Die Staatsanwaltschaft Köln lehnt es ab, gegen einen Verfassungsschützer zu ermitteln, der geheime Papiere zerstört hat. Sie hätten womöglich Verbindungen zu den späteren NSU-Terroristen offenbart.
Die Staatsanwaltschaft in Köln wird nach „Welt“-Informationen keine Ermittlungen gegen den ehemaligen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit dem Tarnnamen Lothar Lingen aufnehmen. Lingen hatte am 11. November 2011 das Schreddern von V-Mann-Akten seines Amts veranlasst.
Die V-Männer hatten aus Thüringen unter anderem über den sogenannten Thüringer Heimatschutz berichtet, in dem sich auch die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt radikalisierten. Dem NSU werden zehn Morde zur Last gelegt.
Erst im vergangenen Monat war bekannt geworden, dass Lingen, der unter anderem in seiner Karriere für die Führung rechter V-Leute verantwortlich war, im Jahr 2014 ausführlich gegenüber der Bundesanwaltschaft ausgesagt hat. In seiner Aussage gab er zu, dass er die Akten vorsätzlich geschreddert hatte. Wörtlich heißt es darin: „Vernichtete Akten können … nicht mehr geprüft werden.“
Lothar Lingen gestand gezieltes Schreddern von Akten
Lingen hatte ausgeführt, dass ihm klar gewesen sei, dass die vielen V-Männer des Bundesamtes in Thüringen – Lingen sprach von „acht, neun oder zehn Fällen“ – in der Öffentlichkeit die Frage aufgeworfen hätten, „aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der drei eigentlich nicht informiert worden sind“.
Mit „der drei“ meinte der ehemalige führende BfV-Mitarbeiter das Trio Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt. Lingen hatte außerdem gegenüber der Bundesanwaltschaft gesagt: „Die nackten Zahlen sprachen ja dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber nicht der Fall war.“
Damit gestand Lingen ein, dass es ihm darum ging, gezielt Akten vernichten zu lassen, um unangenehme Fragen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Vertreter von Nebenklägern im Münchner NSU-Prozess hatten nach Bekanntwerden der Aussagen Lingens Anzeige gegen den ehemaligen Verfassungsschützer bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Köln gestellt.
Die hatte sich bereits einmal im Juni 2013 geweigert, Ermittlungen gegen Lingen aufzunehmen. Abermals hat die Kölner Staatsanwaltschaft am Dienstag, wie die „Welt“ erfuhr, die Eröffnung eines Verfahrens abgelehnt. In einer siebenseitigen Begründung behauptet der zuständige Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn, dass sich durch die Aussage Lingens der Sachverhalt nicht verändert habe.
Zudem schiebt der Oberstaatsanwalt der Bundesanwaltschaft den Schwarzen Peter zu. Die habe offenbar, so schreibt Willuhn in seiner Begründung, „in Übereinstimmung mit der vorstehenden Rechtsauffassung keine Veranlassung gesehen, den Vernehmungsinhalt meiner Behörde zur Kenntnis zu bringen“.
Timing der Staatsanwaltschaft ist brisant
Tatsächlich war eine Bundesanwältin vor dem NSU-Ausschuss des Bundestages davon ausgegangen, dass die Aussage Lingens an die Staatsanwaltschaft in Köln längst weitergeleitet worden sei. Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall.
Das Timing der Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist brisant. Denn bereits in drei Tagen, am 11. November 2016, verjährt die Schredderaktion von Lothar Lingen strafrechtlich. Allein seine Ladung zu einer Aussage bei der Staatsanwaltschaft würde jedoch die Verjährung unterbrechen.
Offenbar wollten die Kölner Ankläger den Fall nicht verjähren lassen, ohne zu reagieren. Offenbar will sich die Anklagebehörde politisch absichern. Mehrere Nebenklagevertreter haben bereits gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft rechtliche Schritte eingelegt. In einem Schreiben an den zuständigen Oberstaatsanwalt heißt es, die Einstellung scheint „rein willkürlich und ergebnisorientiert“ zu sein. Die Anwälte dringen auf „unverzüglich verjährungsunterbrechende Maßnahmen“.
Die Nebenklagevertreter kritisieren zudem, dass die Staatsanwaltschaft sich offensichtlich kaum Zeit für Ermittlungen genommen hat. Die Staatsanwaltschaft wolle sich offenbar kein eigenes Bild des Ex-Verfassungsschützers Lingen machen, sagte eine Vertreterin der Nebenklage der „Welt“. Anscheinend sei es ihr nur darum gegangen, das Verfahren möglichst schnell loszuwerden.