Bielefelder Forscher: „Rechtspopulismus erledigt sich nicht von selbst“ Interview mit Wilhelm Heitmeyer

Erstveröffentlicht: 
05.12.2016

Der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer spricht über zunehmend rohe Bürgerlichkeit, die Verachtung Schwächerer und die Gefahr einer Eskalation von Gewalt. Die Rechten zu ignorieren, werde sie nicht verschwinden lassen.

 

Herr Heitmeyer, in Europa und weltweit feiern Populisten und Nationalisten Erfolge. Was ist der Grund dafür?


Heitmeyer:
Wichtig ist die Durchsetzung eines autoritären Kapitalismus und die rasant ablaufende Unübersichtlichkeit durch die Globalisierung. Dies führt bei vielen Menschen zu Verunsicherungen und Ängsten. Populisten instrumentalisieren die Ängste. Es ist ihr zentrales Thema. Sie versprechen dagegen die Rückkehr zu einer homogenen Gesellschaft. Das ist weder möglich noch sinnvoll, ja im Gegenteil sogar gefährlich.

 

Was halbwegs intelligente Menschen auch wissen. Warum geben sie trotzdem Populisten ihre Stimme?


Heitmeyer:
Sie wollen ein Signal gegen das Establishment aussenden. Gegen das System, am Ende sogar gegen den Pluralismus. „Jetzt wollen wir es denen da oben mal zeigen" – das ist die aggressive Haltung, weil sie sich nicht wahrgenommen und einflusslos fühlen. Dies ist eine Grundlage von Wut.

 

Geht es um kurzfristigen Protest?


Heitmeyer:
Es geht darüber hinaus. Selbst in gebildeten und gut situierten Kreisen macht sich eine rohe Bürgerlichkeit mit einem Jargon der Verachtung gegen Schwächere breit. Es wird abwertend und diskriminierend geredet im Sinne einer Ungleichwertigkeit von Zuwanderern, Muslimen, Homosexuellen, Obdachlosen und andere Minderheiten. Vor allem bei Menschen über 60 ist die Abwertung schwacher Gruppen stark ausgeprägt. Ein erheblicher Teil der älteren Bevölkerung fühlt sich von der Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse überfordert. Hinzu kommt: Die Gesellschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten erfreuliche Freiheiten für unterschiedliche Lebensweisen entwickelt. Manche Teile der Bevölkerung sehen dies als Bedrohung ihrer Normalität oder gar der „deutschen Identität".

 

Wann hat das angefangen?


Heitmeyer:
Wir haben in unserer Langzeituntersuchung zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit schon 2002 ein rechtspopulistisches Potenzial von etwa 20 Prozent festgestellt. Zwischen 2009 und 2011, also nach der Finanzkrise und vor Pegida sowie der AfD hatte die Aggressivität bei dieser Personengruppe deutlich zugenommen. Als wir das publizierten, hat es niemanden interessiert. Alarmismus wurde uns vorgeworfen.

 

Was hat sich seitdem geändert?


Heitmeyer:
Es haben sich Entwicklungen beschleunigt. Die Angst vor sozialer Desintegration und Abstieg ist gewachsen – auch in der Mittelschicht. Wegen der Zuwanderung fühlen manche Menschen eine kulturelle Überfremdung, wegen einer wahrgenommenen Demokratieentleerung eine politische Entfremdung. Auch die Denationalisierung von Politik bereitet vielen Unbehagen. Und dann kam die Flüchtlingsbewegung, die wie ein Katalysator gewirkt hat.

 

Verglichen mit Frankreich, Italien oder Österreich schneiden Rechtspopulisten in Deutschland bei Wahlen eher schwach ab. Sind wir wegen unserer Geschichte resistenter als andere?


Heitmeyer:
Das ist eine beliebte und politisch gepflegte Selbsttäuschung. Deutschland hatte vorübergehend Glück, dass es hier lange keine Mobilisierungsexperten wie Jörg Haider in Österreich oder die Familie Le Pen in Frankreich gab. Das hat sich geändert, Man kann sagen, dass AfD, Pegida und andere es geschafft haben, individuelle Ohnmachtsgefühle in kollektive Machtfantasien umzuwandeln.

 

Wie äußern sich die?


Heitmeyer:
Man geht aggressiv nach außen gegen kulturell Andere vor und ist nach innen geradezu besessen von dem Wunsch nach Harmonie und einer homogenen Gesellschaft. Es geht um ein „Wir" und ein „Die". Das ist gefährlich für die liberale Demokratie und für schwache Gruppen in der Gesellschaft.

 

Nehmen führende Rechtspopulisten wie Frauke Petry, Alexander Gauland oder Lutz Bachmann die Gefahr gewaltsamer Eskalation in Kauf?


Heitmeyer:
Ich kenne deren persönliche Motivationen nicht. Man sollte auch diesen Akteuren nicht unterstellen, dass sie Gewalt befördern wollen. Allerdings: Das Faktum bleibt, dass ihre Positionen die Legitimation für Gewalt bereitstellen.

 

Wie sollten Politik und Medien darauf reagieren?


Heitmeyer:
Ausgrenzung führt nicht weiter. Dann können sich die Rechtspopulisten als Opfer inszenieren, was die Aggressivität ihrer Anhänger noch erhöhen würde. Besser wäre es, in eine souveräne Auseinandersetzung mit den Populisten zu gehen. Man muss sie zum Beispiel fragen, wie sie ihre Ziele erreichen wollen, ohne die Demokratie, die Meinungsfreiheit und den Rechtsstaat zu zerstören. Darauf werden sie keine Antwort haben.

 

Die Populisten zu ignorieren ist keine Lösung?


Heitmeyer:
Nein. Das Problem des Rechtspopulismus wird sich nicht von selbst erledigen.