Theatertreffen rückt NSU-Unterstützer in den Fokus

Erstveröffentlicht: 
30.10.2016

Vor fünf Jahren flog das NSU-Terrortrio auf. Seit mehr als drei Jahren läuft nun der Prozess gegen Beate Zschäpe - viele Menschen können das Thema nicht mehr hören. Müssen sie aber, damit sich an den rechten Strukturen etwas ändert, finden Chemnitzer Theatermacher.

 

Chemnitz/Zwickau (dpa/sn) - War da was? Längst wächst Gras an der Stelle, wo Beate Zschäpe am 4. November 2011 die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 in Brand setzte. Damit nicht auch über die Sache Gras wächst, greifen Chemnitzer Theatermacher fünf Jahre nach dem Auffliegen des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zu den Mitteln der Kunst.

 

Das Theatertreffen «Unentdeckte Nachbarn» will vom 1. bis 11. November rechten Strukturen in Sachsen nachgehen. «Es geht auch, aber eben nicht nur um den NSU. Der NSU ist nur ein Symptom für das, was gerade überall in Sachsen passiert», ist die künstlerische Leiterin des Projekts, Laura Linnenbaum überzeugt.

 

Als Regisseurin verantwortet sie zudem eines der elf Theaterstücke, die auf Bühnen in Chemnitz, Zwickau, Jena, Dresden und Nürnberg gezeigt werden. In «Beate Uwe Uwe Selfie Klick», das am 2. November Premiere hat, rücken diejenigen in den Vordergrund, die nach Meinung der Theatermacher in der öffentlichen Debatte viel zu oft im Hintergrund bleiben: die Unterstützer des Terrortrios.

 

Die Mehrheit der Menschen setze sich nicht mit den vielen offenen Fragen auseinander, meint Projektleiter Franz Knoppe, der sich mit der Zwickauer Künstlergruppe Grass Lifter seit vier Jahren mit dem Thema beschäftigt. Knoppe meint, weder das seit Mai 2013 laufende Verfahren in München noch die zahlreichen Untersuchungsausschüsse hätten die rechte Szene nennenswert in Bedrängnis gebracht.

 

«Chemnitz ist wie Jena in den 90ern ein Zentrum der rechten Szene gewesen», sagt Jane Viola Felber vom mobilen Beratungsteam Südwest des Kulturbüro Sachsen. So habe beispielsweise das Netzwerk von «Blood & Honour» maßgeblich die NSU-Unterstützungsstrukturen geprägt.

 

«Zschäpe, (Uwe) Mundlos und (Uwe) Böhnhardt haben in Chemnitz einfach gute Bedingungen vorgefunden. Einige Personen aus diesem Umfeld sind auch heute noch aktiv - sei es im Vertrieb rechter Szeneartikel oder bei der Organisation asylfeindlicher Kundgebungen», so Felber. Parallel dazu hätten sich in Chemnitz neurechte Strömungen etabliert, deren Konzepte sich heute in der «Identitären Bewegung» wiederfänden.

 

«Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt waren nicht untergetaucht, sondern haben aktiv am Leben teilgenommen», sagt Knoppe. «Es überrascht uns daher, wie überraschend die jetzige Situation in Sachsen für viele ist», ergänzt er. Das Thema Rechtsextremismus sei im Freistaat lange totgeschwiegen worden - auch nach Bekanntwerden des NSU.

 

«Wo ist die Zäsur nach dem NSU?», fragt sich nicht nur Felber. Das derzeitige gesellschaftliche Klima erzeuge das Gefühl, dass sich die Geschichte jederzeit wiederholen könnte. Um dem etwas entgegen zu setzen, arbeiten sie seit mehr als einem Jahr an der Umsetzung des Theatertreffens, das zunächst nur ein einzelnes Stück werden sollte. «Das Thema ist einfach zu groß, die Tragweite ebenso», sagt Laura Linnenbaum, die sich seit Jahren künstlerisch mit der rechtsextremen Szene auseinandersetzt.

 

Neben der Chemnitzer Eigenproduktion stehen Inszenierungen wie «Die Lücke» (Schauspiel Köln), «Urteile» (Residenztheater München) oder «Situation mit Doppelgänger» (Theaterakademie August Everding München) auf dem Spielplan.

 

Hinzukommen kritische Ausstellungen wie «Versagen mit System» zur Arbeit des Verfassungsschutzes, Diskussionen über die Arbeit der Polizei bis hin zur gerichtlichen Aufarbeitung. In «Offener Prozess» wird am 4. November per Video-Liveschaltung zeitgleich aus den Prozessprotokollen gelesen.

 

Zudem bekommen Migranten und ihre Fluchtgeschichten eine Stimme - so in einer Audioinstallation von Linnenbaum. Die Regisseurin kann nachvollziehen, dass das Thema vielen inzwischen zu viel ist. «Das geht mir in manchen Momenten nicht anders - aber wir müssen uns damit auseinandersetzen, um etwas zu verändern.»

 

Auch wenn es schlechte Laune macht, ergänzt Gundula Hoffmann, Leiterin des Chemnitzer Figurentheaters. Denn in den vergangenen fünf Jahren habe sich etwas bewegt, gerade in Zwickau. «Anfangs durfte man noch nicht einmal die Frage stellen, was das mit der Stadt zu tun hat.» Inzwischen unterstützt die Stadtspitze ein Schülerprojekt im Rahmen des Theatertreffens mit 10 000 Euro. «Als Stadt haben wir hier eine besondere Verantwortung», sagt Zwickaus Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD).