Am 19. Juni 2010 sollen es im deutschsprachigen Raum einen Aktionstag geben, welcher alle Formen der Einsperrung, Inhaftierung und des Wegsperrens und die Folgen davon (Isolation, Vereinzelung, usw.) thematisieren wird. Angesprochen führen sollen sich alle, die ihren Beitrag leisten wollen, nicht nur diejenigen, die eh schon gegen Knäste, Abschiebelager und die tagtäglich massiver auftretende soziale Kontrolle kämpfen. Das Ziel soll es sein das Thema und Einsperrung wieder in den Blickpunkt zu stellen, natürlich nicht ohne den Blick auf die Perspektive zu verlieren, die Perspektive nach einem anderen Leben, frei von Unterdrückung, Ausbeutung und frei von allen Herrschaftsformen.
Zum Aktionstag gibt es einen Aufruf aus Köln, sowie zwei inhaltliche Texte, die zur Teilnahme aufrufen:
Achtung AKTIONSTAG !
Für den 19. Juni ist ein Anti-Knast-Aktionstag für den „deutschsprachigen Raum“ vorgesehen. Vereinbart wurde dies bisher von Gruppen aus Berlin, Kiel, Hamburg, Dresden, Köln und Wien. Wir hoffen, dass es sich noch auf andere Orte ausweitet. Konkreter Themenschwerpunkt wird jeweils vor Ort gewählt und gestaltet. Unsere Idee ist es, eine Kundgebung in Essen vor der Firma Kötter zu machen. Diese ist groß im Geschäft, teilprivatisierte Knäste zu verwalten bzw. bewirtschaften. Die Landesregierung plant, ihr das Regiment zu übergeben für das im Bau befindliche erste solche Gefängnis in NRW (bei Düsseldorf = Ratingen). Wir sind nicht für staatliche Knäste, wissen aber auch, dass kapitalistisch organisierte Zwangsanstalten nicht besser sind. Manches spitzt sich noch zu. (Gefangene als Arbeiter und zahlende Kunden doppelt ausnutzen, noch weniger öffentliche Kontrolle). Der Knast- und Privatbullenfirma, mit der wir auch „draußen“ oft konfrontiert sind, sollten wir schnell zeigen, dass es nicht ihre „Privatsache“ ist, wie sie mit Gefangenen umgeht.. Eine NRW-weite Kundgebung bringen wir aber nur zustande, wenn sich Gruppen der sozialen Bewegungen aus Köln und anderswo an der Vorbereitung beteiligen. Ansonsten wird Aktion halt kleiner und lokaler. Gefangene sind eingeladen, sich mit einem „Redebeitrag“ (der leider nur von anderen verlesen werden kann) zu beteiligen.
AKP (Autonomes Knastprojekt – www.autonomes-knastprojekt.blogspot.com)
Knäste zu Baulücken! Schließer zu Gärtnern!
Aufruf zum Aktionstag gegen eine geknastete Gesellschaft
Weltweit sitzen Millionen Menschen hinter Gittern. Die meisten werden
weggesperrt wegen Eigentumsdelikten (z.B. Diebstahl), aus politischen
Gründen oder weil sie auf Grund ihrer Herkunft illegalisiert werden.
Knast bedeutet körperliches und seelisches Ausgeliefert sein, einmal
durch die Willkür der Wärter und die Übergriffe anderer Inhaftierter und
zum anderen durch das bloße Weggesperrtsein.
Viele sehen den Knast nur als ein Gebäude aus Stahl und Beton, aber er
ist ein Realität gewordener Traum von Autorität und Macht. Eine Form,
eine Strategie der Machterhaltung und Machtentfaltung, die unsere
gesamte Gesellschaft durchzieht. Wie es ist wenn der Kopf gegen die
Zellentür knallt und es kein Rauskommen mehr gibt, wissen nur die, die
„Drinnen“ sitzen. Aber auch hier „Draußen“ können wir die Versatzstücke
einer Knastideologie erkennen.
Die Lebensbedingungen innerhalb wie außerhalb der Knäste ähneln sich
immer mehr. Wir werden tagtäglich überwacht, fordern diese Überwachung
mehr oder weniger selbst ein oder akzeptieren sie stillschweigend.
Konflikte werden nicht offen ausgetragen. Die Drohung mit Anwälten und
Behörden scheint bequemer, der Griff zum Hörer um die Bullen zu rufen
geht schneller. Die Einschränkung der Selbstbestimmung wird kaum noch
hinterfragt.
