Haben Staatsregierung und Ermittlungsbehörden im Umgang mit dem Neonazi-Terrortrio "Nationalsozialistischer Untergrund" Fehler gemacht? Dieser Frage geht seit April 2015 ein Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages nach. Zur 16. Sitzung am Montag stehen Aussagen zu geheimen Verschlusssachen auf der Tagesordnung. Eigens dafür wurde ein Raum im Landtag abhörsicher umgebaut.
Von langer Hand vorbereitet kommt heute der NSU-Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages zusammen. Eine mit Spannung erwartete Sitzung vor allem wegen der geladenen Zeugen: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, und seinem Vorgänger Heinz Fromm sollen aussagen. Es soll vor allem um die Kommunikation zwischen den Ämtern auf Bundes- und Landesebene gehen. Offen ist, wieviel die Geheimnisträger überhaupt offen sagen.
Schon für die Vernehmung einen geeigneten Ort zu finden war nicht leicht. Monatelang suchten Landtag und Ausschuss nach einem abhörgeschützten Raum. Ein Neubau im Keller des Landtages? Zu teuer. Einen Raum des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz nutzen? Undenkbar. Am Ende wurde nun doch ein Raum im Landtag umgebaut, wurden Scheiben abgeklebt, Rauschgeneratoren an diesen angebracht, um das Glas zum Vibrieren zu bringen und so im Falle des Falles Richtmikrofone versagen zu lassen. Eine Türsonde wird aufgebaut und dafür sorgen, dass nur die zugelassenen Abgeordneten, Landtagsmitarbeiter und Zeugen den Geheimschutz-Raum betreten. Bereits Tage vorher durften in dem Raum keine Fotos mehr gemacht oder elektronische Geräte verwendet werden.
Jedes Mal, wenn einer der beiden Zeugen in seiner Aussage erklärt: "Das ist Verschlusssache, nur für den Dienstgebrauch", mithin geheim, muss der Ausschuss aus dem großen Saal A600 im Landtag umziehen in diesen kleineren abhörgeschützten Raum und ohne die Öffentlichkeit in geheimer Sitzung weitermachen.
Viel Aufwand für wieviel Nutzen?
Der sächsische U-Ausschuss will sich genauer mit der Rolle des Geheimdienstes im Freistaat befasse. SPD-Obfrau Sabine Friedel will im Hinblick auf die kommenden zwei Jahre etwa geklärt wissen: "Welche Rolle spielten V-Leute im NSU-Netzwerk? Was wusste der Verfassungsschutz, was hätte er wissen müssen?" Die anstehende Vernehmung von Fromm und Maaßen soll dazu beitragen.
Wieviel Erkenntnisse von beiden zu erwarten ist, darüber gingen die Meinungen der Ausschussmitglieder vorab auseinander.
Ausschussvorsitzender Lars Rohwer (CDU) rechnet zumindest nicht damit, dass beide Zeugen gleich auf den Geheimstatus verweisen. Er geht davon aus, ein Teil der Aussage werde öffentlich erfolgen. Dass Verfassungsschutz-Chef Maaßen durchaus gewillt ist, solche Auftritte für sich zu nutzen, hatte er im Sommer vergangenen Jahres im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages gezeigt. Dort kritisierte er, die ganzen NSA- und NSU-Untersuchungsausschüsse würden inzwischen die Arbeit seiner Behörde behindern.
Bislang 19 Zeugen befragt
Der Auftritt der prominenten Zeugen kommt fast zur Halbzeit der Legislatur. Das Programm soll nun gestrafft werden. Die Opposition hatte kritisiert, man habe zu selten getagt, zu wenige Zeugen vernommen. Bislang sind in 15 Sitzungen insgesamt 19 Zeugen befragt worden. Ausschuss-Chef Rohwer rechnet damit, dass die Befragungen bis Ende 2018 abgeschlossen werden können.
Schon zur Halbzeit attestieren die Ausschussmitglieder den sächsischen Behörden Versäumnisse: "Es gibt nicht den einzelnen, gravierenden Fehler, ohne den sich alles hätte verhindern lassen. Aber es gibt viele kleine und große Unzulänglichkeiten", sagt SPD-Obfrau Sabine Friedel. Man habe die rechte Szene nicht ernst genug genommen, sie nicht als Netzwerk begriffen und die Fäden zusammengeführt. Hinzu kommen nach Ansicht der AfD vor allem Probleme in der internen und länderübergreifenden Kommunikation von Behörden. AfD-Abgeordneter Carsten Hütter zeigte sich verwundert, dass sich dienstlich beteiligte Personen auffällig häufig an Situationen und Vorgänge nicht mehr erinnern könnten.
Auch waren die Ausschussmitglieder Lars Rohwer zufolge irritiert, dass mehrere als Zeugen geladene Polizisten vor dem Ausschuss angaben, das erste Mal in dieser Angelegenheit gehört zu werden. Da stelle sich die Frage, ob der Einsatz nach der Explosion des letzten Unterschlupfes des NSU-Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße richtig ausgewertet wurde.
Köditz: Neonazi-Hintergrund hat zunächst nicht interessiert
"Es lief nicht alles nach Handbuch", sagt Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz. "An der Brandruine wurde nicht alles so dokumentiert, wie es üblich ist. Und bei der örtlichen Polizei hat man sich für den Neonazi-Hintergrund zunächst nicht großartig interessiert, um es ganz vorsichtig zu sagen. Das war ein Fehler."
Köditz beklagt, dass trotz der Erkenntnisse eine Art "Schlussstrich-Mentalität" bei den Verantwortlichen in Sachsen herrsche. Schon als Konsequenz aus dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss habe sie gefordert, Rechtsextreme in Sachsen zu entwaffnen. Bis heute sei fast nichts geschehen. In dem Zusammenhang kritisierte auch der Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann wiederholt mangelnden politischen Willen der Staatsregierung.
Ein erster NSU-Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages war bereits von 2012 bis März 2012 bis Juni 2014 eingesetzt. In 36 Sitzungen wurden 34 Zeugen und sechs Sachverständige befragt. 83 bereits beschlossene Zeugenvernehmungen konnten damals nicht mehr durchgeführt werden. In seinem Abschlussbericht der Ausschuss zu dem Schluss gekommen, dass es kein Fehlverhalten der Behörden im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen NSU-Terrortrio gegeben habe.