Wie geht's den Opfern? Connewitz, ein Jahr nach dem Überfall

Erstveröffentlicht: 
09.01.2017

Von: JACKIE RICHARD Leipzig – Das ganze Ausmaß der Randale wurde erst am Morgen des 12. Januars 2016 sichtbar: Die Wolfgang-Heinze-Straße glich einem Trümmerfeld, das Pflaster war aufgerissen, Händler vernagelten ihre demolierten Schaufenster mit Sperrholz.

 

Am Vorabend gegen 19 Uhr, nach einer Legida-Demo, hatten über 200 Hooligans und Neonazis die Läden überfallen. OB Burkhard Jung (58, SPD) sprach danach von „Straßenterror“ – wie schon vier Wochen zuvor, als linke Chaoten in der Südvorstadt die Polizei angriffen.

Ein Jahr nach der Krawallnacht haben die Versicherungen die meisten Schäden beglichen. Doch Spuren der Randalierer sind auch heute noch zu sehen. „Ich hab‘ die Pflastersteineinschläge in meinem Dreifachpanzerglas gelassen“, sagt Juwelier Steffen Pfeiffer (46).


Fast alle im Viertel haben weiteren Gewaltexzessen gerechnet. „Auch wenn das Sicherheitsgefühl mittlerweile gestiegen ist: die Angst, dass wieder etwas passiert, ist trotzdem manchmal da“, sagt Heike Hagemann (51), Chefin der Fleischerei Hagemann. „Wir waren damals zum Glück nicht betroffen, aber es war schrecklich, diese Zerstörung zu sehen.“


Damals ging das Foto von Ilona Fleischmann (66) durch alle Zeitungen. Eine gebückte, kleine Frau vor ihrer verwüsteten Buchhandlung. „Mir haben damals viele Nachbarn geholfen und ich wurde auch mit Spenden unterstützt“, sagt sie heute. Ihren Laden hatte sie schon damals sofort wieder aufgemacht und trotzig „Wir haben geöffnet“ auf die Bretter geschrieben, die nun dort hingen, wo mal ihr Schaufenster war. Angst? „Nein. Die Polizei ist seitdem auch präsenter.“

 

Hunderte Randalierer hatten die Beamten damals noch in der Nacht einkesseln können. Ein schneller Erfolg war es dennoch nicht. Bis heute ist keiner der 215 Verdächtigen angeklagt worden.


„Die gemeinsamen Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Operativem Abwehrzentrum (der Polizei) sind schwierig und umfangreich, noch immer werden Spuren ausgewertet“, sagt Staatsanwaltschaftssprecher Ricardo Schulz.

 

Mehrere Gewalttäter sollen mittlerweile an weiteren Fußball-Randalen beteiligt gewesen sein. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (52, CDU) bestätigte, dass ein Großteil der Beschuldigten aus der Hooligan- und Neonaziszene in Sachsen stammt. „Wir müssen trotzdem jedem Einzelnen die konkrete Tatbeteiligung in Connewitz nachweisen“, so die Staatsanwaltschaft.

 

Den Linken im Kiez dauert das zu lange. Kurz nach Weihnachten hatte die Antifa Plakate mit der kompletten Namensliste aller 215 Beschuldigter im Leipzger Süden aufgehängt. Man kann das als Aufruf zur Selbstjustiz werten.

 

„Ich fände es viel besser, wenn wir hier jedes Jahr am 11. Januar ein Straßenfest feiern würden“, sagt Hassam Gawish (49), Imbiss Shahia II. Sein Bistro war einer der ersten Läden, die damals von den Hooligans überfallen und zerstört wurden. Doch auch er ist in der Wolfgang-Heinze-Straße geblieben.

„Unser Bistro musste komplett neu gemacht werden“, sagt Gawish. „Wir haben sogar mehr Gäste als vorher. Wegen der vielen Sympathien, die man uns entgegenbrachte.“