Brandrede in Dresden - Der totale Höcke

Erstveröffentlicht: 
18.01.2017

Nach dem gescheiterten NPD-Verbot radikalisiert sich die AfD weiter. Der thüringische Parteichef Björn Höcke gibt bei einem Auftritt in Dresden einen Vorgeschmack.

 

von Matthias Meisner und Laura Hofmann

 

Es ist eine Brandrede. Der thüringische AfD-Chef Björn Höcke hält sie in Dresden, der "Hauptstadt des Widerstands", wie es in der Einladung des Jugendverbandes "Junge Alternative" (JA) heißt. Am Dienstagabend im Ball- und Brauhaus Watzke am Elbufer im Stadtteil Mickten fordert der AfD-Ultrarechte eine 180-Grad-Wende in der deutschen Erinnerungspolitik. "Die Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat", sagt er in Anspielung auf das Holocaust-Mahnmal. Die deutsche Geschichte werde "mies und lächerlich gemacht".

 

Von "dämlicher Bewältigungspolitik" ist die Rede. Deutschland könne nur eine Vision für seine Zukunft finden, wenn es wieder eine positive Beziehung zu seiner Geschichte aufbaue, sagt der 44-jährige Politiker und beurlaubte Lehrer, der im Eichsfeld daheim ist. Deutschland befinde sich noch immer im "Gemütszustand eines total besiegten Volkes".

 

Den sozialen Frieden des Landes sieht Höcke besonders durch den "Import fremder Völkerschaften" bedroht. Seinen Anhängern ruft er zu: "Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstauflösung! Es gibt die moralische Pflicht, dieses Land, diese Kultur, seinen Wohlstand und seine noch vorhandene staatliche Wohlordnung an die kommende Generation weiterzugeben!" Diese antworten mit frenetischen "Wir sind das Volk"-Rufen.

 

Volksfront von rechts - so erscheint die Versammlung in der sächsischen Landeshauptstadt. Die JA Dresden hat schon früher von sich reden gemacht: Im November vergangenen Jahres wertete sie die Weltkriege als deutsche Kämpfe um die Freiheit - in ihrem Facebook-Eintrag dazu bediente sie sich in weiten Teilen bei einer Textvorlage der Neonazi-Kleinpartei "Der III. Weg".

 

 

Höcke erscheint in Dresden in Begleitung des neurechten Ideologen Götz Kubitschek. Die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung hilft bei der Organisation des Saalschutzes und hat für ihr AfD-Idol den turnusmäßigen "Spaziergang" am Montagabend ausfallen lassen. Jürgen Elsässers rechtes "Compact"-Magazin sichert auf seinem Youtube-Kanal die Live-Übertragung - während anderen Journalisten zum Teil die Akkreditierung verwehrt wird, etwa einem Videoreporter der "Welt". Mit im Saal auch: der Dresdner Rechtsanwalt Maximilian Krah, bis vor kurzem noch Kreisvorstandsmitglied der Dresdner CDU, nun Inhaber eines AfD-Parteibuchs. Die Bundes- und Landesvorsitzende Frauke Petry der AfD fehlt - sie hält weder etwas von einer Allianz mit Pegida noch von Höcke. 

 

Strategie der gezielten Tabubrüche


Tatsächlich aber hält sich Höcke mit seiner Strategie der gezielten Tabubrüche sogar an die Linie der Parteiführung. Der Bundesvorstand hatte im Dezember in einer Telefonkonferenz ein Papier verabschiedet, laut dem man die anderen Parteien mit "sorgfältig geplanten Provokationen“ zu nervösen und unfairen Reaktionen verleiten wolle. Je mehr die AfD von ihnen stigmatisiert werde, "desto positiver ist das für das Profil der Partei", heißt es in dem Papier. Höcke ruft nun in den Saal des Brauhauses: "Die Angriffe der politischen Gegner sind hinterhältig und skrupellos. (...) Aber wir werden diese Angriffe überstehen."

 

 

In der Rhetorik unterscheidet sich die Rede aus der "Hauptstadt des Widerstandes" Dresden kaum von dem, was in den 30er Jahren aus München, der "Hauptstadt der Bewegung" zu hören war. "Wir müssen nichts weniger als Geschichte schreiben, wenn es für uns Deutsche, für uns Europäer, noch eine Zukunft geben soll", sagt Höcke. Dresden mit Pegida schreibt er dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Patrioten aus Sachsen seien das "große, unerreichte Vorbild", die Pegida-Bewegung habe "weltweite Aufmerksamkeit erzwungen". Eigentlich, verlangt er, müsste Dresden statt Berlin die deutsche Hauptstadt sein.

