"Migrantenschreck": Rechter Waffenshop ist offline

Erstveröffentlicht: 
02.02.2017
Mehr als 300 illegale Waffen haben Deutsche bei Mario Rönsch bestellt. Die Behörden gehen gegen die Käufer vor, die Website ist offline. Doch der Händler ist weiter frei. Von Kai Biermann und Karsten Polke-Majewski

 

Ist der Spuk vorbei? Der Onlineshop "Migrantenschreck" ist nicht mehr erreichbar. Mario Rönsch, Inhaber und Geschäftsführer der Betreiberfirma, die illegal Pistolen, Flinten und halbautomatischen Gewehren nachempfundene Schreckschusswaffen von Ungarn aus an deutsche Kunden versandte, muss die Website selbst gelöscht haben. Möglicherweise hat Rönsch Angst bekommen, die Behörden sind ihm auf den Fersen: Vor einer Woche durchsuchten Zollfahnder Wohnungen und Geschäftsräume von 29 seiner Kunden.

 

Die Zöllner fanden 42 illegale Waffen. 42 von mehr als 300. So viele Revolver und Flinten haben Kaufinteressenten bei dem Onlineshop seit Mai vergangenen Jahres bestellt. Die Waffen verschießen Hartgummigeschosse, gefährlich genug, um einen Menschen schwer zu verletzen oder sogar zu töten, wenn sie unglücklich treffen. Seit Monaten fahnden Staatsanwälte aus Berlin und Frankfurt nach dem Händler und den Kunden – mit unterschiedlichem Engagement und Erfolg.

 

Fast ein Jahr lang schürte "Migrantenschreck" Angst vor Ausländern und machte diese Angst zu Geld. Die letzte Bestellung aus Deutschland ging noch am 24. Januar ein, dem Tag der Durchsuchungen. Das zeigen detaillierte Kundendaten, die ZEIT ONLINE zugespielt wurden. Bis dahin konnte man bei dem Onlineshop beispielsweise das "Migrantenschreck HD130 Superior Komplettpaket" kaufen, ein Schreckschussgewehr mit Munition, das aussieht wie eine Kalaschnikow. Oder eine doppelläufige Flinte "DP 120 Bautzen Edition", "diskret" und "ohne lästigen Papierkram". Dazu verbreitete die Seite Gerüchte über angebliche Gewalttaten, die Flüchtlinge und andere Einwanderer begangen haben sollen, und warb, mit ihren Waffen könne man verhindern, "dass Ihre Stadt zum gesetzlosen Tummelplatz von Asylforderern wird". 

 

Abgetaucht, doch nicht verschwunden


Die Daten, die ZEIT ONLINE vorliegen, zeigen den Umfang des menschenverachtenden Geschäfts. Ein vielfach verkaufter Revolver kostete beispielsweise 349 Euro, die falsche Kalaschnikow 749 Euro. Manche der Besteller gaben bis zu 4.000 Euro aus. Bis Ende Januar 2017, so belegen die Daten, sind bei dem Onlineshop Bestellungen für mehr als 150.000 Euro eingegangen.

 

In Ungarn sind die Schreckschusswaffen legal und dürfen an jeden verkauft werden, der älter als 18 Jahre ist. Allerdings braucht der Verkäufer eine Vertriebsgenehmigung der Behörden. In Deutschland sind all diese Waffen jedoch nicht zugelassen. Hierzulande ist es verboten, durch den Lauf einer Schreckschusswaffe ein Geschoss zu treiben, zumal mit solcher Kraft. Schreckschusspistolen dürfen in Deutschland höchstens 7,5 Joule entwickeln, nicht 80 oder 120 wie die Modelle aus dem Onlineshop. Selbst in Österreich, wo die Waffengesetze liberaler sind als in Deutschland, gelten die Waffen als illegal; die dortigen Behörden ermitteln gegen Käufer.

 

Die Firma, die Migrantenschreck betrieb, heißt Német Magyar Ker. és Ért. Kft., sie hat ihren Sitz in Ungarns Hauptstadt Budapest. Im Unternehmensregister ist Mario Rönsch als Inhaber und Betreiber eingetragen. In Justizkreisen ist Rönsch kein Unbekannter. Mehrere Staatsanwaltschaften haben sich in den vergangenen Jahren mit dem 34 Jahre alten Thüringer beschäftigt. Unter anderem wurde er wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Aufrufs zu Straftaten gesucht. In Erfurt hatte er Pegida-Demonstrationen angemeldet. Er soll auch der Kopf hinter der rassistischen Hetzseite Anonymous.Kollektiv gewesen sein. Die Facebookseite hatte gegen Flüchtlinge und Muslime gewütet und zu Gewalt und Selbstjustiz aufgerufen. Mitte Mai verschwand sie aus dem Netz, zur selben Zeit tauchte Rönsch unter.

 

Wirklich verschwunden war Rönsch nie. Von Budapest aus betrieb er sein zynisches Geschäft, so belegen es das Impressum der Website und Recherchen von ZEIT ONLINE. Rönsch selbst nimmt für sich in Anspruch, nichts Unerlaubtes getan zu haben. ZEIT ONLINE antwortete er recht freimütig, sein Geschäft sei rechtmäßig und nannte Ungarn seine Wahlheimat. Dass der Waffenhandel von Budapest aus betrieben wird, hatte ZEIT ONLINE Anfang Dezember anhand der Sendungsnummern aufgedeckt, die zur Nachverfolgung der Pakete dienen und die in den Kundendaten enthalten waren. So ließen sich die Sendungen bis zum Postamt zurückverfolgen, in dem sie aufgegeben wurden. Kunden in Deutschland, die Reporter besuchten, bestätigten, dass die Pakete bei ihnen angekommen waren und Waffen enthielten.

