Geflüchtete in Berlin - Lange Wartezeiten und vergebliches Hoffen

Erstveröffentlicht: 
27.11.2016

Angst, Hunger, vermehrte Ladungen: Was Flüchtlinge in Berlin vor ihrer Anhörung im Bundesamt für Migration erleben.

 

Von Susan Djahangard

 

Zehn vor sieben Uhr früh, Pommernallee zwei bis vier, Charlottenburg. Vor der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stehen etwa zwanzig Menschen hinter einem rot-weißen Absperrgitter. Die Geflüchteten sind heute zu ihrer Anhörung geladen. Der Termin entscheidet, ob ihr Asylantrag bewilligt oder abgelehnt wird.

 

Auch Gisela Demberger steht hier. Die 67-Jährige engagiert sich bei „Wedding Hilft“, sie begleitet einen jungen Iraner. Um 5.15 Uhr hat ihr Wecker geklingelt, seit einer halben Stunde warten sie hier draußen, bei fünf Grad. Ein Sicherheitsmann in Warnweste öffnet die Gittertür am Anfang der Schlange, kontrolliert die Einladungsbriefe. Er weist zu den Stufen hinter sich, auch Demberger und der Iraner gehen hoch und verschwinden.

 

Später berichtet Demberger, dass sie sich in einen Warteraum mit etwa 50 Stühlen setzen. Die Rentnerin und der Flüchtling warten und warten, sechseinhalb Stunden. Demberger hat vergessen, sich ein Buch mitzubringen. „Irgendwann dachte ich, wenn ich noch länger Löcher in die Luft schaue, werde ich verrückt“, sagt sie. Die Flüchtlinge sollen den Raum nicht verlassen, heißt es.

 

Ein Sicherheitsmann erlaubt ihr, kurz zu „Aldi“ zu gehen. Sie kauft eine Zeitschrift und Schokolade. „Damit wir nicht total verhungern.“ Den Hinweis im Einladungsschreiben, Essen und Trinken mitzubringen, hat sie überlesen. Im BAMF-Gebäude gibt es keinen Wasserspender, keinen Süßigkeitenautomaten, sagt sie. 

 

Lange Wartezeiten und mehrfache Ladungen


Der Flüchtling, den sie begleitet, kommt aus dem Südiran. Seine Muttersprache ist Arabisch. Die Anhörung will er nicht auf Farsi machen, aber nur dafür ist mittags eine Dolmetscherin frei. Für Arabisch hat an diesem Tag niemand Zeit. Demberger und der Mann gehen, erfolglos. Er muss wiederkommen.

 

Über die Bedingungen bei der Anhörung klagen auch zwei junge Iranerinnen. In einem Schöneberger Café erzählen sie von langen Wartezeiten, mehrfachen Ladungen. „Beim ersten Mal vor drei Wochen war ich um 6.30 Uhr da“, sagt eine der beiden. Bis 18 Uhr habe sie auf einem Stuhl gesessen, nicht gegessen, nicht getrunken, weil es vor Ort nichts gab, sei nicht zur Toilette gegangen – aus Angst, ihren Aufruf zu verpassen. Beim zweiten Mal wurde sie um 16 Uhr nach Hause geschickt. Beschwert hat sie sich nicht, aus Angst vor negativen Konsequenzen. „Dieser Termin entscheidet über mein Leben“, sagt die Christin.

 

Es sind keine Einzelfälle. „Seit drei Monaten häuft sich das“, sagt Manuel Armbruster von der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migranten. „Ich kenne Fälle, bei denen Geflüchtete bis zu fünf Mal kommen mussten, bis sie dran waren.“ Dasselbe erzählt Rechtsanwältin Barbara Wessel: „In Berlin läuft es katastrophal.“ Viel zu viele Leute würden zur selben Uhrzeit geladen und nicht zu einzelnen Terminen. Früher habe man das damit begründet, dass viele Flüchtlinge nicht erscheinen. „Aber das stimmt nicht.“ 

 

Sammeltermine sind effizienter als Einzeltermine


Viele ihrer Mandaten kämen schon eine Stunde vor dem Termin und warteten bis zum Nachmittag. Manchmal würden Geflüchtete vormittags wieder nach Hause geschickt, wenn absehbar sei, dass zu viele Personen kommen. Dass Übersetzer fehlen, die eine passende Sprache beherrschen, hat sie mehrfach erlebt. Und auch sie berichtet: „Kaffee- oder Wasserautomaten gibt’s nicht, die Geflüchteten dürfen während der Wartezeit das Gebäude nicht verlassen. Es ist eine unglaubliche Belastung.“ Mit Kollegen dokumentiert Wessel diese Vorfälle, sie wollen sich bei der Rechtsanwaltskammer beschweren.

 

Eines habe sich allerdings inzwischen verbessert: Im Juli berichtete der Tagesspiegel, dass Einladungen zur Anhörung zu spät verschickt worden seien. Zahlreiche Flüchtlinge verpassten so ihre Termine. Das habe sich verändert, sagt Wessel. „Meist bekommen wir die Einladungen eine Woche bis zehn Tage vorher.“

 

Was sagt das BAMF zu den Vorwürfen? Ein Sprecher schickt eine schriftliche Antwort. „Das Bundesamt lädt nur so viele Antragsteller, wie auch Anhörungen durchgeführt werden können“, heißt es darin. Es könne aber vorkommen, dass Anhörungen überraschend lange dauern, manchmal mehrere Stunden. „Im Extremfall können am Tag unter Umständen weniger Anhörungen durchgeführt werden als geplant.“ Wenn Mitarbeiter oder Dolmetscher kurzfristig ausfallen, müsse man gleichfalls Termine verschieben.

 

Aus diesen Gründen sei es nicht möglich, Wartenden einen Zeitpunkt zu nennen, wann sie drankommen. „Einzeltermine wurden getestet, haben sich aber nicht bewährt“, heißt es weiter. Viele Flüchtlinge seien nicht gekommen. Die Sammeltermine seien am effizientesten. Personen, die bereits einmal geladen waren, kämen beim nächsten Mal vor den anderen dran. 

 

Der Sprecher widerspricht den Berichten der Geflüchteten


Im Übrigen könnten Rechtsanwälte oder Vertreter von Jugendämtern individuelle Termine vereinbaren. Seit August habe das BAMF neue Dolmetscher eingestellt, was Wartezeiten verkürze. Der Sprecher widerspricht zudem den Berichten der Geflüchteten und Helfer: Getränke gäbe es an jedem Standort, auch Nahrungsmittel seien teils erhältlich. Und es bestehe „stets die Möglichkeit, das Gebäude nach Ankündigung zu verlassen“.

 

Flüchtlingsberater Manuel Armbruster überzeugt das nicht. „Klar ist es schwierig, vorher zu kalkulieren, wie lange eine Anhörung dauert“, sagt er. „Das BAMF lädt aber so unrealistisch viele Menschen ein, dass es gar nicht aufgehen kann.“