In Leinefelde hat ein Mann eine schwangere Frau rassistisch beleidigt und ihr einen Einkaufswagen in den Bauch gestoßen. Dabei wohnt sie seit Jahren in der Stadt und hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Doch beim Vorfall habe der Frau keiner geholfen, kritisiert ihr Mann.
Leinefelde. "Meine Frau ist am Boden zerstört, sie weint nur noch", sagt Haidar R.* und muss schlucken, bevor er hinzufügt: "Sie hat jetzt furchtbare Angst und will nur noch weg aus Leinefelde."
Seit fast sieben Jahren wohnt Haidar R. mit seiner Frau Tamina * in der Eichsfelder Stadt. Mit ihrem fünfjährigen Sohn freuen sich auf ihr zweites Kind. Tamina sei stets begeistert gewesen von Leinefelde und den netten Bewohnern, erinnert sich Haidar R., der als Oberarzt in einem Eichsfelder Krankenhaus arbeitet. Das Ehepaar, das aus dem Jemen ins beschauliche Thüringer Städtchen kam, freute sich auf eine gemeinsame Zukunft zu viert. Doch seit Dienstag ist alles anders.
An der Kasse eskalierte die Situation
Die 26-Jährige war am Dienstagsvormittag im Aldi in der Birkunger Straße einkaufen. Mit einem Kuchen wollte sie am nächsten Tag die Kollegen ihres Mannes mit der Nachricht ihrer Schwangerschaft überraschen.
Doch mitten im Discounter pöbelte sie auf einmal ein älterer Herr an, unter anderem ging er die junge Frau an mit: "Was machst du hier mit einem Kopftuch? Geh nach Hause!" Dabei besitzen Tamina und ihr Mann seit mehreren Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit.
An der Kasse eskalierte die Situation endgültig. Tamina verstand nicht alles, was der nach Polizeiangaben 64-jährige Rentner von ihr wollte und bat ihn, sie doch in Ruhe zu lassen. Sonst werde sie Polizei rufen. Doch der Mann drehte sich daraufhin um und habe der schwangeren Frau den "ziemlich vollen" Einkaufswagen in den Bauch gestoßen, sagt Haidar R. "Das war massiv", bestätigte ihm eine Verkäuferin.
"Warum hat keiner geholfen?"
Ohne sich danach um die Frau zu kümmern, ging der Rentner, der aus der Nähe von Leinefelde kommt, zu seinem Auto. Die junge Frau verfolgte ihn noch bis zum Parkplatz und konnte sich sein Autokennzeichen einprägen. Dann rief sie ihren Mann an, der gerade im Krankenhaus arbeitete. Denn im Einkaufsmarkt habe ihr niemand geholfen. Weder beim Vorfall oder danach, sagt Haidar R. und kann es nicht verstehen: "Warum hat keiner geholfen, keiner etwas gesagt? Das kann ich nicht verstehen, ich bin so enttäuscht". Er kam sofort zu ihr, holte die Polizei, die zusätzlich den Rettungswagen alarmiert hatte. Diese waren schnell vor Ort und fuhren die Frau ins Krankenhaus. Sie hatte Schmerzen im Bauch, Krämpfe und Blutungen.
"Großes Glück" bescheinigten ihr dort die Ärzte. Denn weil Tamina erst in der zwölften Woche schwanger sei, habe ihr Baby im Bauch noch genug Platz gehabt, um dem massiven Stoß auszuweichen. "Zwei Monate später und wir hätten unser Baby verlieren können", ist Haidar R. entsetzt.
Inzwischen konnte die Polizei den Tatverdächtigen identifizieren und ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts einer gefährlichen Körperverletzung. Ein Polizeisprecher verwies darauf, dass für den Mann wohl die Schwangerschaft aufgrund des frühen Stadiums nicht zu erkennen war.
Immer wieder klingelt seit dem Vorfall das Telefon der Familie R. Kollegen, Bekannte und Freunde fragen besorgt, wie es Tamina geht und machen ihnen Mut. "Das tröstet sehr", freut sich Haidar R.
Trotzdem weiß er nicht, wie es derzeit weitergehen soll. "Wir überlegen, was wir machen", sagt er. Er versuche, seine Frau umzustimmen. Doch Tamina will jetzt nicht mehr in Leinefelde leben.
* Die Namen wurden geändert und sind der Redaktion bekannt