[L] Bürgerforum im Volkshaus: Ärger über „gute und schlechte Gewalt“

Erstveröffentlicht: 
01.12.2016

Was tun wir gegen die teils eskalierende Gewalt in Leipzig? Was läuft schief in der öffentlichen Debatte? Über solche Fragen diskutierten Leipziger bei einem Bürgerforum der Stadt im Volkshaus.


Leipzig. Dicht gedrängt saßen am Mittwochabend rund 80 Zuhörer im Veranstaltungsraum des Volkshauses, wo Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) zum Bürgerforum „Debatte statt Gewalt“ eingeladen hatte. Politiker aus fünf Parteien waren gekommen, um darüber zu diskutieren, wie die politische Gewaltspirale in der Stadt gestoppt werden kann. Eines wurde recht schnell klar: Die Kluft zwischen den Etablierten und ihren Kritikern ist groß. LVZ-Lokalchef Björn Meine hatte als Moderator einiges zu tun, um die Emotionen in Grenzen zu halten. Nach der Absage der linken Landtagsabgeordneten Juliane Nagel, die sich nicht mit Uwe Wurlitzer von der Alternative für Deutschland (AfD) auf ein Podium setzen wollte (die LVZ berichtete), war der Landtagsabgeordnete Enrico Stange (Linke) eingesprungen. Er verteidigte die Absage von Nagel – und erntete damit Kritik. Als Abgeordnete habe Nagel die Aufgabe, bei solchen Diskussionen dabei zu sein, hieß es. Sie werde dafür mit Steuergeld bezahlt und müsse außerdem wissen, wie die Connewitzer denken.

AfD-Politiker Uwe Wurlitzer musste sich von einem Zuhörer anhören, seine Partei dürfe sich in Leipzig nicht über den starken Gegenwind wundern. Denn die AfD sei seit mehr als drei Jahren dabei, Ängste zu schüren und Volksverhetzung zu betreiben. „Genau das ist das Problem der Gewalt in Leipzig“, erwiderte Wurlitzer. „Manche meinen, es gebe eine Legitimation dafür, Scheiben von Abgeordnetenbüros der AfD einzuschlagen oder zur Gewalt gegen AfD-Mitglieder aufzurufen, weil ihnen die Argumente dieser Partei nicht gefallen. Aber so eine Legitimation gibt es nicht.“

Der Bundestagsabgeordnete Thomas Feist (CDU) berichtete, dass im Szene-Treff Conne Island in diesem Jahr eine Band auftreten durfte, die ähnlich wie zuvor eine AfD-Funktionärin dazu aufrief, den politischen Gegner mit Mistgabeln zu traktieren. Dies sei inakzeptabel; auch politische Gegner müssten respektiert werden, forderte Feist.


Nicht wenige Zuhörer werteten Äußerungen wie diese als Lippenbekenntnisse. „Gewalt wird in unserer Stadt unterschiedlich gewichtet“, befand auch Bürgerrechtler Tobias Hollitzer, der unter den Zuhörern saß. Er habe er in dieser Woche auf einer linken Internetseite die Aufforderung gelesen, Mistgabeln und Fackeln herauszuholen, um die Uni in Brand zu stecken, berichtete er. „Wir haben offenbar unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Gewalt legitim ist; als gebe es gute und schlechte Gewalt“, schlussfolgerte Hollitzer und fragte: „Wo sind die Mahnwachen vor den Wohnungen der AfD-Abgeordneten, die in Leipzig verwüstet wurden? Wo ist die Reaktion der Bürgerschaft auf die Verwüstung der Wohnung eines Fans des Fußballvereins Lok durch Gewalttäter? Wenn die Gewalt in eine andere Richtung gehen würde, wären die Reaktionen ganz anders.“ Alle Podiumsteilnehmer erklärten daraufhin, dass sie Gewalt ablehnen.

Eine Zuhörerin befand, Leipzigs Stadtspitze gehe falsch mit den Legida-Demonstrationen um. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) habe einen großen Fehler begangen, als er zu Gegendemonstrationen aufrief. Dieser Aufruf habe erst die großen Polizeieinsätze notwendig gemacht, die das Leben in der Stadt beeinträchtigen; das Geld dafür hätte besser verwendet werden können. „Das sind doch einfache Menschen, lassen sie die reden und hören sie zu“, hieß es. Auf dem Podium hieß es daraufhin, in Deutschland gebe es eben ein Demonstrationsrecht, das für alle gelte und auf das sich alle berufen könnten. Die Polizei müsse dieses im Zweifelsfall durchsetzen und die Demonstranten auseinander halten.

Ein anderer Zuhörer führte die Verbitterung vieler Menschen auf „Fehler der Bundesregierung bei der Asylpolitik“ zurück. Dabei hätte es Gesetzesbrüche gegeben, die nicht geahndet würden. „Stattdessen gibt es Belehrungen von oben. Die Politik sollte endlich zugeben, dass es ein Fehler war, so viele Asylbewerber unkontrolliert ins Land zu lassen. Das ist nicht schlimm, dass kann man korrigieren.“

Andere sprachen an, dass der Polizeiposten in Connewitz schon zahlreiche Male angegriffen wurde und das Leben der dortigen Polizisten auf dem Spiel stand. Vorgänge wie diese müssten als Terrorismus geahndet und härter bestraft werden, wurde gefordert. Der Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann (Grüne) antwortete, der Begriff Terrorismus dürfe nicht entwertet werden. Er sei nur angebracht, wenn die Stabilität der staatlichen Ordnung ins Wanken gebracht oder abgeschafft werden soll. Wovon man denn dann sprechen wolle, wenn es mal einen tatsächlichen Terroranschlag gebe, fragte Lippmann.

Auch mit den staatlichen Schulen wurde ins Gericht gegangen. Vielen Schülern seien nicht mehr zur Selbstreflektion in der Lage; die Kompetenz dazu werde nicht ausreichend vermittelt. Andere brachten vor, in Deutschland lebe inzwischen jeder zehnte Deutsche von Sozialhilfe und sehe keine Perspektive mehr für sich. „Was verändern Sie im Sozialbereich für die Jugend?“, wurde gefragt.

Der Landtagsabgeordnete Holger Mann (SPD) plädierte dafür, den Jugendlichen mehr Lust zu machen, sich mit legitimen Mitteln am politischen Prozess zu beteiligen. Sachsen stelle deshalb mehr Geld für die politische Bildung bereit. „Wir brauchen auch solche Veranstaltungen wie die heutige“, erklärte er. „Und die Bereitschaft zum Zuhören. In unserem Land ist niemand zu mächtig. Wir müssen es gemeinsam gestalten.“

Und Landtagsabgeordneter Stange beschwor die Zuhörer, das Lebensgefühl in Leipzig zu erhalten. „Das heißt auch, unterschiedliche soziale und kulturelle Milieus zu akzeptieren.“ Dies gelte auch für die linke Szene in Connewitz.

Von Andreas Tappert