 

Man könnte meinen, den Behörden müssten genug Hinweise vorliegen, um die Ermittlungen gegen Rönsch voranzutreiben. Doch das Engagement, mit dem sie versuchen, den offensichtlich illegalen Waffenhandel zu unterbinden, ist sehr verschieden. Während die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt 400 Zöllner losschickte, um bei mutmaßlichen Kunden ausgelieferte Waffen zu suchen, scheint das Verfahren gegen den Betreiber eher zögerlich voranzukommen. Federführend verantwortlich für die Ermittlungen gegen den Händler ist die Staatsanwaltschaft Berlin. 

 

Grüße aus Jalta?


 

Die Berliner Staatsanwälte ermitteln wegen des Verdachts auf illegalen Waffenhandel, Volksverhetzung, Bedrohung und Nötigung. Unterstützt werden sie vom polizeilichen Staatsschutz und einer Spezialabteilung für organisierte Internetkriminalität. Im Verdacht stehe, so sagte es der Sprecher der Staatsanwaltschaft Anfang Dezember, ein 33 Jahre alter Mann aus Thüringen. "Das Problem ist: Der Beschuldigte ist weg. Möglicherweise hält er sich in Ungarn auf."

 

Anfang Januar schien die Staatsanwaltschaft nicht viel weitergekommen zu sein. Auf Nachfrage sagte der Sprecher, man müsse noch die Qualität der versandten Waffen prüfen. Dabei hatte der Verband der Deutschen Büchsenmacher und Waffenfachhändler schon vor Monaten eine "Migrantenschreck"-Waffe von einem Prüfinstitut untersuchen lassen. Die Prüfer hatten auf ballistische Seife geschossen, die der Stärke der menschlichen Haut ähnelt. Die Geschosse waren bis zu zwei Zentimeter tief eingedrungen. Erst an diesem Mittwoch jedoch bestätigte die Berliner Staatsanwaltschaft, Fachleute hätten die Waffen als gefährlich eingestuft. 

 

Keine Antwort aus Berlin


Unklar bleibt auch, mit welcher Intensität die Berliner Staatsanwälte der Spur nach Ungarn nachgehen. Der Sprecher wollte sich zu den "laufenden Ermittlungen" nicht äußern. Er wollte auch nicht sagen, ob man in Ungarn um Amtshilfe gebeten habe. Die ungarische Tageszeitung Magyar Idők berichtete Ende Januar, bei der ungarischen Polizei seien im Fall von Mario Rönsch keine Anfragen deutscher Behörden eingegangen. Wurde ein Europäischer Haftbefehl gegen Rönsch beantragt? Auch darauf gibt es keine Antwort aus Berlin.

 

Gefragt, ob die Abschaltung der Website auf das Betreiben seiner Behörde zurückgehe oder der Täter möglicherweise versuche, seine Spuren zu verwischen, sagte der Sprecher: "Dazu liegen mir keine Erkenntnisse vor."

 

Inzwischen könnte es zu spät sein, Rönschs in Ungarn habhaft zu werden: Am vergangenen Sonntag erschien auf einer Seite von Mario Rönsch im russischen sozialen Netzwerk VK.com ein Bild, das ihn am Meer zeigt. Dazu der Satz: "Viele Grüße aus Jalta!" Das Bild dürfte eine falsche Spur sein, in Jalta sind derzeit drei Grad und keine sommerlichen Temperaturen, wie das Foto nahelegt. Sicher aber ist, dass Rönsch versucht, sich den Behörden zu entziehen, wie er es schon mit seinem Umzug nach Ungarn getan hat. 

 

"Wer kauft, wird erwischt"


Die Frankfurter Staatsanwälte treiben die Ermittlungen gegen "Migrantenschreck"-Kunden derweil weiter voran. "Mit den Durchsuchungen wollten wir auch ein Zeichen setzen: Wer solche Waffen kauft, wird erwischt", sagt Georg Ungefuk, Oberstaatsanwalt und Sprecher der Zentralstelle Internetkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft. "Kaufinteressenten sollten das wissen." Die Durchsuchungen seien nur der Anfang weiterer Ermittlungen. Neben der Generalstaatsanwaltschaft gehen weitere Justizbehörden gegen mutmaßliche Waffenkäufer vor.

 

Unter den Kunden, die die Zollfahnder besuchten, finden sich Vertreter aller gesellschaftlicher Schichten, "vom kleinen Angestellten bis zum Gutbürgerlichen", sagt Ungefuk. "Wir sind auch auf einige Personen getroffen, bei denen wir einen rechtsextremistischen Hintergrund nicht ausschließen können." Bei vielen Kunden sei jedoch keine generelle Waffenaffinität festzustellen, ebenso keine radikale rechtsgerichtete Haltung.

 

Die fremdenfeindliche und menschenverachtende Beschreibung, mit der "Migrantenschreck" für seine Waffen warb, scheinen viele Besteller nicht ernst genommen zu haben. "Es ist das Handelsgut, das lockt, und die vermeintliche Anonymität, mit der die Waffen erworben werden konnten", sagt Ungefuk. Auf die Spur gekommen seien die Fahnder den Kunden durch Hinweise von Informanten. "Außerdem hat uns die gute Zusammenarbeit mit einigen Banken geholfen."

Allen, die in Deutschland mit einer der Waffen erwischt werden, droht eine Anklage wegen des Verstoßes gegen Paragraf 52 des Waffengesetzes. Darauf stehen bis zu fünf Jahren Gefängnis.

 

Mitarbeit: Daniel Mayer und Sascha Venohr


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