Jahresrückblick 2016, Niedersachsen: Täter vor Gericht, Kundgebungs-Marathon im ländlichen Raum

Erstveröffentlicht: 
15.12.2016

Alle Jahre wieder fragen wir: Was passierte im Bereich Rechtsextremismus in den verschiedenen Bundesländern? Welche Themen waren wichtig, welche Akteure und Akteurinnen? Heute: Niedersachsen.

 

Mit der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt Braunschweig/ Zentrum Demokratische Bildung Wolfsburg sprach Simone Rafael.

 

Was war in Ihrem Bundesland das wichtigste Ereignis im Be​reich Rechtsextremismus / Rechtspopulismus?

 

Ein gutes Ereignis war der Prozess gegen die drei Täter_innen von Salzhemmendorf, die einen rassistisch motivierten Brandanschlag auf eine Asylunterkunft im August 2015 verübt hatten (vgl. NgN). Das politische Motiv wurde klar benannt, das Urteil gegen den Haupttäter erging wegen versuchten Mordes und es gab hohe Haftstrafen. Allerdings ist der Prozess gerade in der Revision.

 

Erschreckend dagegen: In Niedersachsen gab es auch 2016 eine hohe Zahl von rassistisch oder rechtsextrem motivierten Gewalttaten, und dabei ist auch das Gewalt-Niveau gestiegen. In Braunschweig etwa hat ein Neonazi, der zum Umfeld der JN zählt, einem Schüler so hart ins Gesicht geschlagen, dass er einen doppelten Kieferbruch erlitt. In Lingen wurde auf geflüchtete Kinder mit einem Luftgewehr geschossen (vgl. ngn). In mehreren Orten hatten wir aus Neonazis und Hooligans bestehende „Bürgerwehren“, die auf den Straßen auch real patrouillierten und nicht nur im Netz existierten.

 

Wieder positiv war allerdings, dass es in diesem Jahr keinen Naziaufmarsch in Bad Nenndorf gab. Hier haben die langjährigen zivilgesellschaftlichen Gegenproteste  Früchte getragen.

 

Außerdem hatten wir 2016 noch Kommunalwahlen, bei denen die NPD noch erstaunlicherweise einige Mandate errungen hat  - nämlich 18, von denen sie 17 besetzen kann - , auch in Orten, wo sie bisher nicht in Kommunalparlamenten saßen. Die AfD erhielt 445 Mandate, von denen sie 409 besetzen kann -  mehr, als irgendjemand zuvor gedacht hatte, und das sowohl im ländlichen Raum wie etwa auch in niedersächsischen Großstädten wie Hannover und Braunschweig (vgl. Apabiz).

 

Was sind die Folgen?

 

In den Kommunalparlamenten müssen nun die Demokrat_innen werteorientierte Diskussionen führen und sich positionieren. Landesweit sind viele Bündnisse der Zivilgesellschaft nun schon seit langer Zeit gefordert, durchzuhalten – etwa in Braunschweig, wo fast schon zwei Jahre lang „Bragida“ auf die Straße geht, oder an verschiedensten Orten in dem Flächenland, in denen es 2016 zahlreiche Kundgebungen von extrem rechten Kreisen und rechtspopulistischen Parteien gab. Außerdem engagieren sich viele, die gegen Nazis aktiv sind, auch in der Flüchtlingshilfe. Dazu kommt die hohe Zahl an Übergriffen, das ist eine Belastung. In Niedersachsen  gab es ja auch 2016 leider noch keine Opferberatung für Opfer rechtsextremer Gewalt. Damit gab es für die Betroffenen von Gewalt und Bedrohungen keine spezifischen professionellen unterstützenden Strukturen.

 

Was war in Niedersachsen die wichtigste Gruppierung im Bereich Rechtsextremismus?

 

Eine sehr aktive Gruppierung ist der „Freundeskreis Thüringen / Niedersachsen“: eine vor allem in Südniedersachsen aktive Gruppierung, die in Göttingen und Umgebung geradezu einen Kundgebungs-Marathon veranstaltet hat.  Dies waren aber keine reinen Propaganda-Veranstaltungen – aus den Kundgebungen und dem Personenkreis kam es auch zu Bedrohungen und Angriffen auf engagierte Personen oder Politiker_innen. Auffällig war, dass die Veranstaltungen nicht nur in Städten wie Göttingen und Duderstadt, sondern vermehrt im ländlichen Raum angemeldet wurden. War der „Freundeskreis“ zunächst als „Bürgerbewegung“ konzipiert, blieben hier schnell vor allem Neonazis übrig. Aktuell versuchen die Aktivist_innen, ihre Aktivitäten auf andere Regionen in Niedersachsen wie etwa Nienburg auszuweiten.

 

Ebenfalls bundesweit aufgefallen sind die Rechtsextremen  der „JN Braunschweig“ – die waren etwa bei den lautstarken Mobilisierungen gegen Sigmar Gabriel  in Salzgitter dabei, die der SPD-Bundesvorsitzenden mit ausgestrecktem Mittelfinger beantwortete.

 

Deutlich zu sehen waren 2016 auch noch zwei weitere Spielarten des Rechtsextremismus in Niedersachsen: Die beiden Prozesse gegen die bereits einschlägig verurteilte Ursula Haverbeck und den ehemaligen Verdener NPD-Stadtrat Rigolf Hennig zeigten wiederum, dass es in Niedersachsen auch eine aktive Holocaustleugner_innen-Szene gibt.  Und am 30.April hatten wir eine völkische Mai-Tanz-Veranstaltung, zu der um die 200 Menschen aus dem völkischen Spektrum gekommen sind.

 

Ich möchte aber mit einer positiven Entwicklung schließen: 2016 sind auch viele neue Bündnisse in Niedersachsen entstanden. Dort, wo Menschen plötzlich neu mit rechten Kundgebungen konfrontiert waren, haben sich  schnell Gruppen zusammengefunden, die sich aktiv für Menschenrechte einsetzen. Die Vor-Ort-Wachsamkeit ist also groß.