Juristische Beratung für Opfer rechter Gewalt "Die Angst schwingt mit, dass es noch einmal passiert"

Erstveröffentlicht: 
12.11.2016

Die Zahl rechtsextrem motivierter Angriffe steigt, das spüren auch die Opferberatungen. Mehr Menschen suchen dort Rat und Hilfe. Die Thüringer Einrichtung "ezra" ist ein Projekt der evangelischen Kirche und berät seit Jahren Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Dort gibt es jetzt ein neues Angebot: Einmal im Monat findet eine juristische Beratung statt - unverbindlich und kostenlos.

von Johanna Hemkentokrax, MDR AKTUELL

 

Erfurt, Donnerstagnachmittag im Büro der Thüringer Opferberatung ezra - Mitarbeiterin Christina Büttner und Rechtsanwalt Maik Elster sitzen im Beratungsraum. An diesem Tag findet zum dritten Mal die monatliche offene Rechtsberatung statt, die Maik Elster im Wechsel mit einer Kanzleikollegin anbietet. Hauptzielgruppe sind Menschen, die Opfer diskriminierender Gewalt geworden sind. Sie unterscheidet von anderen Kriminalitätsopfern, "dass Opfer rechter Gewalt eher Opfer einer Gruppenverfolgung sind. Es geht hier nicht um das Individuum, sondern um das, was das Individuum repräsentiert, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Es ist häufig so, dass gerade bei Opfern politischer Kriminalität, die Angst mitschwingt, dass das ganze noch mal passieren kann." 

 

Gewalt häufig politisch motiviert - Anwalt umso nötiger


Häufig gehe die Gewalt gegen Flüchtlinge, politisch Andersdenkenden oder alternativen Jugendlichen von organisierten Strukturen aus. Viele scheuten sich aus Angst vor Racheakten, die Täter anzuzeigen, sagt Maik Elster. Dabei haben Opfer und Zeugen unter bestimmten Umständen das Recht, dass zum Beispiel ihre Adressen in den Prozessakten nicht auftauchen. Auch eine finanzielle Unterstützung aus den Opferhilfefonds ist möglich. Vor Gericht würden Opfer als Zeugen behandelt, sagt Rechtsanwalt Maik Elster.

 

Deshalb könne auch für sie ein eigener Anwalt hilfreich sein. Man habe erweiterte Rechte, entweder selbst oder mit dem beauftragten Rechtsanwalt an der Verhandlung teilzunehmen, darauf einzuwirken und Anträge zu stellen. Es sei natürlich so, dass ein als Nebenkläger beauftragter Rechtsanwalt eine gewisse Schutzfunktion ausübe. Denn der Verteidiger des Angeklagten hat natürlich zuallererst das Interesse, seinen Mandanten gut dastehen zu lassen. Da komm es auch häufig zu schwierige Fragen an. Und wenn man mit so einer Situation nicht umgehen könne, dann könne das schnell überfordernd wirken, erklärt Elster.

 

Ein Anwalt könne auch die Tatmotivation im Prozess unterstreichen, die dann ins Strafmaß einfließen könne. "Es wurde in der Vergangenheit häufig nicht gesehen. Gerade da ist es zu einer Gesetzesänderung dahingehend gekommen, dass die Tatmotivation in politischer Hinsicht durchaus eine Rolle spielen kann." 

 

Statistiken belegen sprunghaften Anstieg


Am Tag unseres Besuches kommt niemand in die Sprechstunde. Doch Opferberaterin Christina Büttner ist zuversichtlich, dass sich das neue Angebot bald herumspricht. Die letzten Sprechstunden hätten gezeigt, dass gerade Flüchtlinge und Menschen, die noch sehr unsicher seien, solche unverbindlichen und niedrigschwelligen Angebote eher nutzen würden, als direkt einen Anwalt zu suchen. "Es gibt deutlich mehr Angriffe, mehr geflüchtete Menschen in Thüringen, die auch viele komplizierte rechtliche Fragen haben, die mit Angriffen zusammenhängen. Oder auch mit ihrer rechtlichen Situation. So ist der Bedarf nach rechtlicher Beratung, die vielleicht auch mal spontan stattfindet, aus unserer Sicht enorm gestiegen", sagt Büttner.

 

Was die Statistiken der Sicherheitsbehörden abbilden, spürt auch Maik Elster in seinem Arbeitsalltag: die Zahl, der Menschen, die sich nach rechten Angriffen an seine Kanzlei wenden, sei in letzter Zeit sprunghaft angestiegen.