Ermittler untersuchten schon 2009, ob ein Obdachloser mit einem Mord in Verbindung steht, der später dem NSU zugerechnet wurde. Ohne Ergebnis. Nun behauptet ein bayerischer Beamter, es sei schlampig gearbeitet worden.
Von Maik Baumgärtner, Sven Röbel und Jörg Schindler
Am 25. Mai 2008 endet ein Polizeieinsatz nahe Bayreuth mit einer tödlichen Schießerei. Zwei Streifenbeamten fällt dort ein Mann auf, der sich mit einer Kombizange an einem Fahrrad zu schaffen macht. Als sie ihn kontrollieren, zückt der Mann unvermittelt eine Pistole und schießt. Die Beamten feuern zurück. Von sechs Kugeln getroffen, flüchtet der Mann hinter einen Baum und tötet sich schließlich mit einem Kopfschuss. Der Tote wird als Michael K. identifiziert, geboren am 31. März 1955, ohne festen Wohnsitz.
Nun, sechseinhalb Jahre später, könnte der Tote von Bayreuth in einem der bekanntesten Kriminalfälle der Bundesrepublik noch eine entscheidende Rolle spielen.
Ein bayerischer Ermittler behauptet, mutmaßliche DNA-Spuren des Obdachlosen seien bereits vor Jahren auf dem Unterhemd von Enver Simsek entdeckt worden - dem ersten Mordopfer der Terrorgruppe NSU. Dem brisanten Fund sei aber nie wirklich nachgegangen worden.
Liste mit prominenten Personen
Mit dieser Geschichte hat sich der Ermittler nach SPIEGEL-Informationen kürzlich an den NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags gewandt. Den Abgeordneten erschien sie auch deshalb interessant, weil Michael K. schon einmal im Zusammenhang mit dem NSU genannt worden war - als möglicher Waffen- oder Sprengstofflieferant des Trios.
Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Bayreuth arbeitete der Berliner bis 1985 als Betonbauer und tauchte dann ab. Wiederholt fiel er durch rechtsextreme Umtriebe auf, in den Archiven der Stasi-Unterlagenbehörde fand sich zudem eine Karteikarte, in der er als Mitglied der "Jungen Nationaldemokraten" gelistet wird.
Vor allem aber macht ihn seine Hinterlassenschaft zur obskuren Figur. Nach der Schießerei im Mai 2008 fanden Polizisten in K.s Rucksack handschriftliche Adressen prominenter Personen, darunter die des damaligen österreichische Bundespräsidenten, außerdem 38 Landkarten. Die darauf eingezeichneten Waldgebiete liegen weit verstreut in Bayern, Sachsen, Thüringen, Berlin, Brandenburg und Österreich.
Waffendepots im Wald
Die Beamten entdeckten dort Erddepots mit einer großen Menge Sprengstoff, mit Zündern, Schusswaffen und Handgranaten. In einem Versteck im südlichen Saale-Orla-Kreis in Thüringen etwa lagerten 1,6 Liter Flüssigsprengstoff und eine ein Kilogramm schwere Bombe.
Hatte K. womöglich etwas mit der rätselhaften Ceska-Mordserie zu tun, der nach dem Tod von Enver Simsek im September 2000 acht weitere Menschen zum Opfer fielen? 2009, als die Ermittler noch nichts vom NSU ahnten, ging die "Soko Bosporus" der Frage nach, ob K. in die Mordserie verstrickt sein könnte. Es waren nicht nur die Waffenfunde, die das Interesse der Soko weckten, sondern eben auch jene DNA-Spur auf der Kleidung Simseks, auf die der bayerische Ermittler nun hinweist.
Doch die Ermittlungen führten zu nichts, die Beweiskraft der DNA-Spur wurde als zu gering eingeschätzt. Das änderte sich auch nach der Enttarnung des NSU im November 2011 nicht, als erneut mögliche Bezüge zu K. überprüft wurden. Wieder: keine konkreten Ergebnisse. Man legte die Spur zu den Akten.
Der nun aufgetauchte Hinweisgeber behauptet: Die Ermittler fanden auch deshalb nichts, weil sie schlampig arbeiteten.
Ausschuss setzt Ermittler ein
Panne oder Vertuschung? Womöglich nichts von beidem. Nach SPIEGEL-Informationen lassen sich die DNA-Spuren an Simseks Unterhemd mit einer Wahrscheinlichkeit von circa 1: 190.000 Michael K. zuordnen. Mit anderen Worten: In einer Stadt mit 190.000 Einwohnern gäbe es diese DNA nur einmal, in einer Stadt mit 19 Millionen Einwohnern 100-mal. Das ist einerseits eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, zugleich lässt sich von einem zweifelsfreien Nachweis nicht sprechen.
Als Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken, 2014 nach den Erddepots des Obdachlosen fragte, hieß es einer schriftlichen Antwort der Bundesregierung, "bereits im September 2009" habe die "Soko Bosporus" K.s DNA "mit dem Gesamtbestand der zu allen 'Ceska-Morden' vorliegenden DNA" verglichen, "Übereinstimmungen wurden nicht festgestellt". Auch wie es zu dieser Antwort kam, wollen die Fraktionen des Bundestags nun herausfinden.
Ein eigener Ermittler des Untersuchungsausschusses soll der Sache nun rasch nachgehen.