Nach dem Anschlag in Berlin hatte die Polizei fälschlicherweise einen Pakistaner festgenommen. Er habe Angst um sich und seine Familie, erzählt er dem "Guardian".
Der junge Mann aus Pakistan, den die Polizei nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt zunächst fälschlicherweise für den Attentäter gehalten und festgenommen hatte, hat mit der britischen Zeitung Guardian über seine Festnahme und deren Folgen gesprochen. Dabei berichtet Naveed B. von Misshandlungen während seiner Festnahme und wie sehr er sich um seine Familie sorgt, weil seine Identität von der deutschen Polizei bekannt gegeben wurde.
Kurze Zeit nach dem Anschlag am 19. Dezember hatten Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und die Polizei verkündet, dass sie mit Naveed B. den Hauptverdächtigen gefasst hätten. Im Lauf des Dienstags stellte sich dieser Verdacht als falsch heraus und der Pakistaner wurde entlassen. Da war der Name des 24-Jährigen aber bereits öffentlich bekannt geworden.
Naveed B. berichtet dem Guardian, wie er die Festnahme erlebt hat. Am 19. Dezember habe er eine Straße überquert und sei wegen eines heranfahrenden Autos losgerannt. Dann merkte er, dass es ein Polizeiauto war, und die Beamten ihn zum Anhalten aufforderten. "Ich zeigte ihnen alle Ausweisdokumente, die ich dabeihatte", sagte Naveed B. Zunächst ließen die Beamten ihn dann weitergehen, hätten ihn aber nach einigen Sekunden zurückgerufen und festgenommen.
Mit gefesselten Händen sei er auf eine Polizeistation gefahren worden. Später seien ihm die Augen verbunden worden, als er zu einer anderen Dienststelle gebracht wurde. Auf der Polizeistation sei er ausgezogen und fotografiert worden. "Als ich mich wehrte, fingen sie an, mich zu schlagen."
Die Polizei habe ihm keinen Übersetzer gestellt, der seine Muttersprache Belutschisch sprach, die in seiner Heimatprovinz Belutschistan gesprochen wird. Stattdessen habe der Dolmetscher die in Pakistan verbreiteten Sprachen Pandschabi und Urdu gesprochen, wobei er lediglich ein wenig Urdu verstehe, jedoch nicht viel sprechen könne, berichtet B. Er sei gefragt worden, ob er wisse, was in Berlin früher an diesem Abend geschehen sei. "Ich sagte, ich weiß es nicht, und sie sagten mir: Jemand hat ein Fahrzeug genommen, es in eine Menschenmenge gefahren und viele Menschen getötet. Und du warst hinter dem Lenkrad von diesem Laster, oder?"
"Ich habe ihnen ruhig gesagt, dass ich überhaupt nicht Auto fahren kann." Der junge Pakistaner sagte weiter, er könne nur annehmen, dass sie seine Antworten verstanden hätten, weil die Kommunikation sehr merkwürdig gewesen sei. Über zwei Tage und eine Nacht habe er nur Tee und Kekse zu essen bekommen.
Gefährdet durch die Festnahme
Nach seiner Freilassung habe die Polizei ihn in ein Hotel gebracht und ihm geraten, es nicht zu verlassen, ohne sie zu informieren. Er solle unter keinen Umständen zu der Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Tempelhof zurückkehren, wo Spezialkräfte nach Hinweisen gesucht hatten, ob B. etwas mit dem Attentat zu tun habe. Dort sei sein Leben möglicherweise in Gefahr durch pakistanische Nationalisten oder deutsche Rechtsextreme, habe ihm die Polizei gesagt.
Momentan sei der 24-Jährige an einem geheimem Ort untergebracht, an dem er sich weiterhin jedes Mal polizeilich melden müsse, wenn er hinausgeht.
Sagt man eigentlich Entschuldigung hinterher und kümmert sich, @polizeiberlin? Oder ist der jetzt alleine? https://t.co/hUKSvpcKyb
— Jan Böhmermann (@janboehm) 29. Dezember 2016
Seit dem Zwischenfall habe er Angst um sein Leben, sagt B. Er fühle sich nicht mehr sicher in Deutschland, wo er Zuflucht suchte, weil er in seinem Herkunftsland Pakistan politisch verfolgt gewesen sei. In seiner Heimatregion Belutschistan im Südwesten von Pakistan sei er Mitglied einer säkularen, separatistischen Bewegung gewesen. Mehrere seiner Verwandten seien bereits von Geheimdiensten festgenommen oder getötet worden, er selbst habe Morddrohungen erhalten. Belutschistan ist eine der unruhigsten und ärmsten Regionen Pakistans. Mehrere Extremistengruppen wie die Taliban sind dort aktiv.
Auch um seine Familie in Pakistan sorge er sich daher. "Vor dem Anschlag, für den ich festgenommen wurde, wusste niemand in Belutschistan, dass ich verschwunden war." Nun würden alle wissen, dass er nach Deutschland geflüchtet sei, was seine Familie "sehr verletzlich" machen würde.
Nachdem internationale Medien seinen Namen und sein Bild veröffentlicht hatten, bekam seine Familie Drohanrufe. Deshalb habe B. sich dazu entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen. "Meine Familie und ich haben beschlossen, dass es für uns sicherer wäre, wenn wir uns dazu äußern."