Ebenfalls geben wir uns tagtäglich der staatlichen Kontrolle hin, und
sei es nur durch die Offenlegung unseres privaten Lebens für das
Arbeitsamt. Dieser staatlichen Kontrolle sind wir schon in der Schule
ausgesetzt, allein schon die „Kopfnoten“ dienen der Disziplinierung.
Milieus welche draußen bestehen, werden im Knast reproduziert und
verfestigt. Daraus ergibt sich wiederum eine bessere Überwachbarkeit.
Die Medien tun ihr Übriges dazu. Sie tragen zur Übersättigung und
Überforderung der breiten Masse nicht unwesentlich bei. Der „normale
Bürger“ soll den ganzen Tag seinen Aufgaben nachhetzen und wenn er
geschafft nach Hause kommt, übermittelt ihm das meinungsmachende
Fernsehen, welch „asoziales Pack“ jene sind, welche sich diesem System
nicht beugen. Es wird nicht die Situation hinterfragt, in der sich diese
befinden.
Und wenn wir uns zur Wehr setzen und unsere freiheitlichen Rechte
einfordern, werden wir und unser Tun kriminalisiert. Schon kleinste
Aktionen, welche vom Gehorsam abweichen, werden strafrechtlich verfolgt.
Was uns vom Knast trennt, sind lediglich die Mauern. Aus diesem Grunde
gilt es an den Mauern, den herrschenden Strukturen zu rütteln.
Weiterer Text zum Aktionstag am 19. Juni
Das Verhältnis Knast und Gewalt
Knast bedeutet Unterdrückung, Kontrolle, Ausbeutung und Ausgeliefertsein. Strukturelle Gewalt ist Teil unserer Gesellschaft. Auf ihr beruht unser Rechtssystem. Kein Wunder also, dass sie auch vor den Toren der Knäste keinen Halt macht und sich in Form von individueller Gewalt, wie Misshandlungen und sexuellem Missbrauch, entlädt. Schließer nehmen innerhalb dieses Systems eine entscheidende Rolle ein. Sie sind Teil der internen Hierarchien und verhalten sich entsprechend. Sie wissen, dass sie in ihrer Position Macht über Menschen haben und nutzen diese auch aus. Es gibt immer wieder Übergriffe durch Angestellte der Vollzugsanstalten. Sei es aus reinem Frust, rassistischer Motivation oder im Sinne der Aufstandsbekämpfung. In Frankreich gibt eigens dafür ausgebildete Einheiten wie z.B. die „IRIS“. Sie sind ähnlich ausgerüstet wie die CRS-Einheiten auf den Straßen der Banlieues. Schließer und Personal der Vollzugsanstalten sind, genau wie der Justizapparat und die Polizeibehörden Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
Knast und Prekariat
Weltweit sitzen Millionen Menschen hinter Gittern. Ein großer Prozentanteil wird auf Grund von Eigentumsdelikten, wie z.B. Diebstahl oder Raub, weggesperrt. Also wegen angeblicher Vergehen, die sich bewusst oder unbewusst gegen die Eigentums- und Verwertungslogik des Kapitalismus wenden und den Weg zum „Wohlstand“ abkürzen sollen. Andere können sich die Miete nicht mehr leisten oder landen wegen mehrmaligen Schwarzfahrens im Bau. Nach wie vor ist der Knast auch ein Mittel zur Zerstörung von Klassenbewusstsein und Schaffung von Milieus ohne Bewusstsein für ihre Lage. Äußere soziale Kontrolle, wie etwa durch Ämter und Behörden, macht eine bessere Überwachung und Disziplinierung nach der „Entlassung“ möglich. In der US-amerikanischen Studie „How unregulated is the U.S. Labor Market?“, wird der Ausbau der Vollzugsanstalten, zu Gunsten der Arbeitslosenstatistik, begrüßt. Diese Idee, kombiniert mit einer „Null Toleranz Politik“, die Haftstrafen schon bei kleinsten Vergehen fordert, stößt in Europa auf Anklang. Noch steckt die Entwicklung der Gefängnisses als Mittel der Arbeitsmarktregulierung in den Kinderschuhen.
