„Diese Bus-Barrikade rettete Leben“

Erstveröffentlicht: 
11.02.2017

Der syrische Fotograf Ammar Abdullah über sein angebliches Beweisfoto im Streit ums Mahnmal vor der Frauenkirche.

 

Es gibt Indizien, das Vorbild des Kunstwerks auf dem Neumarkt – eine Bus-Barrikade in Aleppo – könne von Terroristen errichtet worden sein. Falsch, sagt Ammar Abdullah, der 2015 das Bild der Sperre mit der Flagge einer islamischen Rebellengruppe aufgenommen hat. Wir sprachen mit Abdullah, der im syrischen Idlib lebt, eine Stunde via Skype – eine Übersetzerin in Brügge (Belgien) war zugeschaltet – über seine schwierige Arbeit als Kriegsfotograf.

 

Herr Abdullah, wissen Sie, dass auch hier in Dresden gerade drei hochkant aufgerichtete Busse stehen?


Das erste Mal habe ich vor einigen Tagen davon gehört. Die Fotoagentur Reuters, für die ich arbeite, hat Fotos von dem Kunstwerk in Dresden veröffentlicht, dazu ein zwei Jahre altes Bild von mir, das die Bus-Blockade in Aleppo zeigt. Auf den ersten Blick dachte ich: Es ist gut, dass Menschen sich dafür interessieren, was in Syrien passiert. Wir, die Zivilisten in Syrien, sind inzwischen ziemlich hoffnungslos. Das Kunstwerk ist berührend. Schön, es zu sehen. Aber es wird wohl nicht dazu beitragen, den Krieg zu beenden. Zu stoppen, dass hier Menschen getötet werden.

 

Die Bus-Blockade soll von der islamistischen Ahrar-al-sham-Miliz aufgebaut worden sein. In Deutschland behaupten gerade einige Seiten, in Dresden stehe also ein „Terroristen-Denkmal“. Was sagen Sie zu solchen Äußerungen?


Die Busblockade wurde nicht von Ahrar-al-sham errichtet ...

 

Moment: Ihr Kollege Karam Almasri hat der Sächsischen Zeitung aber etwas anderes erzählt ...


Ich kenne Karam, wir waren vor Ort ja nur wenige Fotografen. Meinen Informationen nach war es aber so: Die Blockade wurde von der Provinzverwaltung Aleppos und Anwohnern errichtet. Sie fanden keine Lösung für das Problem, dass Scharfschützen in der Gegend waren und Zivilisten nicht auf die Straßen konnten. Als Ahrar-al-sham in das Viertel kam, um gegen das Assad-Regime zu kämpfen, haben sie wohl ihre Flagge auf der Blockade gehisst, aber kurz darauf war sie wieder verschwunden. Aber ist denn so wichtig, wer die Bus-Blockade gebaut hat? Letztlich entscheidend ist doch, dass sie für einen wichtigen Zweck gebaut wurde: um Menschen zu schützen. Die Zivilisten in dieser Gegend haben sich ja sich nicht aussuchen können, wer diesen Krieg führt. Für euch in Deutschland geht es jetzt um ein Kunstwerk. Für uns in Aleppo ging es damals darum, mit der Blockade für Sicherheit zu sorgen. Es zählt, wie viele Leben durch sie gerettet werden konnten.

 

Kommen wir noch einmal zurück auf die Ahrar-al-sham-Miliz: Der deutsche Generalbundesanwalt klassifiziert diese als „terroristische Vereinigung“, das russische Verteidigungsministerium hingegen als „moderate Opposition“. Wo ordnen Sie die Gruppe ein?


Wenn Menschen von außen auf unser Land schauen, sehen sie nur muslimische Gruppen, die alle extremistische Gedanken haben. Aber das ist falsch. Einige arbeiten für Assad, teilweise geheim. Ahrar-al-sham ist auch meiner Meinung nach gemäßigt. Und sie kämpfen sogar gegen den Islamischen Staat, den IS. Es gibt überhaupt viele verschiedene Gruppen und immer wieder Probleme zwischen ihnen. Zum Beispiel zwischen Ahrar-al-sham und der Al-Nusra-Front sowie anderen kleineren Gruppen. Aber in letzter Zeit haben die Rebellen begonnen, sich zu vereinigen, um gemeinsam gegen Assad zu kämpfen.

 

Sie leben und arbeiten immer noch in Syrien – unter welchen Umständen?


Ich wurde in Aleppo geboren und habe dort bis 2015 gelebt. Inzwischen bin ich mit meiner Familie nach Idlib gezogen, etwa 70 Kilometer entfernt. Ich lebe hier mit meinen Eltern und meiner Frau. Bald kommt unser erstes Kind zur Welt. Auch hier ist es schwierig: die ständige Gefahr durch Angriffe, die komplizierte Versorgung mit alltäglichen Dingen wie Strom und Wasser. Man hat hier drei Möglichkeiten. Entweder man schließt sich einer Seite als Kämpfer an. Oder arbeitet im medizinischen Bereich. Ich habe mich für die Dritte entschieden. Ich wurde Fotograf, um der Welt zu zeigen, was in Syrien passiert.

 

Wann waren Sie zuletzt in Aleppo?


Seit Aleppo unter der Kontrolle des Assad-Regimes ist, kann ich nicht mehr in die Stadt. Zuletzt war ich vor etwa vier Monaten dort, als die Opposition die belagerte Stadt für zehn Tage geöffnet hat, damit Menschen raus können. Ich habe totale Zerstörung gesehen, viel mehr als ich erwartet hatte. Es ist zu einer Art Routine geworden, dass es jeden Tag Angriffe gibt. Für die Menschen hier ist es nicht mehr ungewöhnlich, das Geräusch von Bombenexplosionen zu hören. Es passiert einfach so oft. Gerade fotografiere ich das alltägliche Leben. Wie die Menschen mitten im Krieg versuchen, eine Art Alltag weiterzuleben.

 

Wissen Sie, was mit der Straße passiert ist, in der die Bus-Blockade stand?


Nicht genau, aber ich denke, dass das Viertel inzwischen auch zerstört ist.

 

Was denken Sie: Wie wird es für Ihr Land weitergehen?


Es gibt so viele Attacken von verschiedenen Seiten. Es ist nicht mehr viel Zeit für die Welt, etwas zu unternehmen. Man muss sich klarmachen, wer in diesem Krieg die Täter und wer die Opfer sind. Nach so vielen Jahren des Tötens ist fast nichts passiert. Es wird in den nächsten Jahren nur noch schlimmer werden. Es gibt viele Feinde in Syrien. Es begann mit dem Assad-Regime. Danach kam der IS dazu, völlig unerwartet für uns. Dessen Leute tauchten zum Zeitpunkt der Revolution auf, als die Menschen gerade begannen, stärker zu werden als das Assad-Regime. Dann gibt es noch al-Qaida. Und Soldaten aus Russland und dem Iran, viele Seiten, die gemeinsam als Verbündete gegen die syrischen Menschen vorgehen. Das sagen viele Leute nicht gern laut, aber so sehen wir das, weil auch sie Zivilisten treffen.

 

Überlegen Sie, das Land zu verlassen?


Jetzt, wo ich Vater werde, denke ich daran, dass meine Familie vielleicht in die Türkei gehen sollte. Ich selbst werde nicht gehen, sondern bis zum Ende hierbleiben. Ich möchte mein Land weiter begleiten, Bilder machen und in die Welt schicken.

 

Das Gespräch führte Doreen Reinhard.