Sechs Tage nach dem brutalen Angriff auf die Wohnung des Leipziger Neonazis Istvan R. tappen die Ermittler noch immer im Dunkeln. Am Freitag veröffentlichte die Polizei Details zur Vorgehensweise der Täter. Die Beamten erhoffen sich entscheidende Hinweise aus der Bevölkerung.
Die Angreifer gingen äußerst zielstrebig vor. Gegen 11.40 Uhr stürmten mindestens fünf Täter ein Mehrfamilienhaus in Leipzig-Großzschocher. Die Unbekannten brachen die Wohnungstür des Neonazis gewaltsam mit einem Feuerlöscher auf, demolierten die Inneneinrichtung und versprühten schwarze Farbe. In der Wohnung hielten sich zu dem Zeitpunkt keine Menschen auf. Den Angreifern ging es offenbar weniger darum, Istvan R. zu verletzen. Vielmehr beabsichtigten die Vermummten offensichtlich, möglichst hohe Sachschäden anzurichten.
In einem Bekennerschreiben, das noch am 13. November auf dem linken Szeneportal „Indymedia Linksunten“ auftauchte, äußerten die Verfasser die Vermutung, der Rechtsextremist sei während des Angriffs aufgrund des Stadtderbys zwischen der BSG Chemie und dem 1. FC Lokomotive außer Haus gewesen. Die Nähe des Opfers zur gewaltbereiten Hooliganszene ist in linken Kreisen bekannt. In dem Bekennerschreiben verargumentieren die Urheber den „Hausbesuch“ mit der mutmaßlichen Beteiligung Istvan R.’s an den schweren Krawallen am 11. Januar in Leipzig-Connewitz. Der Neonazi war seinerzeit vor Ort von der Polizei in Gewahrsam genommen worden.
Ein Täter hielt den Überfall sogar auf Video fest. Die Aufnahmen, die die Unbekannten im Netz veröffentlichten, lassen erkennen, dass das Quintett äußerst zielstrebig durch das Treppenhaus stürmt. Offensichtlich wussten die Täter schon vor dem Angriff, in welcher der Wohnungen Istvan R. lebt, was auf eine extrem professionelle Vorbereitung schließen lässt. Die Vermutung, die Täter könnten ihr Ziel im Vorfeld des Angriffs ausgespäht haben, liegt auf der Hand.
Dass das Überfallkommando den Angriff keineswegs spontan verübte, lässt sich aus einem Detail schlussfolgern, das die Polizei am Freitag veröffentlichte. Zeugen fielen zwei Fahrzeuge auf, die im Bereich der Eichelbaumstraße in Höhe der Karl-Heft-Straße standen. Beide Autos fuhren nach dem Angriff, jeweils mit mehreren Personen besetzt, von der Eichelbaumstraße zunächst mutmaßlich Richtung Dieskaustraße davon.
An einem der Fahrzeuge, ein dunkler, fünftüriger Kombi älteren Baujahrs mit Steil- oder Schrägheck, mutmaßlich ein Ford, waren die Kennzeichen L-... angebracht. Die Nummernschilder waren vorab von einem anderen Pkw entwendet worden. Zeugen bemerkten den Wagen, der direkt vor dem Glascontainer in der Wendeschleife abgeparkt war, weil die Frontschürze zwei auffällige Löcher aufwies. Dem Pkw fehlten die Spritzdüsen für die Frontscheinwefer.
Bei dem zweiten Pkw handelte es sich der Polizei zufolge um einen braunen Kombi mit Schräg- oder Steilheck. Das Fahrzeug war ohne oder mit abgedeckten Kennzeichen unterwegs. Zeugen erinnerten sich an eine auffällige Dachantenne.
Während das Operative Abwehrzentrum der Polizei fieberhaft nach den Tätern sucht, sinnen Angehörige der rechten Szene auf Rache. Wie der „Tagesspiegel“ berichtete, sollen Hooligans im Internet gedroht haben, täglich die Anschriften von zehn Antifa-Aktivisten zu veröffentlichen. Soweit bekannt, verpuffte die Ankündigung wieder – bislang ist nichts dergleichen geschehen.
Die Leipziger Neonazi-Initiative „Wir für Leipzig“ twitterte derweil in einer Aneinanderreihung strafbarer Äußerungen eine Verschwörung gegen die rechte Szene, an der ein bekannter Landespolitiker, Lokaljournalisten, Linksextremisten und die Polizei beteiligt seien. Mehrere Betroffene kündigten bereits an, Strafanzeige erstatten zu wollen.
Zeugenaufruf der Polizei
Wer war zur fraglichen Zeit in den benannten Bereichen und kann sachdienliche Hinweise zu den Fahrzeugen oder den Personen, die mit diesen Fahrzeugen in Verbindung stehen, geben? Wer kann andere Informationen geben, die mit diesem Angriff oder dem Diebstahl der Kennzeichen L-... in Zusammenhang stehen? Zeugen, die Hinweise zur Aufklärung der Straftat geben können, werden gebeten, sich bei der Polizeidirektion Leipzig, Dimitroffstraße 1 in 04107 Leipzig, Tel. (0341) 00000000 oder auch bei jeder anderen Polizeidienststelle zu melden.
Martin Schöler