweiten Anschlag verletzten die umherfliegenden Splitter einen 26-jährigen Syrer im Gesicht.
  • Ende Oktober sollen sechs Mitglieder der Gruppe das alternative Wohnprojekt "Mangelwirtschaft" in Dresden mit Pflastersteinen, Buttersäure-Sprengsätzen und Pyrotechnik beworfen haben.

Vier Tage nach diesem Anschlag gab es die ersten Festnahmen, fünf Monate später beendeten eine GSG-9-Einheit und 200 weitere Polizisten das Treiben der Gruppe endgültig.

 

Die Razzien waren gewissermaßen die Einlösung jenes Versprechens, das der Generalbundesanwalt kurz zuvor gemacht hatte: Im Fall schwerer Übergriffe auf Asylbewerberheime müsse "ein Gegenfanal gesetzt werden", sagte Peter Frank dem SPIEGEL - weil solche Straftaten "schwerwiegend für das friedliche Zusammenleben in Deutschland" seien. Schon der NSU konnte von Sachsen aus jahrelang Mordanschläge planen, diese Freiheit sollen Rechtsterroristen nie wieder haben.

 

Aber sind die Mitglieder der "Gruppe Freital" wirklich Terroristen, nahmen sie den Tod von Asylbewerbern billigend in Kauf?

 

60 Verhandlungstage sind bis Ende September angesetzt, um vor allem diese Fragen zu beantworten. Für Freital könnte das Verfahren befreiend sein, wenn mit der juristischen Aufarbeitung auch eine ernsthafte gesellschaftliche Debatte über Rechtsextremismus im Ort einsetzt. "Es gab kaum noch Übergriffe seit den Festnahmen", sagt Linken-Stadtrat Michael Richter, dessen Auto im Sommer 2015 ein Sprengsatz zerstörte. Mit dem Rechtsterrorismus sei allerdings nicht auch der Fremdenhass aus Freital verschwunden: "Und wenn diese hirnlosen Menschen wieder auf die Straße gehen, werde ich auch wieder protestieren."