Der Verfassungsschutz sprach ursprünglich von einer zweistelligen Zahl, doch sind es nach neuen Erkenntnissen etwa 400 Menschen.
Die Sicherheitsbehörden gehen von deutlich mehr gefährlichen „Reichsbürgern“ aus als noch vor wenigen Wochen. Der hessische Verfassungsschutz gibt ihre Zahl jetzt mit 400 an.
Ende Oktober, nachdem ein selbst erklärter „Reichsbürger“ im fränkischen Georgensgmünd einen Polizisten erschossen und mehrere Kollegen verletzt hatte, war bei den hessischen Behörden noch von einer Zahl „im unteren zweistelligen Bereich“ die Rede gewesen. Woher kommt dieser drastische Anstieg?
Der Verfassungsschutz vertritt die Auffassung, es gebe viele „Reichsbürger“, die nicht rechtsextrem ausgerichtet seien. Vor sechs Wochen hatte er lediglich die zweistellige Anzahl jener Personen genannt, die „dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet“ werden. Ein Sprecher des Verfassungsschutzes erläuterte der Frankfurter Rundschau auf Anfrage: „Als Rechtsextremisten beobachtet werden nur Personen, denen wir nachweisen können, dass sie gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen.“ So müssten sie etwa durch „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus oder übersteigerten Nationalismus“ aufgefallen sein. Das treffe nicht automatisch auf alle „Reichsbürger“ zu, die etwa ihren Pass zurückgeben wollten.
Die selbst ernannten „Reichsbürger“ lehnen die Bundesrepublik ab. Sie glauben daran, dass das Deutsche Reich nach dem Kriegsende fortbestanden hat.
Die Verfassungsschutz-Behörden von Bund und Ländern hatten vereinbart, die ganze „Reichsbürger“-Szene zu beobachten und nicht mehr nur diejenigen aus dem „Phänomenbereich Rechtsextremismus“. Seit dem 22. November wird das nach Angaben der Ämter umgesetzt.
Nach Recherchen der Berliner Zeitung „taz“ werden dadurch jetzt bundesweit höhere Zahlen genannt. Allein in Bayern würden 1700 Anhänger der Bewegung gezählt, in Baden-Württemberg 650 und in Niedersachsen 500. Im Osten seien Thüringen mit 550 und Brandenburg mit 300 Anhängern Hochburgen der „Reichsbürger“.
„Absurde Unterscheidung“
Die SPD kann nicht nachvollziehen, dass die Behörden die Anhänger dieser Bewegung in rechtsextreme und nicht rechtsextreme unterteilt. „Das ist eine ziemlich absurde Unterscheidung“, kommentiert SPD-Innenpolitiker Günter Rudolph. „Diese Menschen lehnen komplett unseren Staat und unsere Demokratie ab.“ Der Verfassungsschutz habe die Reichsbürger „sicher in der Vergangenheit unterschätzt“.
Seine SPD-Kollegin Lisa Gnadl fügte hinzu, die Regierung dürfe nicht den gleichen Fehler machen wie bei der „zunächst abwiegelnden Haltung im Hinblick auf die Identitäre Bewegung“. Die neurechte „Identitäre Bewegung“ war erst vor einigen Monaten zum Beobachtungsobjekt der Verfassungsschützer erklärt worden.
Jetzt will die SPD von Innenminister Peter Beuth (CDU) wissen, was über „Reichsbürger“ in Hessen bekannt ist. Sie fragt danach, wie viele von ihnen Waffen besitzen. Der Sprecher des Verfassungsschutzes wollte sich im Gespräch mit der FR am Donnerstag zu dieser Frage nicht äußern.