Knast und Migration
Migrant_innen leiden unter dem Druck der globalen Sicherheitsgesellschaft. Viele von ihnen sterben schon bei dem Versuch Europa oder die USA zu erreichen. Jene die es schaffen, die hochgerüsteten Grenzen zu überwinden, werden innerhalb dieser verfolgt, in Lagern inhaftiert und erkennungsdienstlich behandelt, z.B. mittels SIS 1 oder SIS 2. Gedemütigt und zum Teil schwerst traumatisiert, warten sie nun auf ihre Abschiebung in bittere Armut oder den sicheren Tod. Auch Todesfälle vor oder während der Abschiebung sind keine Seltenheit. Im Rahmen der Neuorientierung europäischer Sicherheitspolitik soll es zu einem weiteren Ausbau der vorgelagerten Abschiebeknäste, in den sog. sicheren Drittstaaten, und zu einer besseren Erfassung und Eindämmung der Migrationsströme kommen. Um dieses Ziel zu erreichen wird auch vor der Zusammenarbeit mit Diktatoren, wie Gaddafi, kein Halt gemacht. Den Menschen, die die globalen Krisen am meisten zu spüren bekommen, bringt dieses Vorgehen mit „Sicherheit“ ein Leben in Angst, Verfolgung und Gefangenschaft.
Psychiatrie, der weiße Knast
Neben den Gefängnissen für „übliche“ Kriminelle gibt es auch noch
jene Zwangsanstalten für „irre“ Menschen, die Psychiatrien. All zu oft
wird völlig ohne zu hinterfragen in „Normal“ und „Abnormal“ eingeteilt.
Präventiv wird alles was an der Hülle unsere heilen Welt kratzt durch
Medikamentierung oder Therapie ruhig gestellt. Unbequemes wird auch hier
eingesperrt und weggeschlossen. In einer Welt in der die Schließer ihre
Uniformen gegen die subtileren weiße Kittel des Anstaltspersonals
tauschen, ist Kritik schwierig und stößt oft auf taube Ohren. Da wo
Teile der Medizin beginnen jegliche menschliche Handlung auf die Leitung
oder Fehlleitung unserer Synapsen zu reduzieren, beißt sich die
Aufklärung in den Schwanz. Ein biologischer Determinismus löst den
freien Willen ab. Zur Not wird diese angebliche Erkenntnis durch eine
Zwangseinweisung, zum Schutz der eigenen Unversehrtheit, untermauert.
Auch hier gibt es die Tendenz sich selbst als nicht leistungsfähig
genug, als minderwertig, einzustufen. Die pharmazeutischen Unternehmen
halten in diesem Fall viele Produkte zur Selbstoptimierung bereit. Eine
der am häufigsten verwendeten Substanzen ist das Speedderivat Retalin.
Es macht leistungs- und aufnahmefähiger und wird an manchen
Universitäten indirekt sogar begrüßt. Dies kommt einer
Selbstdisziplinierung auf gezielt neurologischer Ebene gleich. Eine
Qualität, die es im Verlauf der Geschichte der „Kerkergesellschaft“ so
noch nicht gab.
Knast als Logik der Gesellschaft
Der Knast, in Form von Zellenhaft, trifft also nicht nur solche, die
sich ausdrücklich als politische Aktivist_Innen verstehen. Oft gibt es
gut funktionierende Solidaritätsstrukturen, die betroffene Menschen,
besonders aus linken Kreisen, vor einer Inhaftierung bewahren. Dies ist
auch gut so, aber es kann dazu führen, dass schnell vergessen wird,
welche Logik hinter diesen Gebäuden aus Stahl und Beton, hinter der
Symbiose aus Architektur und Autorität steht. Der Knast ist als Teil
eines System des Disziplinierens mittels Strafe zu verstehen auf dem
sich unsere Gesellschaft aufbaut. Er ist Ausdruck der
Herrschaftsverhältnisse in denen wir leben. Disziplinierung und
Selbstdisziplinierung, durch Angst vor Strafe, hält uns in den
normierten Bahnen der Verwertung fest. Von den Fabriken, Schulen und
Universitäten bis zu den Krankenhäusern, alle produzieren. Die einen
Waren, die anderen Wissen, die nächsten Gesundheit bzw. Krankheit.