 

 

Höckes Machtanspruch fällt umfassend aus. Die AfD werde nicht aufhören, bevor sie nicht 51 Prozent erreicht habe. Oder, ersatzweise, als Seniorpartner in einer Koalition "mit einer der Altparteien" regiere. "Denn wir führen einen gerechten Kampf. Einen Kampf, der bei der Bundestagswahl nicht endet und der darüber entscheiden wird, ob wir und unsere Kinder noch eine Zukunft in der Mitte Europas haben oder ob wir und unsere Kinder, unser Staat, unsere Kultur, und unser liebes Volk in Chaos versinken." Und: "Dieses Land braucht einen vollständigen Sieg." 

 

Zentralrat der Juden: AfD zeigt ihr wahres Gesicht


Zutiefst empört ist Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden. "Völlig inakzeptabel" seien die Äußerungen von Höcke zum Holoaust-Mahnmal, sagt er am Mittwoch: "Damit tritt Björn Höcke das Andenken an die sechs Millionen ermordeten Juden mit Füßen und relativiert das schwerste und in diesem Ausmaß einzigartige Menschheitsverbrechen der Geschichte. Die AfD zeigt mit diesen antisemitischen und in höchstem Maße menschenfeindlichen Worten ihr wahres Gesicht. Dass 70 Jahre nach der Schoah solche Aussagen eines Politikers in Deutschland möglich sind, hätte ich nicht zu glauben gewagt." 

 

Dresdner Richter nun AfD-Kandidat für den Bundestag


Höcke hält seine Rede am Tag, an dem das NPD-Verbotsverfahren im zweiten Anlauf gescheitert ist. Der Dresdner Politikwissenschaftler Steffen Kailitz hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kritisiert. Er befürchtet, das Karlsruher Urteil werde der AfD, vor allem Leuten aus dem Höcke-Flügel, Auftrieb geben. "Diese Leute wissen jetzt: Solange sie keine politischen Mehrheiten erringen, ist es egal, welche Positionen sie vertreten - sie werden nicht verboten. Schließlich ist die NPD nun trotz ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus nicht verboten worden. Das lässt der AfD Spielraum und zeigt ihr: Selbst bei einer Radikalisierung würde sie erst einmal nicht verboten."

 

 

Kailitz hatte im vergangenen Jahr als Ergebnis einer Forschungsarbeit geschrieben, die NPD plane "rassistisch motivierte Staatsverbrechen". Es kam deshalb zu einem Rechtsstreit. Jens Maier, Richter am Landgericht Dresden, verbot Kailitz seine Aussagen in einer umstrittenen Entscheidung per Unterlassungsverfügung. Inzwischen ist Maier Direktkandidat der AfD im Bundestagswahlkreis Dresden I. Am Dienstagabend war er einer der Vorredner von Höcke. Er sagte, die AfD habe die NPD mit ihrer Politik marginalisiert. "Wir bieten Patrioten eine echte Heimat." Zum Thema Aufarbeitung proklamierte er: "Ich erkläre hiermit diesen Schuldkult für endgültig beendet." 

 

"Das ist ein Nazi. Und er ist dort nicht der einzige"


Es gibt immer wieder Sprechchöre am Abend im Brauhaus. "Merkel muss weg", skandiert die Versammlung. "Abschieben, Abschieben!", heißt es wiederholt, wenn es um angeblichen Missbrauch von so genanntem "Gastrecht" geht. Als Höcke seine Rede beendet hat, fordern die Anhänger, er solle seine Entscheidung überdenken, nicht bei der Bundestagswahl zu kandidieren. "Höcke nach Berlin", heißt es nun im Sprechchor.

 

In der sächsischen CDU hat es in der Vergangenheit immer wieder Forderungen gegeben, eine Regierungszusammenarbeit mit der AfD nicht auszuschließen. Am Dienstagabend aber gibt es ein sehr klares Wort der Distanzierung. Marco Wanderwitz, CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Erzgebirge, twittert nach der Höcke-Rede: "Das ist ein Nazi. Und er ist dort nicht der einzige."

 

Nachtrag: Am Mittwochmittag verschickt Höcke eine lange Erklärung zu seiner Dresdner Rede. Kernsätze: "Angeblich soll ich dort das Holocaust-Gedenken der Deutschen kritisiert haben. Diese Auslegung ist eine bösartige und bewusst verleumdende Interpretation dessen, was ich tatsächlich gesagt habe." Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry reagiert mit einer Replik in der "Jungen Freiheit". Sie sagt: "Björn Höcke ist mit seinen Alleingängen und ständigen Querschüssen zu einer Belastung für die Partei geworden.". Die AfD müsse sich entscheiden, ob sie den Weg der Republikaner gehen wolle oder den anderer erfolgreicher Parteien wie der FPÖ. "Wir werden Realisten sein oder politisch irrelevant werden."