Hierbei sind, wie bereits erwähnt, Architektur und Überwachung eng mit
Autorität und Strafe verknüpft. Ein Blick über den eigenen Tellerrand,
z.B. in die Organisationsstruktur von sog. Sweat Shops, genügt. Die Zeit
der prügelnden Arbeitsaufseher_Innen, die durch die Raumaufteilung der
Produktionshallen jeder Zeit den Überblick über die Arbeiter_Innen
haben, ist hier nicht vorbei. Sweat Shops sind ein fester Bestandteil
globaler Kapitalanhäufung. Bedingt durch menschengemachte Armut und
Landflucht hat sich diese Form der Produktion vor allem im globalen
Süden ausgebreitet. Ähnlich „unfrei“ und überwacht wie in Haftanstalten,
werden die Menschen hier unter unwürdigen Bedingungen und für
Hungerlöhne ausgebeutet, gedemütigt und misshandelt.
Aber auch in westlichen Ländern gibt es für Fehlverhalten innerhalb der
Produktion ein breite, wenn auch struktureller gehaltene, Palette an
Sanktionen. Meist erstrecken sich diese über z.B. Mahnungen, Verweise,
Streichung von Sozialleistungen, Kündigungen und Rausschmissen.
Innerhalb bestimmter sozialer Schicht können diese aber schnell einen
weiteren sozialen Abstieg bedeuten. Sie bringen damit eine Spirale in
Gang, die die Kluft zwischen arm und reich, privilegiert und
unprivilegiert weiter vergrößert. Ein Rückkopplungseffekt ist der
Anstieg sog. Kriminalität. Das System schafft sich sozusagen selbst
Anlässe für den weiteren Ausbau von Sicherheit und Kontrolle. Dies ist
eine Art von Machtentfaltungsstrategie, welche weniger von bestimmten
Personen, als vielmehr von systemischen Eigenheiten hervorgerufen wird.
Die Freude an der freiwilligen Selbstauskunft, besonders der
privilegierteren Schichten, via „Web 2.0“ ist eine erschreckende
Tendenz der freiwilligen Überwachung. Die europäischen
Sicherheitsbehörden haben dies erkannt und wollen die sog. Social
Networks, im Rahmen des Stockholmprogramms, für die vorausschauende
Kriminalistik nutzen. Auch durch die Gemengelage Terrorismusbekämpfung und Klimawandel wird bei vielen Menschen der Hang
zur Selbstkontrolle und die Forderungen nach mehr Überwachung, Normen
und Gesetzen deutlich. Im Windschatten dieser Entwicklungen ist eine
präventive Strategie zur Aufstandsbekämpfungen nicht nur geduldet
sondern auch erwünscht. Konzepte wie „Managing Crowds“ sollen helfen,
künftig zu erwartende Unruhen möglichst im Keim zu ersticken. Selbst die
NATO hält die innere Sicherheit und Befriedung für den Schlüssel zu
einer „erfolgreichen Intervention“ außerhalb der Mitgliedsstaaten.
Die Zustände „Drinnen“ sind nur die Zuspitzung der Tendenzen
„Draußen“. Die Realitäten der „zwei Welten“ innerhalb und außerhalb der
Mauern ähneln sich zunehmend. Ein Anstieg der Überwachung, der Armut,
des Leistungs- und Anpassungsdrucks ist deutlich spürbar und
allgegenwärtig. Die bürgerliche Strafgesellschaft richtet sich, gerade
in Zeiten der weltweiten „Mehrfachkrisen“ gegen Unterschichten,
illegalisierte Menschen und soziale Bewegungen. Die Zahl der sog.
sozialen Häftlinge steigt von Tag zu Tag. Die europäische
Sicherheitsarchitektur wird immer weiter ausgebaut. Und fern ab von der
Öffentlichkeit schmoren Menschen in Abschiebeknästen. Die
Gefängnisgesellschaft ist Realität.
Wir rufen darum am 19. Juni 2010 zu einem Aktionstag gegen die
Knastgesellschaft in all ihren Facetten auf. Lasst uns ein deutliches
Zeichen setzen. Zeigen wir in vielfältigen und kreativen Aktionen,
dezentral und überall auf der Welt was wir von der Idee der der totalen
Kontrolle halten.
Nieder mit allen Knästen weltweit!
Für freie Kommunikation, Bewegungsfreiheit und ein konfliktfähiges
Miteinander!
Für die Überwindung der Knastgesellschaft!
Weitere Infos zum Aktionstag: http://www.abc-berlin.net/aktionstag-gegen-eine-geknastete-gesellschaft-...